Versandhandel

EU-Versender muss Steuern zurückzahlen

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Berlin -

Eine Krankenkasse überweist einer niederländischen Versandapotheke jahrelang zu viel Geld. Als das herauskommt, retaxiert die Kasse den Betrag. Der Streit geht vor Gericht und tatsächlich wird die Versandapotheke verurteilt, die zu Unrecht überwiesene Umsatzsteuer zurückzuzahlen – immerhin mehr als 160.000 Euro in einem Fall. Die Sache könnte weitere Kreise ziehen, denn laut Urteil sticht der Rahmenvertrag das EuGH-Urteil zu Rx-Boni aus.

Die niederländische Versandapotheke Montanus hatte allein bei der Pronova BKK zwischen März 2010 und Dezember 2012 Arzneimittellieferungen im Wert von rund zwei Millionen Euro in Rechnung gestellt – inklusive der Umsatzsteuer von 19 Prozent. Doch im August 2012 hatte das Bundesfinanzministerium (BMF) den GKV-Spitzenverband aufgefordert, den Kassen zu erklären, wie sie mit ausländischen Versandapotheken abrechnen müssen. Das war in der Vergangenheit offenbar in den Geschäftsstellen nicht immer klar.

Vereinfacht ist der Unterschied so: Deutsche Apotheken ziehen sich bei der Abrechnung die Umsatzsteuer von der Kasse und führen diese ans Finanzamt ab. Bei ausländischen Versandapotheken liegt ein sogenannter innergemeinschaftlicher Erwerb vor, bei dem die Kasse die Umsätze selbst versteuern muss. Der Versender liefert demnach steuerfrei. Einzige Ausnahme: Alle Beteiligten, also auch die Finanzbehörden beider Länder, stimmen einer Vereinfachungsregelung zu, nach der die Versandapotheke die Steuern selbst in Deutschland zahlt. Per Erlass erlaubte das BMF den Kassen, dies auch rückwirkend so zu handhaben. Aber im Fall Montanus war es eben nicht so.

Da die Kanzlei Hönig & Partner frühzeitig auf die Problematik aufmerksam gemacht und der CDU-Bundestagsabgeordnete Jens Spahn beim BMF nachgefragt hatte, wusste die Pronova BKK schon einen Monat vor dem BMF-Schreiben Bescheid. Also forderte sie im Juli 2012 von Montanus die Angabe der Steueridentifikationsnummer, die Bestätigung, dass die Versandapotheke brav ihre Steuern zahlt, zur Sicherheit den Namen des Finanzamtes sowie die Steuernummer. Und um jeden Zweifel auszuräumen, wollte die Kasse auch den Nachweis der niederländischen beziehungsweise deutschen Finanzbehörde, dass die Steuern auch wirklich bezahlt wurden.

Denn daran bestanden beim Montanus-Konzept „Vorteil24“ von Anfang an Zweifel. Mehrere Apotheken der Familie Winterfeld aus dem Bergischen Land hatten 2008 ein eigenes Pick-up-Konzept gestartet. Formal sollte der Kunde sein Arzneimittel selbst bei Montanus in den Niederlanden abholen, um in den Genuss von Rx-Boni zu kommen, für 50 Cent Aufschlag gab es allerdings den Pick-up-Service. Die Apothekenkooperation Linda protegierte das Modell und bot es ihren Mitgliedern an. Der Bundesfinanzhof (BFH) und der Bundesgerichtshof (BGH) enttarnten das Konstrukt als unzulässiges Steuersparmodell.

Im sozialrechtlichen Streit mit der Pronova BKK schickte Montanus dagegen tatsächlich eine Bestätigung des Finanzamts Kleve, dass man Umsatzsteuer bezahlt habe, dabei kann es sich allerdings auch um die ohnehin zu versteuernden OTC-Umsätze gehandelt haben. Eine Bescheinigung für die Anwendung der Vereinfachungsregelung blieb die Versandapotheke jedenfalls laut dem aktuellen Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz (LSG) schuldig.

Die BKK behielt daraufhin eine sechsstellige Zahlung ein und kündigte an, auch künftige Abrechnungen zu retaxieren, bis die fraglichen Dokumente beigebracht wären. Montanus wollte den Fall zu den Akten legen, immerhin habe man „Vorteil24“ mittlerweile eingestellt. Tatsächlich wurde die Kooperation mit Linda im Juli 2012 Hals über Kopf eingestellt. Im Herbst 2012 hatte Montanus monatlich nur noch dreistellige Beträge mit der Pronova BKK abgerechnet.

Doch die Kasse ließ nicht mit sich verhandeln: Da Montanus von der Vereinfachungsregelung offenbar keinen Gebrauch gemacht habe, sei die Umsatzsteuer zu Unrecht in Rechnung gestellt worden. Entsprechend forderte die Pronova BKK rückwirkend richtige Rechnungen und Rückzahlung der „falschen“ Umsatzsteuer.

Montanus meinte, nach dem Beitritt zum Rahmenvertrag wie jede andere Apotheke abrechnen zu können. Demnach handelt es sich bei der Abrechnung gemäß der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) um eine „Bruttopreisabsprache“. Das Risiko einer irrtümlich zu hohen Preiskalkulation liege daher bei der Kasse.

Die Kasse musste sich zwischenzeitlich jedoch selbst mit dem Finanzamt herumschlagen. Bei einer Sonderprüfung im Januar 2013 kam das Finanzamt Ludwigshafen zu dem Ergebnis, dass die Kasse die Umsätze ausländischer Versandapotheken selbst versteuern müsse und erließ für die drei fraglichen Jahre entsprechende Umsatzsteuerbescheide.

Schließlich traf man sich vor dem Sozialgericht Speyer, das der Kasse recht gab und Montanus zur Zahlung verurteilte. Die Versandapotheke habe „Leistungen ohne Rechtsgrund erlangt“. Die Berufung vor dem LSG blieb ebenfalls ohne Erfolg: Die Kasse habe einen öffentlich-rechtlichen Anspruch auf die zu Unrecht kassierte Umsatzsteuer. Das umfasse auch die Umsatzsteuer auf Herstellerrabatte.

Das LSG bezog auch Stellung zum Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu den Rx-Boni von DocMorris. Die Luxemburger Richter hatten im Oktober 2016 entschieden, dass ausländische Versandapotheken sich nicht an die Preisbindung halten müssen. Darauf kommt es laut LSG im Fall Montanus aber nicht entscheidend an: Weil Montanus dem Rahmenvertrag beigetreten war, sei die AMPreisV nicht kraft Gesetzes oder Verordnung, „sondern auf vertraglicher Grundlage anwendbar; in diesem Fall bestehen keine Bedenken an der Vereinbarkeit mit europäischem Recht“, so die Richter mit Verweis auf eine Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG). Die Kassen sind in dieser Frage bekanntlich anderer Meinung und lassen die EU-Versender mit ihren Boni-Modellen gewähren.

Zwar sei darin ein einheitlicher Apothekenabgabepreis vorgesehen, davon sei aber in Sachen Umsatzsteuer eine Ausnahme zu machen, so das LSG weiter. Denn ansonsten würden deutsche Apotheken zu Unrecht schlechter gestellt, „weil ihnen gegenüber Apotheker aus dem EU-Ausland letztlich einen um den Betrag der Umsatzsteuer höheren Erlös durch Vergütung von der Krankenkasse erzielen könnten“. Beim Rahmenvertrag gehe es aber gerade um eine Gleichstellung aller Apotheken, so das LSG.

Montanus hatte noch versucht, Teile der Forderungen als verjährt abzuwenden. Denn immerhin habe die Kasse außerhalb der Fristen des Arzneiliefervertrags Rheinland-Pfalz retaxiert. Diesem Vertrag war Montanus aber nie beigetreten und hatte das auch nie versucht. Entsprechend konnte die Versandapotheke auch keine Rechte daraus ableiten.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache hat das LSG Revision zum Bundessozialgericht (BSG) zugelassen.

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