Schriftstellerin und Philosophin Thea Dorn warnt davor, dass die Krankenkassen ihre Datenmacht gegenüber Versicherten und anderen Leistungserbringern ausnutzen könnten. „Wir müssen uns fragen, welche Begehrlichkeiten bei den Krankenkassen entstehen, wenn meine Gesundheitsgeschichte lückenlos dokumentiert ist“, so Dorn am Freitag bei der 2. Digitalkonferenz der Apothekerkammer Niedersachsen. Auch in Bezug auf die Sicherheit von Gesundheitsdaten müssten Patienten und Leistungserbringer weiter wachsam bleiben.
Dass die Digitalisierung unsere Art zu kommunizieren, zu wirtschaften und zu verwalten grundlegend ändert, daran haben nur wenige noch Zweifel. Dabei werde aber häufig nicht betrachtet, wie sich diese Entwicklungen auf unser menschliches Verhalten auswirken und welche Konsequenzen das auf unsere Gesellschaft haben. So sei noch gar nicht klar, welche langfristigen Auswirkungen es haben könne, dass medizinische Daten in der elektronischen Patientenakte dauerhaft verfügbar seien. „Was bedeutet das, wenn wir eine medizinische Biografie haben, die nicht irgendwann gnädig vergessen werden kann?“, so Dorn, die sich seit mehreren Jahren mit den Auswirkungen von Forschung und Digitalisierung auf die menschliche Gesundheit befasst und dem Thema ihren 2016 erschienen Roman „Die Unglückseligen“ widmete.
Denn diese Daten stünden eben nicht immer nur denen zur Verfügung, die der Patient dazu befugt. Eine Zahl verfolge sie seit langem, führte sie in Hannover aus: Laut einer Studie der Wirtschaftsberatungsgesellschaft Roland Berger seien 64 Prozent aller Kliniken in Deutschland bereits mindestens einmal Opfer von Hackerangriffen geworden. Doch nicht nur von der unbefugten Inbesitznahme von Gesundheitsdaten gehe eine Gefahr aus – auch befugte Institutionen könnten langfristig gesellschaftliche Auswirkungen haben. Dorn versuchte das an einem Beispiel zu erklären: Sie kenne privat versicherte Ärzte, die ihr erzählt hätten, dass sie bestimmte Erkrankungen ihrer Kinder behandeln würden, ohne das ihren Versicherungen mitzuteilen – aus Angst vor den Folgen für Beiträge oder gar die Aufnahme in eine Versicherung. „Welche Begehrlichkeiten entstehen bei den Krankenkassen, wenn meine Gesundheitsgeschichte lückenlos dokumentiert wird?“, fragte Dorn die Konferenzteilnehmer.
Doch auch die Erhebung von Gesundheitsdaten durch die Verbraucher selbst könnte demnach Folgen haben, derer sich viele Menschen noch nicht bewusst sind, gab Dorn zu bedenken. So müsse man sich auch fragen, „was es mit uns macht, wenn wir wie Hochleistungssportler oder Patienten auf der Intensivstation 24 Stunden am Tag unsere Biodaten aufzeichnen“. Die Apothekerkammer hatte Dorn eingeladen, um den Fokus der Konferenz auch auf grundsätzliche Fragen zu den Auswirkungen der Digitalisierung auf das Gesundheitswesen zu lenken. „Wir möchten Impulse setzen, darüber nachzudenken, was die Digitalisierung für unsere Branche bedeutet“, hatte Kammerpräsidentin Cathrin Burs zu Beginn angekündigt.
In diesem Kontext hat auch Claudia Schröder, seit 2014 Leiterin der Abteilung Gesundheit und Prävention im niedersächsischen Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung, die Hoffnungen und Befürchtungen beschrieben, die sie mit der Digitalisierung verbindet. Besonders in Niedersachsen, das als zweitgrößtes Flächenland sehr ländlich geprägt ist, könnte die Einbindung neuer Technologien eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung der flächendeckenden Gesundheitsversorgung spielen. Deshalb habe das Land in einem Sonderfonds 10 Millionen Euro für die Digitalisierung des Gesundheitswesens bereitgestellt. Das Geld fließe unter anderem in verschiedene Telemedizinprojekte, in ein Pflegeprojekt sowie in die Entwicklung eines webbasierten interdisziplinären Versorgungsausweises.
Dabei demonstrierte Schröder auch Verständnis für die Sorgen der Apotheker. „Ich bin total überzeugt vom E-Rezept, aber auch davon, dass wir damit den Online-Apotheken nicht so weit die Tür öffnen dürfen, dass die Vor-Ort-Apotheken darunter leiden“, so Schröder. „Beratung und wohnortnahe Versorgung müssen erhalten bleiben.“ Auch deshalb habe sich Niedersachsen bei den Beratungen zum Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz im Bundesrat für das Makelverbot bei E-Rezepten und ein Rx-Versandverbot eingesetzt.
Einen wichtigen Zukunftsimpuls sehe sie hingegen in den geplanten Modellprojekten zu Grippeschutzimpfungen in Apotheken. Für die habe sich ihr Ministerium eingesetzt, „weil die Erfahrung und Umfragen zeigen, dass Apotheken von der Bevölkerung als deutlich niedrigschwelliger wahrgenommen werden“, als der Gang in die Arztpraxis. Sie glaube, wenn es gelingt, Menschen zur Grippeimpfung in die Apotheke zu locken, „dann ist dadurch auch die Hemmschwelle geringer für weitere Schutzimpfungen“.
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