Die Kassenärzte kommen nicht zur Ruhe. Nach den Querelen im Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) sorgen jetzt die Berliner Ärzte und die Barmer GEK für Schlagzeilen: Sie sollen gemeinschaftlich durch sogenanntes Upcoding überhöhte Gelder aus dem Risikostrukturausgleich (RSA) abgezapft haben. Staatsanwälte durchsuchten jetzt Büros.
Bereits in der vergangenen Woche hat die Berliner Polizei nach einem Bericht der „B.Z.“ Büros der Barmer GEK in Berlin-Kreuzberg und der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) in Berlin-Charlottenburg durchsucht. Der Vorwurf lautet auf Betrug und Bestechlichkeit. Demnach ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen vier Beschuldigte. Unter ihnen sind führende Verantwortliche der KV und der Barmer in Berlin.
Es geht um einen Betreuungsstrukturvertrag. In diesem Rahmen soll sich die KV Berlin von der Barmer bezahlt haben lassen, damit sie nachträglich die Codes von Arzt-Diagnosen ändert. Diese Codes regeln die Kostenerstattung von medizinischen Leistungen. Die Barmer soll so versucht haben mehr, über den RSA Geld aus dem staatlichen Gesundheitsfonds zu erhalten. Für die KV-Leistungen sollen Summen von mindestens 250.000 Euro geflossen sein, weitere 500.000 sollten folgen.
Das Bundesversicherungsamt (BVA) und die Senatsverwaltung für Gesundheit haben dem Bericht zufolge Prüfverfahren gegen Barmer und KV eingereicht. Das BVA hatte das bereits Ende November angestrengt. Die Barmer hatte die Vorwürfe im November als haltlos zurückgewiesen. Die KV unterstütze die Staatsanwaltschaft vorbehaltlos bei den Ermittlungen, teilte der Verband. Barmer und KV argumentieren, dass man im Rahmen der üblichen Plausibilitätsprüfung von Arzt-Abrechnungen gehandelt habe.
„Die Aufklärung des Sachverhaltes ist im ureigensten Interesse der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin. Aus diesem Grund unterstützt die Kassenärztliche Vereinigung Berlin auch vorbehaltlos die bei der Staatsanwaltschaft geführten Ermittlungen“, teilte die KV Berlin mit. Für die Mitglieder des Vorstandes der KV Berlin gelte die Unschuldsvermutung.
Auch die Barmer GEK Berlin-Brandenburg bestätigte die Vorgänge: „Wir arbeiten mit den Ermittlern zusammen, weil wir auch möchten, dass die Vorwürfe so schnell wie möglich aus der Welt geschafft werden. Wir rechnen damit, dass das Verfahren eingestellt wird“, sagte ein Sprecher der „Ärzte Zeitung“.
Aufmerksam gemacht auf die Problematik des Upcoding von Krankheiten hatte im Herbst der Chef der Techniker Krankenkasse (TK), Jens Baas: „Es ist ein Wettbewerb zwischen den Kassen darüber entstanden, wer es schafft, die Ärzte dazu zu bringen, für die Patienten möglichst viele Diagnosen zu dokumentieren“, sagte Baas in einem Interview. Dann gebe es mehr Geld aus dem Risikostrukturausgleich.
Die Kassen bezahlten zum Beispiel Prämien von zehn Euro je Fall für Ärzte, wenn sie den Patienten auf dem Papier kränker machten. Es gebe sogar Verträge mit Ärztevereinigungen, die mehr und schwerwiegendere Diagnosen zum Ziel hätten. Die Kassen ließen sich zudem in dieser Richtung von Unternehmensberatern beraten, erläuterte Baas.
Besonders intensiv würden die regionalen Kassen diese „Schummelei“ betreiben. „Sie bekommen 2016 voraussichtlich eine Milliarde Euro mehr als sie für die Versorgung ihrer Versicherten benötigen.“ Für all das hätten die Kassen seit 2014 eine Milliarde Euro ausgegeben, die für die Behandlung der Patienten fehle, sagte der Chef der größten deutschen gesetzlichen Krankenkasse. Ohne die Manipulationen könnte der Beitragssatz der TK 0,3 Prozentpunkte niedriger liegen. „Ich möchte, dass das System manipulationsresistent gemacht wird“, sagte Baas zur Begründung, warum er die Schummeleien seiner und der anderen Kassen öffentlich macht.
Der Risikostrukturausgleich (RSA) weist einer Kasse Geld aus dem Gesundheitsfonds zu je nach Schwere der Erkrankung der Versicherten. Er ist vielen Kassen seit längerem ein Dorn im Auge. Einige Ersatz-, Betriebs- und Innungskrankenkassen hatten sich Anfang März zu einer RSA-Allianz zusammengeschlossen und eine Finanzreform noch in dieser Legislaturperiode gefordert.
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