Die Techniker Krankenkasse (TK) baut ihr E-Rezept-Projekt in Hamburg langsam, aber kontinuierlich aus: Erst eine Kasse, dann zwei und das gleiche bei den Apotheken. Eine Masse an Verordnungen ist damit noch nicht zustande gekommen. Doch darum geht es auch gar nicht, erwidert dann Dr. Frank Verheyen, der als Leiter des Teams Arzneimitteldistribution so etwas wie der Vater des Projekts ist. Vielmehr sollen mögliche Mehrwerte getestet werden.
Bei vielen Apothekern hatte das TK-Projekt schon einen schweren Stand, bevor es richtig los ging, schließlich schien die technische Zusammenarbeit mit der Zur-Rose-Tochter eHealth-Tec schlimmste Befürchtungen zu bestätigen. Kritik sei er deshalb aber nicht ausgesetzt gewesen, versichert Verheyen. „Wir selbst haben keine Erfahrungen damit gemacht, dass sich Vor-Ort-Apotheker daran stören würden“, sagt Verheyen. „Wir haben einen Anbieter gesucht, der das schnell und kompetent umsetzen kann und eHealth-Tec war da am weitesten.“
Dass Verheyen die Apotheker nicht kennt, könnte man ihm wahrlich nicht vorwerfen. Nicht nur ist er selbst einer, er hat nach seiner Promotion in Pharmaepidemiologie und einem anschließenden Studium in Gesundheitsökonomie bei der ABDA angeheuert und war dort im Team von Professor Dr. Martin Schulz im Geschäftsbereich Arzneimittel tätig. 2001 ging er zur TK und leitet dort heute das fünfzehnköpfige Team Arzneimitteldistribution. „Wir sind sozusagen das Frontend gegenüber Apothekern und Patienten“, erklärt er.
So versucht er auch, die Ängste der Apotheker zu zerstreuen: Die baldige Einführung des E-Rezeptes müsse nicht zu einer Abwanderung an die Versender führen, sofern sich die Apotheken richtig darauf einstellen – dafür habe schon der Gesetzgeber gesorgt. „Dank der Reform der Apothekenbetriebsordnung ist der Botendienst jetzt Regelleistung. Zusammen mit dem E-Rezept kann das den Vor-Ort-Apotheken einen enormen regionalen Vorteil bieten“, erklärt er. „Schließlich kann keine Versandapotheke stündlich ausliefern.“ Nur einlassen müssten sie sich auf den Fortschritt – und sich keinen Illusionen hingeben. „Die Kombination aus Digital und Beratung wird sich als neuer Kanal etablieren“, ist er sich sicher.
Mit der Fortschrittsfreudigkeit scheint es bei den potentiellen Projektpartnern aber eher gehapert zu haben. „Es haben sich wenige Apotheken und Arztpraxen gemeldet“, räumt Verheyen ein. Neben einer diabetologischen Praxis sind erst zwei Apotheken an dem Projekt beteiligt, die Privilegierte Adler Apotheke von Holger und Heike Gnekow, sowie die Easy-Apotheke Wandsbek von Ali Babaei Mehr. „Das sind beide auf Neudeutsch First Mover, die Spaß an Innovationen haben“, lobt er sie.
Dabei darf allerdings auch der eingeschränkte räumliche Bereich nicht außer Acht gelassen werden, in dem sich das Projekt abspielt: lediglich ein Postleitzahlenbereich, der einen Bruchteil des Bezirks Wandsbek abdeckt. Nur ein knappes Dutzend Apotheken wurde deshalb angeschrieben. Warum so ein kleiner Bereich? Verheyen betont, dass es nicht um eine Erprobung des Konzepts in der Fläche gehe. „Der Bereich wurde ausgewählt, weil er dicht besiedelt ist und unweit der TK-Zentrale liegt. So haben wir einen direkten Kontakt zu den Partnern.“ Dass das Projekt in naher Zukunft weiter vergrößert wird, stehe noch nicht fest, sei aber gut denkbar. „Wir sind da immer offen.“
Mit der bisher erreichten Patientenzahl sei er dennoch zufrieden: Rund 100 Patienten haben mittlerweile einen Vertrag über besondere Versorgung nach § 140a SGB V unterschrieben, um ihre Arzneimittel über die LifeTime-App das E-Rezept der TK zu erhalten. „Das finde ich super. Es zeigt, dass wir damit nicht gegen die Wand fahren, sondern eine ausreichende Zahl zusammenkriegen, um Erfahrungen zu sammeln.“ Dabei stünden nicht die technischen Finessen des E-Rezepts im Mittelpunkt, sondern die Erfahrungen der Patienten und welche zusätzlichen Services sich darauf aufbauend generieren lassen. Diese hätten schon einige Erkenntnisse zutage gefördert.
So sei es ein expliziter Wunsch der Patienten gewesen, dass das E-Rezept ein optisches Abbild des klassischen Muster-16-Rezepts ist. „Der Patient will weiter die Möglichkeit, zu kontrollieren, was auf dem Rezept steht, und ich glaube, das wird auch so bleiben.“ Viel spannender sei für ihn aber der Blick auf die Möglichkeiten, die die neue Technik eröffnet – und genau die stünden im Mittelpunkt seiner Arbeit. „Nicht nur Übermittlung und Belieferung des Arzneimittels sind entscheidend, sondern die Zusatzfunktionen, die angeboten werden können“, sagt er. So sei durch die Verbindung der aktuellen Verordnung an die elektronische Patientenakte nicht nur allgemein eine höhere AMTS möglich, auch bei der Adhärenzunterstützung oder dem Abgleich von verschriebener und Selbstmedikation könnten sich neue Möglichkeiten eröffnen.
Einen besonderen Mehrwert für die Patientensicherheit könne er sich beim Thema Arzneimittelrückrufe vorstellen: Durch eine Einbindung des individuellen Securpharm-Codes in das E-Rezept sei es theoretisch möglich, in Zukunft patientenindividuelle Rückrufansprachen durchzuführen. „Man wüsste ja dann genau, welcher Patient Arzneimittel von welcher Charge erhalten hat und könnte sie aktiv informieren, ob sie von einem Rückruf betroffen sind oder nicht“, erklärt er. Ob und welche Zusatzfunktionen nach diesem Schema möglich, gewollt und umsetzbar sind, soll die Evaluation des Projekts ergeben – dass sie kommen und größeren Raum als bisher einnehmen, sei aber definitiv Ziel der TK. „Digitale Services sollen künftig einen definierten Anteil in unserer Versorgung haben“, sagt Verheyen. „Unser Ziel ist es, das möglichst schnell weiterzuentwickeln.“
Das sei aber noch Zukunftsmusik, vorerst gehe es darum, die Versicherten auf den Geschmack zu bringen. „Was wir wollen, ist, dass wir so eine attraktive App haben, dass die viele Menschen haben wollen“, sagt Verheyen. Eine möglichst breite Abdeckung will natürlich auch die E-Rezept-Konkurrenz von ABDA über DocMorris bis CompuGroup erreichen – die sind aber nicht an eine Kasse angebunden. Könnte das TK-E-Rezept also auch irgendwann für Patienten verfügbar sein, die weder bei der TK noch einer anderen teilnehmenden Krankenkasse versichert sind? „Wir können bisher nur in TK-Dimensionen denken“, sagt Verheyen. „Aber vielleicht gibt es ja da irgendwann die Möglichkeit, das komplett zu öffnen.“
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