Kein Regress beim Sprechstundenbedarf Julia Pradel, 15.03.2016 14:10 Uhr
Der Arzt wollte besonders sparsam sein: Weil er bestimmte Impfstoffe nur selten einsetzte, verordnete er sie auf Einzelrezepten für den jeweiligen Patienten und nicht als Sprechstundenbedarf. Das passt allerdings nicht ins System. Die betroffene Deutsche BKK beantragte eine Prüfung und stellte dem Arzt wurden 215 Euro in Regress. Er wehrte sich und bekam vom Bayerischen Landessozialgericht (LSG) recht.
In dem Verfahren ging es um die Impfstoffe Neisvac-C gegen Meningokokken C und Engerix-B für Kinder gegen Hepatitis B. Der Arzt hatte die Vakzine auf Rezepten für die jeweiligen Patienten verordnet, obwohl er sie eigentlich über den Sprechstundenbedarf hätte beziehen müssen. Er argumentierte, dass er die Impfungen selten einsetze. Es sei daher wirtschaftlicher, einzelne Rezepte zu schreiben statt größere Bestände auf Sprechstundenbedarf zu bestellen und verfallene Impfstoffe wegwerfen zu müssen.
Die Deutsche BKK akzeptierte das nicht und schaltete die Prüfungsstelle der Ärzte in Bayern ein. Das Gremium ist mit Vertretern der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) besetzt und prüft die Wirtschaftlichkeit der Versorgung. Die Prüfungsstelle setzte den Regress fest und verwies auf die entsprechende Vereinbarung mit den Kassen. Darin ist geregelt, dass Hepatitis-B-Impfstoffe für Kinder und Vakzine gegen Meningokokken C über den Sprechstundenbedarf bezogen werden müssen. Das gelte auch für Einzeldosen.
Die Prüfungsstelle verwies auf das Abrechnungssystem: Den Sprechstundenbedarf würden alle Vertragsärzte im Bezirk einer bestimmten Krankenkasse – in diesem Fall der AOK Bayern – in Rechnung stellen, ohne Bezug zu einzelnen Patienten. Die Kosten würden von allen Krankenkassen nach einem bestimmten Schlüssel getragen. Patientenbezogene Verordnungskosten würden hingegen nur bei der Kasse anfallen, bei der der Patient versichert sei. Daher sei der Deutschen BKK ein Schaden entstanden.
Diese inhaltlichen Aspekte wurden vom LSG jedoch nicht geprüft. Denn letztlich ging es um die Frage, ob die Prüfungsstelle den Fall überhaupt untersuchen durfte. Die Richter schlossen sich der Einschätzung der Vorinstanz an: Laut Sozialgericht München gibt es für die durchgeführte Wirtschaftlichkeitsprüfung keine Rechtsgrundlage.
Die Prüfungsstelle ist laut LSG nur für die vertragsärztliche Versorgung zuständig – doch darunter fallen die Durchführung von Schutzimpfungen und die Verordnung von Impfstoffen nicht. Der Bescheid der Prüfungsstelle sei damit bereits formell rechtswidrig.
Der Gesetzgeber habe den Sicherstellungsauftrag für die Versorgung mit Impfstoffen 2007 ausschließlich den Krankenkassen zugewiesen. Im Sozialgesetzbuch (SGV V) ist seitdem geregelt, dass Kassen mit den Ärzten Verträge über die Durchführung von Schutzimpfungen schließen müssen. Daraus werde ersichtlich, dass dies eben nicht im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung erfolge. Die Kosten für die Impfstoffe und die Behandlung fielen daher nicht unter das Budget der Ärzte.
Die Richter gaben der Prüfungsstelle zwar dahingehend recht, dass die Neuregelung sicher nicht zum Ziel gehabt habe, die gemeinsame Prüfzuständigkeit von Kassen und KVen einzuschränken. Dies schließe aber nicht aus, dass es durch die Neuformulierung zu diesem ungewollten Nebeneffekt gekommen sei.
Immerhin: Seit 2011 können Kassen und Ärzte der Prüfungsstelle auch Leistungen vorlegen, die außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung verordnet wurden. Da es in dem vorliegenden Fall aber um Rezepte aus dem dritten und vierten Quartal 2010 ging, greift auch diese Vorgabe nicht. Zumal die Zuständigkeit nicht entsprechend geregelt worden sei.
Dennoch sehen die Richter eine grundsätzliche Bedeutung. Deshalb haben sie – wie von der Prüfungsstelle beantragt – Revision zum Bundessozialgericht (BSG) zugelassen. Das muss gegebenenfalls höchstrichterlich die Frage klären, ob die verordnung von Impfstoffen auch nach der Gesetzesänderung im Jahr 2007 noch der gemeinsamen Prüfzuständigkeit der KVen und Kassen unterliegt.