Ukrainische Packungen: Keytruda illegal in Verkehr gebracht? Laura Schulz, 17.08.2024 08:43 Uhr
Keytruda in ukrainischer Aufmachung sorgte bei einem Großhändler in Köln für Wirbel. Die Bezugswege über eine Berliner Firma, vermeintlich ohne notwendige Großhandelserlaubnis, brachte erst das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) in Spiel und anschließend das Verwaltungsgericht Berlin (VG). Am Ende bekam der Berliner Zwischenhändler jedoch Recht.
Im Februar 2020 reichte ein Unternehmen beim LaGeSo einen Antrag zum Großhandel mit Arzneimitteln ein. Im Juni 2021 folgte die Erlaubnis, die sich auf die Beschaffung, Lieferung und Ausfuhr von sowie auf Streckengeschäfte mit Humanarzneimitteln mit Erlaubnis zum Inverkehrbringen in einem EWR-Staat erstreckte. Die Erlaubnis galt jedoch nur für den Großhandel mit Arzneimitteln mit der Genehmigung zum Inverkehrbringen in einem EWR-Staat.
Im Oktober 2023 tauchte bei der Inspektion eines Arzneimittelgroßhändlers in Köln jedoch das Krebsarzneimittel Keytruda in ukrainischer Aufmachung auf, das über den besagten Lieferanten gehandelt wurde. Von der Großhandelserlaubnis des Unternehmens sei das aber nicht gedeckt gewesen. Denn: Die 24 Einheiten Keytruda kamen über eine Anschrift in Litauen. Es tauchte auch noch ein zweiter Vorgang auf: Hierbei wurden 200 Einheiten Keytruda bestellt; die Ware lagerte in Kiew, Ukraine, als Lieferort war Tallinn, Estland, angegeben.
Auch die schweizerische Zulassungs- und Aufsichtsbehörde Swissmedic wurde zwischenzeitlich auf den Fall aufmerksam gemacht, da die Krebsarzneimittel auch verschiedenen Großhändlern in der Schweiz und anderen Ländern angeboten wurden. Der besagte Großhändler stand zudem im Verdacht, gefälschte oder Arzneimittel mit abgelaufenem Verfallsdatum gehandelt zu haben. Die Bezirksregierung Köln ordnete daher Ende Oktober 2023 an, dass dem Berliner Großhändler der Handel mit Arzneimitteln, für die er keine entsprechende Erlaubnis besitze, untersagt werde.
Am 1. November 2023 durchsuchte dann das Landeskriminalamt für Arzneimittel- und Rezeptfälschungsdelikte zusammen mit dem LaGeSo die Betriebsstätte des Großhändlers in Berlin. Der Geschäftsführer bestätigte, dass es sich bei den gehandelten Packungen um Keytruda in ukrainischer Aufmachung handelte – bestimmt für den ukrainischen Markt. Die Durchsuchung brachte noch einen weiteren Handelsvorgang zutage: Im Oktober 2023 wurden beim Händler in Kiew erneut 200 Packungen Keytruda bezogen und an den Händler in Litauen weiterverkauft.
Berliner Händler als „Vermittler“
Dabei soll der Händler in Litauen bei den Vorgängen jeweils bestimmte Mengen Keytruda beim Berliner Unternehmen angefragt haben, das bei seinen Handelspartnern anfragte und die Ware dann direkt an Kunden des Litauer Unternehmens versenden ließ. Laut Aussage des Geschäftsführers gab es 2023 sechs bis sieben derartige Handelsvorgänge. Die Arzneimittel wurden dabei aus der Ukraine in Freizonen nach Litauen oder Estland verbracht. Ein Nachweis darüber, dass es sich bei den Lagern in Estland und Litauen aber um Freizonen handelt, konnte jedoch zunächst nicht vorgelegt werden.
Eine Schuld sah der Berliner Händler nicht bei sich: Zu keiner Zeit seien nicht in der Europäischen Union (EU) zugelassene Medikamente eingeführt worden. Zudem sei der Handel mit außerhalb der EU befindlichen und dort zugelassenen Arzneimitteln auch innerhalb der EU zulässig, wenn keine Einfuhr erfolge. Der Großhändler habe kein eigenes Lager mit nicht zugelassenen Medikamenten. Die gehandelte Ware sei unter Zollverschluss in Freizonen von Estland, Lettland und Litauen und würde das EU-Gebiet nie erreichen.
LaGeSo untersagt Handelsmodell
Mitte November untersagte dann auch das LaGeSo dem Berliner Großhändler das Inverkehrbringen von Fertigarzneimitteln in Deutschland, die nicht hierzulande zugelassen sind oder für die in der Europäischen Gemeinschaft oder der EU keine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt wurde. Zudem wurde auch der Bezug von Arzneimitteln aus Drittländern mit der Absicht des Inverkehrbringens innerhalb der EU oder des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) sowie die Einfuhr von Arzneimitteln in einen EU-Mitgliedstaat oder EWR-Staat untersagt.
Zur Begründung führte das LaGeSo an, der Berliner Großhändler habe gegen arzneimittelrechtliche Vorschriften verstoßen. Es sei belegt, dass mehrfach Arzneimittel von Betrieben außerhalb der EU oder des EWR bezogen und diese anschließend im Rahmen eines Streckengeschäftes mit dem Händler Estland mit Sitz in Deutschland verkauft habe.
Bereits der Verkauf der Arzneimittel im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes erfülle den Tatbestand des „Inverkehrbringens“, eine physische „Verbringung“ sei hierfür nicht erforderlich. Bei den Arzneimitteln handelte es sich um Keytruda in ukrainischer Aufmachung und damit um Fertigarzneimittel, die nicht in der EU zugelassen seien, wodurch der Händler gegen seine Erlaubnis verstoßen hatte. Anhand der vorliegenden Informationen könne zudem nicht ausgeschlossen werden, dass die Arzneimittel nicht auch physisch in die EU verbracht worden seien.
Zudem könne nicht sichergestellt gewesen sein, dass die bezogenen Arzneimittel tatsächlich wieder aus der EU ausgeführt würden, da die Keytruda-Packungen mit dem Verkauf an einen weiteren Großhändler den Verantwortungsbereich der Berliner verließen. Die vorliegenden Erkenntnisse deuteten darauf hin, dass die Berliner Handel mit dem nicht zugelassenen Fertigarzneimittel Keytruda aus einem Drittland betrieben habe. Ein Eindringen von Fälschungen in die legale Lieferkette sei ebenfalls nicht auszuschließen.
Widerspruch hat vorm VG Erfolg
Hiergegen legte der Großhändler Widerspruch ein – und bekam vorm VG Recht. Ein Verstoß war am Ende für das Gericht nicht erkennbar. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Berliner Firma Keytruda in das Bundesgebiet eingeführt hat oder einführen wollte, seien für das Gericht nicht ersichtlich. Vielmehr habe man substantiiert und hinreichend nachvollziehbar vorgetragen, dass Keytruda nicht in den zollrechtlich freien Verkehr in einem EU-Mitgliedstaat, sondern in zollrechtliche Freizonen in Estland und Litauen liefern ließ.
Auch mit dem Kauf von in der EU nicht zugelassenen Keytruda-Packungen im EU-Ausland und deren Weiterverkauf an den deutschen Großhändler in Köln, wobei die Arzneimittel aus der Ukraine in eine Freizone in Litauen oder Estland verbracht werden, verstießen die Berliner nicht gegen geltendes Recht, befand das Gericht in Berlin.