Auf einer Podiumsdiskussion bei einer GKV-Veranstaltung zum Zustand der Krankenkassen stand gestern auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in der Kritik. Insbesondere der gesundheitspolitische Sprecher des ehemaligen Ampel-Partners FDP, Andrew Ullmann, fand deutliche Worte.
Die Krankenkassen ächzen unter den explodierenden Kosten, die Pflegekassen stehen kurz vor dem Kollaps – doch in dieser Legislaturperiode wurden weder die erhoffte Dynamisierung des Bundeszuschusses noch die groß angekündigten Reformen zur Pflegefinanzierung umgesetzt. Das wird sich wohl auch bis zum Ende der Legislaturperiode nicht mehr ändern; bis nach den Neuwahlen eine Regierungskoalition steht, dürfte es vermutlich bereits Sommer sein.
Schon mit der Wahl seines Platzes auf der Bühne wollte Ullmann offenbar ein Zeichen setzen. Als dritter – nach den Grünen und der SPD – aufgerufener parlamentarischer Gast nahm er nicht auf dem nächsten freien Stuhl Platz, sondern ließ mehrere Plätze frei und setzte sich auf den Stuhl ganz links – am weitesten entfernt von seinen ehemaligen Koalitionspartnern.
Im Fokus der Diskussion standen die schleppende Krankenhausreform und die ausgebliebene Pflegefinanzierungsreform. Besonders der Transformationsfonds im Rahmen der Krankenhausreform wurde scharf kritisiert. Immerhin waren sich alle Gesprächspartner einig, dass bei der bereits beschlossenen Reform noch nachjustiert werden müsse. „Ich bin fest davon überzeugt, dass wir bei der Transformation Gas geben müssen“, erklärte Janosch Dahmen, gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen. Die Versorgung müsse qualitativ besser werden.
„Die Verbesserungen sollten aber nicht von den Beitragszahlern finanziert werden. Die Krankenversicherung wird für alles Mögliche herangezogen“, kritisierte Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes. Mit dem Transformationsfonds werde diese Praxis nun zusätzlich gesetzlich verankert. Dabei dürften Beitragsgelder lediglich den Betrieb, nicht aber den strukturellen Umbau finanzieren. Der Transformationsfonds sei in der aktuellen Form verfassungsrechtlich nicht haltbar.
Auf Nachfrage erklärte Tino Sorge, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU, dass die Finanzierung des Transformationsfonds eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei, die auch über Steuergelder gedeckt werden müsse. „Die Art und Weise, wie die Reform gemacht wurde, ist problematisch“, so Sorge weiter. Besonders die Kommunikation mit den Ländern habe Lauterbach vernachlässigt. „Der Transformationsfonds wurde einfach verkündet, ohne mit den Ländern oder den Kassen zu sprechen.“ Sorge versprach, in der nächsten Legislaturperiode einen Wechsel im Politikstil anzustreben. Er kritisierte zudem, dass nach wie vor keine belastbare Auswirkungsanalyse der Reform vorliegt. Bevor man über Finanzierungskonzepte nachdenken könne, müsse erst klar sein, wie sich die Reform auf die Anzahl der Krankenhäuser auswirken werde.
Christos Pantazis, der stellvertretende gesundheitspolitische Sprecher der SPD, verwies darauf, dass der Bund noch an drei Verordnungen zur Krankenhausreform arbeite, darunter eine zum Transformationsfonds, die noch verabschiedet werden müssten. Dahmen betonte, dass er hier noch auf eine zeitnahe Verabschiedung hofft.
Das zweite große Thema des Abends war die Finanzierung der Pflege und der Zustand der Pflegekassen. „Die ersten Pflegekassen werden bereits im Februar Liquiditätsprobleme haben“, warnte Pfeiffer. Eine kurzfristige Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit in der Pflege müsse schnell gewährleistet werden. Eine Verordnung, mit der der Beitragssatz der Sozialen Pflegeversicherung um 0,2 Prozentpunkte erhöht werden sollte, wurde erst heute vom Gesundheitsausschuss angenommen.
Die mehrfach groß von Lauterbach angekündigten Reformen zur Pflege und Pflegefinanzierung wurden bisher nicht vorgelegt. „Wir hatten Chancen in der Ampel, aber der Minister hat diese nicht genutzt. Das ist allein dem Minister zuzuschreiben!“, erklärte Ullmann.
Dahmen forderte, dass die Opposition gemeinsam mit der Rest-Ampel einige wichtige Gesetze im Gesundheitswesen unterstützen solle. Sein Argument: Die Probleme seien zu drängend, um sie länger aufzuschieben.
Die Union und die FDP sehen das anders. Nicht die Opposition stelle sich quer, hieß es, vielmehr habe das BMG in den vergangenen drei Jahren schlicht nicht geliefert. „Es ist billig und erpresserisch vom BMG, jetzt schnell etwas per Verordnung durchsetzen zu wollen. Ich kann nicht sagen, ob wir es umsetzen werden“, erklärte Ullmann.
„Seit drei Jahren warten wir auf Vorschläge“, kritisierte Sorge. Die Verordnungen, die jetzt aus dem BMG kommen, seien viel zu spät, die Fristläufe zu knapp. „Die Ampel hat hier strukturell nichts vorangebracht“, bemängelte er. Lauterbach hatte wie so oft dutzende Ankündigungen zur Reform der Pflegefinanzierung gemacht, doch einen konkreten Entwurf blieb er bis zuletzt schuldig.
Am Rande wurde auch das Thema Patientensteuerung und Eigenverantwortung im Gesundheitsbereich angesprochen. Ullmann und Sorge betonten die Notwendigkeit von mehr Eigenverantwortung. Insbesondere im Hinblick auf den demografischen Wandel seien die Kosten sonst kaum zu stemmen. Beide brachten Anreizsysteme oder eine Selbstbeteiligung bei Behandlungen ins Gespräch. Auch Pantazis hielt Anreizmodelle für sinnvoll; die derzeitige Anspruchshaltung der Bevölkerung sei nicht mehr haltbar.
Zur Steuerung wurde über ein Primärarztsystem nachgedacht, um einerseits unnötige Untersuchungen zu vermeiden und andererseits die Fachärzte zu entlasten. Apotheken wurden in diesem Zusammenhang allerdings von keinem der Abgeordneten erwähnt.
Neben den drei Verordnungen zur Krankenhausreform gab es auf Nachfrage keine klaren Aussagen, ob die geschwächte Regierung aus SPD und Grünen weitere Reformprojekte im Gesundheitswesen voranbringen will. „Bis zur Vertrauensfrage am 16. Dezember und danach müssen wir schauen, was gemeinsam mit der Opposition noch möglich ist“, erklärte Pantazis.