Kammer vermutet Steuertrick bei Rx-Boni Julia Pradel, 18.03.2016 14:57 Uhr
Über Rx-Boni von niederländischen Versandapotheken wird seit Jahr und Tag gestritten. Die Grundsatzfrage der Zulässigkeit wird gerade beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) geklärt. Derweil treibt die Apothekerkammer Nordrhein (AKNR) zusätzlich die Frage der Besteuerung um. Justiziarin Dr. Bettina Mecking hat beim Apothekenrechtstag einen Aufsatz des Rechtsanwalt Dr. Joachim Wüst von der Kölner Kanzlei PNHR vorgestellt. Der Steuerberater wittert bei den Boni einen Steuerbetrug zu Lasten des deutschen Fiskus. Beweise dafür gibt es allerdings nicht.
Bezahlen Privatpersonen direkt bei einer niederländischen Versandapotheke – als Privatversicherte oder OTC-Käufer – gilt steuerrechtlich das Bestimmungslandprinzip. Das bedeutet, dass die Versandapotheke die Umsätze in den Niederlanden versteuert. Sobald ein Unternehmen im Jahr allerdings Waren im Wert von mehr als 100.000 Euro nach Deutschland liefert, muss es auch die deutsche Umsatzsteuer zahlen. Große niederländische Versandapotheken liegen regelmäßig über dieser Grenze.
Bei gesetzlich Versicherten ist hingegen nicht der Patient Kunde der Versandapotheke, sondern seine Krankenkasse. Obwohl Kassen nicht als Unternehmer anzusehen seien, würden sie den Vorgaben zur Besteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs unterliegen, erklärt Wüst. Die Umsätze müssten daher immer in Deutschland versteuert werden. Die Krankenkasse ist Schuldner der Steuer, muss sie berechnen und an das Finanzamt abführen.
Wüst vermutet allerdings, dass die Krankenkassen dieser umsatzsteuerlichen Pflicht gar nicht nachkommen. Schließlich gebe es keine technischen Voraussetzungen dafür, Abrechnungen zwischen ausländischen und deutschen Apotheken zu unterscheiden. Die Abrechnung von belieferten Rezepten erfolge über die Abrechnungsstellen, jede Apotheke erhalte dafür ein Institutionskennzeichen (IK). Die Kennzeichen würden jedoch nicht zwischen ausländischen und deutschen Apotheken differenzieren, erklärt Wüst.
Zwar geht Wüst davon aus, dass die niederländischen Versandapotheken Umsätze mit Privatpersonen jenseits der 100.000 Euro ordnungsgemäß versteuern. Die Umsatzsteuererklärung umfasst seiner Überzeugung nach aber nicht die Lieferungen an die Krankenkassen. Denn Schuldner seien die Kassen und nicht die Apotheken. „Die niederländischen Versandhändler werden garantiert keine Umsatzsteuer an den deutschen Fiskus abführen, die sie überhaupt nicht schulden“, ist Wüst überzeugt. Er gesteht allerdings ein, dass es sich dabei bislang um eine Vermutung handelt.
Tatsächlich hatte sich schon das Bundesfinanzministerium (BMF) im Zusammenhang mit „Vorteil24“ mit der Steuerproblematik befasst. Im Jahr 2013 erfolgte eine entsprechende Klarstellung. Das Pick-up-Konzept wurde eingestampft. Die großen niederländische Versandapotheken waren seinerzeit aber gerade nicht betroffen.
Dem Vernehmen nach gibt es seither eine Regelung zwischen dem BMF und dem GKV-Spitzenverband zur Umsatzsteuerproblematik. In der Tat klingt es abenteuerlich, dass sich der Fiskus Millionenbeträge entgehen lassen soll. Entsprechend gelassen geht man bei den Versendern mit der Frage um. Auch ein noch laufendes Verfahren in der Sache vor dem Finanzgericht Düsseldorf macht in der Branche niemanden nervös.
Fakt ist aber, dass die Kassen die Umsatzsteuer nicht selbst abführen. Eine Sprecherin der AOK-Rheinland teilte auf Nachfrage mit: „Ausländische Versandapotheken rechnen mit den gleichen Apothekenabrechnungsstellen ab wie inländische Apotheken und stellen die deutsche Umsatzsteuer von 19 Prozent in Rechnung. Inwieweit ausländische Versandapotheken ihre Umsatzsteuer an ihr heimisches Finanzamt abführen, ist uns nicht bekannt.“
Wüst dagegen vermutet, dass seit April 2013 – vorher griff eine Ausnahmeregelung – für Lieferungen an die Krankenkassen überhaupt keine Umsatzsteuer abgeführt wurde: von den Versandapotheken nicht, weil sie die Steuer nicht schuldeten, und von den Kassen nicht, weil diese gar nicht feststellen könnten, welche Umsätze auf die niederländischen Versandapotheken entfielen.
Wüst sieht sogar einen Versicherungsbetrug: Schließlich würden die Versandapotheken von den Krankenkassen den Bruttoertrag erstattet bekommen, obwohl sie die Umsatzsteuer weder an den deutschen noch an den niederländischen Fiskus abführten. Da die Kassen Schuldner der Umsatzsteuer seien, dürften sie eigentlich nur die Nettobeträge zahlen. Aber auch dies sei technisch nicht möglich – da keine Differenzierung zwischen deutschen und ausländischen Apotheken erfolgen könne. Die AKNR erwägt Mecking zufolge sogar, Strafanzeige zu stellen, um die Sache zu klären.