Weil Manager über Ärzte bestimmen

Stern-Kampagne: „Patienten vor Profit!“

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Berlin -

Das Magazin Stern hat in seiner aktuellen Ausgabe eine Kampagne gegen die Ökonomisierung des Gesundheitswesens gestartet. Unterstützt von zahlreichen Kammern und Fachgesellschaften haben 215 Ärzte einen Appell unter dem Titel „Patienten vor Profit“ unterzeichnet – weitere Ärzte werden aufgefordert, sich anzuschließen. Ausführlich berichtet das Magazin darüber, wie wirtschaftliche Interessen die eigentlich unabhängige Arbeit der Mediziner korrumpiert. Besonders in der Kritik: das System der Fallpauschalen.

Es ist eine Klage, die auch viele Apotheker nur allzu gut kennen: Das Diktat der Ökonomie steht über einer vernünftigen Patientenversorgung. Der Stern lässt in seinem aktuellen Leitartikel keinen Zweifel daran aufkommen, dass er diesen Befund teilt: „Es ist mittlerweile das ganze System, das krank ist“, schreibt Wissenschaftsredakteur Bernhard Albrecht, selbst ein Arzt. „So leistet sich Deutschland zwar eines der teuersten Gesundheitssysteme der Welt, neueste Therapien sind verfügbar, und doch sterben wir im Durchschnitt früher als die Menschen in vielen vergleichbaren Ländern.“

Sein Beispiel ist das krisengebeutelte Griechenland, das pro Kopf weniger als halb so viel für Gesundheit ausgibt wie wir, aber trotzdem eine höhere Lebenserwartung hat. Deutsche Patienten hingegen spüren, dass an ihnen gespart wird: „Fast nirgends auf der Welt arbeiten derart viele und so gut ausgebildete Ärzte und Pflegekräfte. Dennoch fehlt die Zeit für Gespräche mit den Patienten.“

Um den Ursachen für diese Schieflage auf den Grund zu gehen, hat der Stern nach eigenen Angaben mit mehr als 100 Medizinern gesprochen, darunter Assistenzärzte, Klinikdirektoren, Präsidenten von Fachgesellschaften und Ärztekammern. „In den Gesprächen wirkten die Ärzte getrieben von der ständigen Sorge, dass sie die Sicherheit ihrer Patienten nur noch mit Mühe, wenn überhaupt noch, gewährleisten können“, schreibt Albrecht. „Aus diesen Gesprächen, in denen so viele die gleichen Missstände beklagten, entstand die Idee des Ärzte-Appells.“

Bei diesen „gleichen Missständen“ handele es sich vor allem um zwei konkrete Sachverhalte: den „extremen ökonomischen Druck und das vor 16 eingeführte (und in seiner Radikalität international einzigartige) Abrechnungssystem nach Fallpauschalen“, bei dem Diagnosen in Fallgruppen kategorisiert und dann nach zugeschriebenem Aufwand vergütet werden. Patienten würden sich deshalb unabhängig von der tatsächlichen Schwere ihrer Erkrankung vor allem dann ökonomisch rentieren, wenn an ihnen viele Prozeduren durchgeführt werden. Diese massiven Fehlanreize führen demnach dazu, dass Behandlungen oftmals nicht nach dem rein gesundheitlichen, sondern vor allem nach dem ökonomischen Nutzen ausgerichtet werden – ein „Übergreifen marktwirtschaftlicher Interessen auf einen der schützenswertesten Bereiche unseres Lebens“.

Einst sollte das Fallpauschalensystem eigentlich mehr Transparenz bringen, Kassenbeiträge stabil halten und die Krankenhäuser in einen Verdrängungswettbewerb zwingen – denn es gab zu viele. Albrecht betont, dass das Werk keiner einzelnen Person oder Partei zugeschrieben werden kann: „So bereitete CSU-Gesundheitsminister Horst Seehofer die Einführung der Fallpauschalen vor, die Grüne Andrea Fischer vollzog sie, die SPD-Frau Ulla Schmidt zementierte sie.“ Im „Mikrokosmos vieler Krankenhäuser“ zeige sich die Entwicklung heute auch daran, dass kaufmännische Direktoren den ärztlichen vorgesetzt sind. „Ökonomen aber sind nicht dem ärztlichen Ethos verpflichtet.“

So sei es gekommen, dass die Zahl der Krankenhausaufenthalte hierzulande im Gegensatz zum restlichen Europa stetig steige und hier zwar mehr Ärzte arbeiten als in vergleichbaren Ländern – die aber pro Patient am wenigsten Zeit haben. „Diese knappe Gut sollen sie tunlichst nicht für ertragsschwache Gespräche mit Patienten vergeuden.“ Denn, auch daran lässt Albrecht wenig Zweifel, in der Klinik haben die Betriebswirtschaftler die Hosen an. „Mit Zuckerbrot und Peitsche machen sich in dieser Kampfzone Geschäftsführer ihre Mediziner gefügig“, schreibt er. „Mit weitverbreiteten Bonusverträgen korrumpieren sie Ärzte, vor allem solche in leitenden Positionen: Je mehr lukrative Patienten diese heranschaffen, umso höher werden ihre Sonderzahlungen.“

Der Präsident der Berliner Ärztekammer, Günther Jonitz, geht gar einen Schritt weiter: „Es gab eine heimliche Agenda hinter der Einführung der Fallpauschalen“, wird er zitiert. „Weil sich kein Lokalpolitiker traut, die kleine Klinik vor der eigenen Haustür zu schließen, sollte es der Wettbewerb richten.“ Parallel dazu hätten die Bundesländer zahlreiche Krankenhäuser in die roten Zahlen getrieben, indem sie ihnen notwendige Investitionen vorenthielten. Die hätten die Kliniken dann wiederum systemwidrig durch die Fallpauschalen querfinanziert. Mehr als ein Drittel der Kliniken liege heute in der Hand von privaten Investoren, die aus den Fallpauschalen zusätzlich noch die Renditeerwartungen der Anteilseigner finanzieren.

Die Unterzeichner des Appells seien sich einig, dass es so nicht weitergehen kann. „Ein Notstopp muss her“, so Albrecht. „Längst formieren sich die Mediziner zum konzentrierten Widerstand, vorneweg die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin mit einem Ärzte-Kodex ‚Medizin vor Ökonomie‘, hinter dem sich 30 Organisationen scharen.“ Dieser Kodex war die Vorlage für den Ärzte-Appell des Stern. Neben 215 namentlich unterschreibenden Ärzten, unter ihnen auch Frank Ulrich Montgomery, wird der Appell auch von einer ganzen Reihe Fachgesellschaften unterstützt, darunter der Berufsverband Deutscher Internisten, die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin, die Landesärztekammern Berlin und Hamburg, die Landesverbände Hamburg und Niedersachsen des Marburger Bundes und die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie.

Den Kern des Appells bilden drei Forderungen: die Abschaffung oder grundlegende Reform des Fallpauschalensystems, ein Ende der „ökonomisch gesteuerten gefährlichen Übertherapie sowie Unterversorgung von Patienten“ und eine Planung und Ausstattung von Krankenkhäusern durch den Staat – und zwar dort, „wo sie wirklich nötig sind“. „Das erfordert einen Masterplan und den Mut, mancherorts zwei oder drei Kliniken zu größeren, leistungsfähigeren und personell besser ausgestatteten Zentren zusammenzuführen.“ Kammerpräsident Jonitz bringt auf den Punkt, worum es den Unterzeichnern geht: „Man muss das Gesundheitssystem ganz neu denken und dem hohen ökonomischen Druck ein Ende bereiten.“

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