Ende April hat die EU-Kommission Vorschläge für eine neue Arzneimittelgesetzgebung vorgelegt, gestern wurden nicht weniger als 1500 Änderungsanträge angekündigt. Die Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen ist bei dem Mammutprojekt ein wichtiges Thema, als eine Maßnahme sollen antibiotische OTC-Mittel, Virostatika und Antimykotika in die Verschreibungspflicht aufgenommen werden. Für Abda-Vize Mathias Arnold sowie für den Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) schießt diese Idee über das Ziel hinaus.
Als er von der die Idee, Präparate für die Behandlung von Lippenherpes, Haut-, Nagelpilzerkrankungen & Co. rezeptpflichtig zu machen, gehört habe, dachte Arnold, „da hat sich jemand verschrieben“, sagte er bei der Diskussionsveranstaltung „Revision der EU-Arzneimittelgesetzgebung – Mittel gegen Lippenherpes und Pilzerkrankungen künftig nur noch auf Rezept?“ des BAH.
Nicht alles sei per Gesetz zu reglementieren, einiges müsse auf anderen Wegen reguliert werden. Natürlich kämen die Patient:innen häufig bereits mit einer zu überprüfenden Selbstdiagnose in die Apotheke, am pharmazeutischen Personal hänge es dann, diese Diagnose zu bestätigen. Es finde häufig dann eine Art „Triage“ statt: Apotheker:in oder PTA wägen ab, ob das ein Fall für den Arzt ist oder per Selbstmedikation zu lösen.
Das System funktioniere gut so, und auch die Ärzte seien zufrieden mit der heutigen Verfahrensweise, wie eine Ärztebefragung von Iqvia zeigt. Demnach trauen die Ärzt:innen es den Apotheker:innen durchaus zu, adäquat zu den antimikrobiellen Mitteln zu beraten. 90 Prozent der Apotheker:innen fühlen sich sicher mit der Abgabe, meinen aber, dass die Produkte aufgrund mangelnder Beratung nicht im Internet verkauft werden sollten. Als Vorschlag aus der Umfrage ging hervor, dass statt der Rezeptpflicht ein Versandverbot in Betracht gezogen werden sollte. 70 Prozent der befragten Apotheker:innen lehnen Rezeptpflicht ab.
Nicht nur die Notwendigkeit eines Rx-Switches ist laut den Experten fraglich. Auch die Auswirkungen eines solchen Switches könnten gravierend sein. Dies könnte etwa 50 Milionen zusätzliche Arztbesuche bringen. Wenn der Bedarf der Mittel so bliebe, hätte das 6,3 Millionen zusätzliche Behandlungsstunden zur Folge. Da müssten schon 4170 neue Hausärzt:innen her, hieß es überspitzt vom Iqvia-Experten. Allein die zusätzlichen Behandlungszeiten bedeuteten am Ende 1,5 Milliarden Mehrbelastung für die Krankenkassen, von den Produktkostenübernahmen ganz zu schweigen.
Dem Vernehmen nach ist dieser Vorschlag zum Rx-Switch aber auch vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) komplett abgelehnt worden und habe keine Zukunft.
Konkret betrifft die Überlegung der Rezeptpflicht für antimikrobielle OTC-Produkte die Gruppen der Antimykotika, Antiseptika, Tyrothricin als einziges bisher nicht verschreibungspflichtiges Antibiotikum sowie Virostatika. Abgegeben werden diese zu 83 Prozent in den Vor-Ort-Apotheken, wie die Auswertungen von Iqvia zeigen, eingesetzt werden sie bei Haut- und Erkältungsbeschwerden und kaum verschrieben. Die besonders häufig abgegebenen Produkte wie Octenisept, Chlorhexamed, Neo-Angin oder Dobendan liegen im Preis meist zwischen 9 und 16 Euro und seien damit auch verhältnismäßig günstig.
Pharmazeutin Dr. Tina Peiter von Reckitt Benckiser berichtete zudem von internen Forschungen, die der Hersteller durchführt, obwohl er selbst keine Antibiotika führt. Betrachte man den Einsatz von Antibiotika bei Halsschmerzen, falle auf, das zur Bestimmung der Ursache kaum Point-of-care-Tests durchgeführt würden. Diese würden lediglich bei Patient:innen empfohlen, die maximal 15 Jahre alt seien – in dieser Altersgruppe würden dann auch viel seltener Antibiotika verschrieben als bei den Erwachsenen, bei denen diese Tests so gut wie gar nicht durchgeführt werden. Zu häufig hätten Antibiotika noch den Ruf, besonders wirksam zu sein, und oftmals fragten Patient:innen explizit danach, um eine vermeintliche wirksame Waffe gegen ihre Beschwerden zu bekommen. Es sei davon auszugehen, dass auch nicht notwendige Antibiotika verschrieben würden.
Den Vorschlag, solche Tests auch von Apotheken durchführen zu lassen, sieht Arnold kritisch. Wenn, dann bräuchte es Tests mit sofortigem Ergebnis, da Patient:innen nicht zwei Tage auf das Ergebnis warten wollen. Und was Apotheken dann mit dem Ergebnis des Tests anzufangen hätten, ob sie selbst eine Handlungsempfehlung oder Arzneimittel abgeben dürften oder der Patient dann mit dem Ergebnis erst wieder zum Arzt müsse – all das bedürfe einer aufwendigen Reglementierung.
Was das übergeordnete Thema der Antibiotikaresistenzen angeht, appellierte Arnold schließlich noch an Hersteller und Krankenkassen, mehr Rücksicht auf therapiegerechte Packungsgrößen zu nehmen und beispielsweise keine Dosierung von fünfmal eine Tablette pro Tag vorzusehen. Im Sinne der Compliance sei das nicht förderlich.
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