„Was hätten wir besser machen können, wenn wir dürften?“, fragt sich die Vorständin der Siemens-Betriebskrankenkasse, Dr. Gertrud Demmler. Die Antwort scheint auf der Hand zu liegen. Könnten die Kassen die Potenziale der Digitalisierung voll ausschöpfen, wäre es im Fall Valsartan anders gelaufen.
Die Rückrufwelle Valsartan-haltiger Arzneimittel sorgt noch immer für Diskussionsstoff, so die SBK. Der Angiotensin-Rezeptorblocker wird aufgrund einer Wirkstoff-Verunreinigung mit dem als potenziell krebserregend eingestuften N-Nitrosodimethylamin von diversen Herstellern und in zahlreichen Chargen zurückgerufen. Die Verunreinigung ist womöglich auf die Umstellung des Herstellungsprozesses im Jahr 2012 beim chinesischen Unternehmen Zhejiang Huahai Pharmaceuticals zurückzuführen. Der Rückruf erfolgte in Europa und den USA.
Betroffen sind auch etwa 30.000 Versicherte der SBK, so Demmler. „Apotheker, Ärzte und Krankenkassen werden von verunsicherten Patienten kontaktiert, Verbraucherschützer warnen vor Panik bei den Betroffenen, die ihre Medikamente ohne ärztliche Rücksprache absetzen. Gleichzeitig diskutieren ironischerweise Ärzteschaft, Politik und Krankenkassen über die Zukunft der elektronischen Patientenakte.“
Wer sich jetzt fragt, was das mit dem Valsartan-Rückruf zu tun hat, erhält von Demmler eine zukunftsweisende Antwort. „Angenommen, es gäbe eine fertige Telematikinfrastruktur und einen geregelten Zugriff darauf. Angenommen, der Versicherte wäre wirklich Herr seiner Daten und dieses Recht wäre gesetzlich verankert. Dann wäre es im Fall Valsartan anders gelaufen als heute“, sagt Demmler.
„Wir Krankenkassen hätten die vorliegenden Abrechnungsdaten der Apotheker nutzen dürfen oder hätten sogar Zugriff auf die ganz aktuellen Verordnungsdaten – falls der Versicherte dem zugestimmt hat. Wir hätten die Betroffenen aktiv aufklären können, was überhaupt passiert ist und was jetzt zu tun ist. Wir hätten ihnen sagen können, dass sie für ein neues Rezept noch einmal zum Arzt gehen müssen und was wir als Kasse für sie tun können. Wir hätten diese Informationen als Push-Nachricht in der App an unseren Versicherten schicken, per E-Mail oder telefonisch übermitteln können. Wir hätten ihnen damit die Unsicherheit nehmen können“.
Demmler plädiert für „klare rechtliche Vorgaben“. Der Stand heute sieht anders aus: „Hätte, hätte, hätte. Tatsache ist: Wir können dieses Potenzial heute nicht ausschöpfen. Weil sich alle Beteiligten zu sehr gegenseitig blockieren und im Klein-Klein der Diskussionen verlieren. Weil beim Thema Datenschutz immer noch unterschiedliche Rechtsauslegungen herrschen. Weil der sich aktuell in Abstimmung befindende Referentenentwurf, der die Regelungen der DSGVO ins Sozialgesetzbuch V übertragen soll, die Möglichkeiten eher einschränkt als erweitert. Wir müssen hier Fortschritte machen, im Sinne unserer Versicherten. Damit wir sie das nächste Mal besser unterstützen können.“
2017 seien zulasten der Kassen etwa neun Millionen Packungen Valsartan-haltiger Arzneimittel verordnet worden, teilte die Parlamentarische Staatssekretärin im Gesundheitsministerium, Sabine Weiss, laut Tagesspiegel mit. „Da rund 40 Prozent der Chargen von dem Rückruf betroffen sind, könnten auf Grundlage der oben genannten Verordnungszahlen circa 900.000 Patientinnen und Patienten betroffen sein.“ Allerdings bestehe nach Einschätzung der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) und des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) „kein akutes Gesundheitsrisiko“.
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