Versorgungswerke

Urteil: Interdisziplinär ist apothekertypisch

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Berlin -

Im Streit um die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht haben die Industrieapotheker einen weiteren Sieg errungen. Das Sozialgericht München (SG) kommt in einem aktuellen Urteil zu dem Ergebnis, dass auch die Erforschung neuer Arzneimittel zum apothekerlichen Berufsbild gehört. Überraschender als der Ausgang des Verfahrens ist die Begründung.

Im konkreten Fall stritt eine Apothekerin mit der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV), die als Study Managerin in der klinischen Forschung für Roche Diagnostics in Penzberg arbeitet. In ihrem Befreiungsantrag hatte sie umfassend dargelegt, dass sie das Studiendesign in Zusammenarbeit mit anderen Experten entwickelt und dabei insbesondere für die pharmakologischen Aspekte und Arzneimittelinteraktionen verantwortlich ist. Dazu gehört auch die Schulung und Überwachung der Mitarbeiter in den Studienzentren; schließlich betreut und leitet sie nach eigenen Angaben Pharmaziepraktikanten während des praktischen Jahres.

Dem Antrag beigefügt waren eine Stellenbeschreibung des Arbeitgebers sowie eine Stellungnahme der Apothekerkammer und ein Skript der Bundesapothekerkammer, demzufolge die Entwicklung neuer Wirkstoffe, Darreichungsformen und Arzneimittel zum Kern der Tätigkeit des Apothekers gehört.

Die Befreiung wurde dennoch abgelehnt, da nach der Stellenbeschreibung die Approbation nicht unabdingbare Voraussetzung sei: Auch die Ausbildung als Krankenpfleger oder ein naturwissenschaftliches Studium oder eine gleichwertige Qualifikation im Bereich der Labordiagnostik seien als mögliche Qualifikation für diese Tätigkeit angegeben worden.

Dass die Apothekerin aufgrund ihrer pharmazeutischen Qualifikation eingestellt wurde, war aus Sicht der DRV unerheblich und „als rein unternehmerische Entscheidung zu werten“. Es sei zwar nicht ausgeschlossen, dass die pharmazeutischen Fachkenntnisse mitverwertet würden; solange die Approbation nicht zwingend vorausgesetzt werde, sei von einer berufsspezifischen Tätigkeit nach „Rechtssprechung praktisch aller Landessozialgerichte“ nicht die Rede.

Mit dieser Behauptung, die die DRV in den verschiedenen Verfahren immer wieder vorträgt, räumten die Richter in München auf. Zwar hatten vor einigen Jahren tatsächlich mehrere Gerichte auf die Approbation abgestellt. „Da die Approbation im Bereich der pharmazeutischen Industrie als Berufszugangsbedingung von Gesetz wegen nicht existiert, führte der missverständliche Ausdruck der 'zwingend erforderlichen Approbation' dazu, dass nur noch im Bereich der öffentlichen und Krankenhausapotheke, für den die Approbation für die Berufsausübung vorausgesetzt wird, nicht aber für Tätigkeiten im pharmazeutisch-industriellen Komplex befreit werden könnte“, heißt es im aktuellen Urteil. Dies sei realitätsfern und lasse sich mit den berufsständischen Vorschriften nicht in Einklang bringen, so die Richter mit Verweis auf Bundes-Apothekerordnung (BApO) und Berufsordnung.

Dass die jeweilige Stelle auch mit anderen Berufen besetzt werde könne, mache sie daher nicht von vornherein berufsunspezifisch. Nach Approbationsordnung (AAppO) sei die Ausbildung der Apotheker interdisziplinär angelegt, so dass ein Zusammenarbeiten mit anderen Disziplinen bei der Entwicklung, Herstellung und Prüfung von Medikamenten im apothekerlichen Berufsbild angelegt sei und daher nicht gegen das Vorliegen einer berufsspezifischen Tätigkeit verwendet werden könne.

Gerade im konkreten Fall werde profundes pharmazeutisches Wissen benötigt, die Stelle sei somit dem Kernbereich der apothekerlichen Tätigkeit zuzuordnen. Dies zeige sich auch darin, dass für pharmakologische Fragestellungen nur von der Apothekerin und ihren beiden Kollegen, nicht aber von den 18 Mitarbeitern aus anderen Disziplinen beantwortet würden.

Gestritten wurde auch über die Ausbildung der Pharmaziepraktikanten, die laut AAppO hauptberuflichen Apothekern vorbehalten ist und daher in entsprechenden Gerichtsverfahren regelmäßig als Hilfsargument vorgebracht wird. Laut DRV genügt es, wenn ein Apotheker im Unternehmen dafür abgestellt wird. Da die Leitung dieser Ausbildung nur eine von vielen Aufgaben sei, bilde sie ohnehin nicht den Schwerpunkt der Tätigkeit.

Auch diese Argumentation wiesen die Richter in München ab: Die Auslegung, dass das Gesetz einen Apotheker im numerischen Sinne meine und alle anderen Apotheker in einem Betrieb daher nicht mehr ausbildungsberechtigt seien, sei nicht überzeugend. Alleine die schiere Anzahl von Mitarbeitern in einem großen pharmazeutischen Betrieb mache die Vorstellung, dass ein Apotheker für die Ausbildung junger Pharmazeuten verantwortlich zeichne, abwegig.

Zudem sei die Vorschrift nach ihrem Sinn und Zweck so zu verstehen, dass die Güte der Ausbildung durch die Leitung durch einen Apotheker gewährleistet sein solle – nicht aber, dass nur ein einziger Apotheker in einem Betrieb für die Ausbildung verantwortlich zeichnen dürfe. „Für eine solche Auslegung gibt es schon keinen Anhalt im Wortlaut.“

Vor Gericht kämpfen zahlreiche Industrieapotheker um ihre Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht, aktuell sind knapp 20 anhängige Verfahren bekannt. Die Gerichte akzeptieren zunehmend, dass auch bei den Herstellern pharmazeutischer Sachverstand gefragt ist und stufen immer mehr Tätigkeiten in der Industrie als apothekertypisch ein.

Zuletzt hatte das Sozialgericht Berlin (SG) entschieden, dass auch Mitarbeiter der Politikabteilungen befreit werden können – weil es ohne sie keine erstattungsfähigen Medikamente gäbe. Maßgeblich für die Arzneimittelversorgung sei im System der gesetzlichen Krankenversicherung auch der Umstand, dass „die Art und Weise der Verschreibung beziehungsweise Kostenübernahme von Medikamenten in ganz erheblichem Umfang gesetzlich reguliert ist“.

Das SG München war im vergangenen Jahr sogar zu dem Ergebnis gekommen, dass fast alle mit Pharmazeuten besetzten Positionen in der Industrie auch dem Berufsbild eines Apothekers entsprechen. Bis zum Bundessozialgericht (BSG) hat es allerdings noch kein Apotheker geschafft. Das SG Aachen hatte Ende vergangenen Jahres entschieden, dass die Arbeit in der Industrie auch nach der neuen Regelung apothekertypisch bleibt. Außerdem bestätigten die Richter, dass Industrieapotheker unter bestimmten Umständen auf eine vorangegangene Befreiung vertrauen dürfen.

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