Versorgungsmodelle

Streit um ARMIN und Aut-idem-Liste

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Dresden -

Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) will die Präferenzen von Patienten stärker in den Mittelpunkt rücken. Mit den derzeitigen Vorstößen aus der Apothekerschaft ist der BPI jedoch nur bedingt zufrieden. Die Hersteller wiederholten bei ihrer Hauptversammlung in Dresden ihre Forderung, das AMNOG zu überarbeiten. ABDA-Präsident Friedemann Schmidt erklärte die Kehrtwende der Apotheker bei der Aut-idem-Liste.

Die ABDA hatte bei der Substitutionsausschlussliste zuletzt eine 180-Grad-Wendung hingelegt. „Der Mensch lernt, und das System lernt“, kommentierte Schmidt. Man habe früher geglaubt, dass man das Instrument des Substitutionsausschlusses brauche. „Wir stellen jetzt fest, dass das, was daraus geworden ist, in der Apotheke mehr Arbeit macht”, erklärt Schmidt.

Es könne nicht sein, dass die Apotheker mit der Liste in eine Situation gebracht würden, in der sie gar nicht versorgen könnten. „Deswegen haben wir unsere Haltung überdacht und korrigiert und plädieren jetzt dafür, die Liste so klein wie möglich zu halten.“ Das Instrument der pharmazeutischen Bedenken hält Schmidt inzwischen für besser geeignet – allerdings müssten Apotheker bei der Anwendung mutiger werden.

Das hält BPI-Chef Dr. Martin Zentgraf nur für eine Teillösung. Ihn ärgert, dass die Apotheker einen vernünftigen Vorschlag gemacht hätten, ihn nicht hätten durchsetzen können und nun einen Salto rückwärts machten. Zentgraf zeigt sich überzeugt, dass pharmazeutische Bedenken des Apothekers und ein Ausschluss durch den Arzt nicht genauso effektiv sind wie die Aut-idem-Liste. Aus seiner Sicht braucht es eine umfangreichere Liste – „nur dann sind die Patienten auf der sicheren Seite“.

Die Hersteller wollen den Patienten auf der anderen Seite mehr Freiheiten geben. Zentgraf erklärte, die Hersteller hätten selbst ein großes Interesse, Arzneimittel nach Patientenpräferenzen zu entwickeln. Bis Medikamente beim Patienten ankämen, seien aber allerhand Hürden zu überwinden – Arzt und Apotheker, Krankenkassen oder die Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA).

Im OTC-Markt könnten Patienten ihre Präferenzen hingegen leichter zum Ausdruck bringen. Dort würden neue Darreichungsformen und Kombinationen gut angenommen. In den Verhandlungen mit den Krankenkassen drohe solchen Neuerungen aber – vorgeblich mangels Zusatznutzens – die Festbetragsgruppe. „Aber man sieht im OTC-Markt: Der Patient will das“, betonte Zentgraf. Daher brauche das System Anpassungen. Es müsse beispielsweise hinterfragt werden, ob der Nutzenbegriff des AMNOG den Patientenpräferenzen entspricht.

Welche Rolle Präferenzen bei Entscheidungen spielen, machte Professor Dr. Axel Mühlbacher von der Hochschule Neubrandenburg mit einem einfach Beispiel deutlich: Die Entscheidung zwischen einer Bus- oder einer Flugreise etwa könne nur getroffen werden, wenn man die Vorlieben des Reisenden kenne. Ist es wichtiger, schnell anzukommen, fällt die Wahl auf den Flug, ist das Sparen relevanter, auf den Bus. Bei der Entscheidung über den Nutzen von Medikamenten würden die Präferenzen der Patienten bislang aber nicht berücksichtigt, kritisiert Mühlbacher, der das Stiftungsinstitut Gesundheitsökonomie und Medizinmanagement (IGM) leitet.

Neue Arzneimittel sind aus Sicht des BPI-Chefs nicht nur bequemer, sondern könnten auch die Therapietreue verbessern. Zentgraf kritisierte, es werde zu viel über die Kosten gesprochen, die durch neue Arzneimittel entstehen, und zu wenig darüber, welche Kosten vermieden werden.

Das Problem kennt auch ABDA-Präsident Schmidt. Aus seiner Sicht ist die Patientenorientierung eine klassische Aufgabe der Apotheker – allerdings bräuchten sie die notwendigen Instrumente und Ressourcen. Als Beispiel für ein Projekt zu Patientenpräferenzen stellte er ARMIN vor.

Der entscheidende Punkt ist aus seiner Sicht, dass die AOK Plus Geld investiert, um strukturierte Gespräche mit dem Patienten zur Medikation zu finanzieren. Diese dritte Phase des Projekts, das Medikationsmanagement, soll Schmidt zufolge nun beginnen – nachdem die technischen Voraussetzungen getroffen und die ersten Apotheker-Arzt-Paare für die Pilotphase gebildet worden seien.

Im Rahmen von ARMIN könne man vielleicht auch die Frage beantworten, warum ein Patient nicht therapietreu sei, und herausfinden, was er sich von der Therapie wünsche, hofft Schmidt. „Dafür muss man den Mut haben, in Gespräche und die Vernetzung zwischen den Beteiligten zu investieren.“

Zentgraf begrüßt zwar, dass Gespräche zwischen Patient, Apotheker und Arzt gefördert werden. Kritisch sieht die Industrie aber die Wirkstoffverordnung und den Medikationskatalog. Mit der Wirkstoffverordnung werde die Marke zum anonymen Produkt. „Aber ein Arzneimittel ist mehr als der Wirkstoff – und Gleichmacherei zwischen Wirkstoffen wollen wir keinesfalls unterstützen.“ Der Wirkstoffkatalog wiederum könne mittelfristig auf eine Positivliste hinauslaufen, warnt Zentgraf.

Auch Apotheker Dr. Andreas Reimann, Vorsitzender der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE), steht dem Wirkstoffkatalog skeptisch gegenüber. Ob dies das richtige für die Patienten sei, müsse noch evaluiert werden.

Roland Bell von der DAK-Gesundheit erteilte dem Projekt hingegen eine klare Abfuhr: „Ich würde auch heute nicht beitreten wollen.“ Bell ist das Projekt zu stark reguliert und somit für die Ärzte nicht immer leicht zu handhaben. „Und bei der Vergütung für die Ärzte hätten wir mehr auf die Bremse getreten – die ist doch sehr auskömmlich”, meint Bell.

Bell sprach sich wie – zuletzt sein Chef Professor Dr. Herbert Rebscher in Sachen Hilfsmittel – für Selektivverträge aus. Immerhin würden etwa 80 Prozent aller Leistungen von 20 Prozent der Versicherten verbraucht – und die hätten ganz andere Präferenzen als die gesunden Versicherten. Dazwischen zu agieren, sei eine Gratwanderung. Mit Selektivverträgen könne man den qualitativen Anforderungen jedoch gerecht werden.

Dass Gesunde und Kranke ganz unterschiedliche Interessen haben, weiß auch Mühlbacher. Er kritisiert, dass das Gesundheitssystem von Gesunden gedacht wird. So bezweifelt er beispielsweise, dass Kranke in Sachen Vernetzung den Datenschutz so sehr ins Feld führen würden, wie dies derzeit geschehe. Auch aus diesem Grund spricht sich Mühlbacher dafür aus, dass die Patientenvertreter im G-BA auch ein Stimmrecht erhalten.

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