Kommentar

TK – Teilweise Krankenkasse Patrick Hollstein, 11.04.2012 18:15 Uhr

Berlin - 

Eines muss man Professor Dr. Norbert Klusen lassen: Er ist einer der erfolgreichsten Kassenmanager in Deutschland. Doch warum trommelt der TK-Chef kurz vor seinem Ausscheiden noch einmal so laut dafür, das System der gesetzlichen Krankenversicherung komplett zu reformieren? Und wie weit würde Klusen wirklich gehen, um seinen Nachfolgern mehr Spielraum im Umgang mit den Leistungserbringern zu verschaffen. Welche Privilegien müssten die Kassen und deren Versicherte für ein rein wettbewerbliches System opfern?

 

Für Klusen ist das Thema Vertragsfreiheit eine Herzensangelegenheit: Seit Jahren versucht der Kassenchef, selektive Vereinbarungen mit bestimmten Leistungserbringern zu schließen – gern auch mit Apotheken. Man verstehe sich aufgrund der Versichertenstruktur als „Ballungsraumkasse“, rechtfertigte Klusen die Zusammenarbeit mit einer MVZ-Kette, die nur an wenigen Standorten vertreten war und der die TK später wegen des Verdachts auf Abrechnungsbetrug kündigen musste.

Nach eigenem Bekunden geht es Klusen um einen einheitlichen Krankenversicherungsmarkt; und weil man die PKV wegen ihrer Bestandsrechte nicht verstaatlichen könne, müsse eben die GKV privatisiert werden. Das passt, denn ohnehin findet Klusen, dass die Krankenversicherung zu sehr staatlich gesteuert wird. Von „Beleihung“ von Kompetenzen ist in Klusens bislang nur in Auszügen veröffentlichtem Gutachten die Rede; in mittelbarer Staatsverwaltung soll die Krankenversicherung künftig aufgehoben sein.

Nun nehmen auch in den USA Gesundheitskonzerne wie Medco hoheitliche Aufgaben wahr; billiger oder besser geworden ist die Versorgung deswegen nicht. Klusens Gutachter, die früheren Ausführungen ihres Auftraggebers an manchen Stellen wortgetreu folgen, würden die Kassen am liebsten ganz auf den freien Kapitalmarkt werfen. Auch sollen die neuen Versicherungsträger eigene Einrichtungen betreiben und sich an Unternehmen beteiligen dürfen, um „die Versorgung kosteneffektiver und qualitativ hochwertiger zu machen“.

Zufällig ausgesucht haben dürfte Klusen seine Experten nicht: Die Wissenschaftler sind wie der Kassenchef für ihre liberale Handschrift bekannt, auch was Apotheken angeht: Als Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen hatte Professor Dr. Eberhard Wille sich vor einigen Jahren für eine Differenzierung der Apotheken und Liberalisierung des bislang bestehenden Kollektivvertrags ausgesprochen.

Professor Dr. J.-Matthias Graf von der Schulenburg hatte im Zusammenhang mit dem EuGH-Verfahren ein Gutachten „Nutzen und Kosten der derzeitigen Regulierung des Apothekenmarktes in Deutschland“ vorgelegt. Später hatte er für Celesio eine Seminarreihe gehalten und sogar einen Gastbeitrag im Geschäftsbericht des Konzerns veröffentlicht.

Doch es gibt einen Unterschied: Den Ökonomen geht es um Wettbewerb. Um Versorgung geht es ihnen nicht. Klusen aber ist Boss von Deutschlands zweitgrößter Krankenkasse und damit auch Anwalt der Versicherten. Die eigentliche Frage lautet also, ob am Ende nicht der Kassenchef in der freien Wirtschaft besser aufgehoben wäre als die Kasse.