Kommentar

Statt pDL: Mehr Apothekenhonorar wagen!

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Berlin -

Es stand auf Messers Schneide, am Ende hielt der Schiedsspruch zu den pharmazeutischen Dienstleistungen (pDL). Zwar scheiterten die Kassen mit ihrer Klage – doch nach der Verhandlung ist auch klar: Die Strategie, die Apotheken mit zusätzlichen Aufgaben aus der Krise zu führen, wird nur begrenzt zum Erfolg führen. Was fehlt, ist ein klares Bekenntnis zur klassischen Arzneimittelversorgung vor Ort, wie wir sie heute kennen. Ein Bekenntnis auch in Form von Geld. Ein Kommentar von Patrick Hollstein.

Es gibt Beobachter, die die Apotheken als aussterbende Branche sehen: Die Abgabe von Arzneimitteln sei ein reiner Logistikprozess, der in Zukunft viel effizienter organisiert werden könne. Zwar brauche man auch weiterhin Apothekerinnen und Apotheker, die das pharmazeutische Fachwissen hätten und somit eine komplementäre Rolle zur Ärztin und zum Arzt übernehmen könnten. Aber dies müsse nicht zwangsläufig in der heutigen Form mit 17.000 Geschäften vor Ort stattfinden, die doch allzu ineffizient sei.

Natürlich ist das Argument nicht von der Hand zu weisen, dass sich auch die Apotheken weiterentwickeln müssen. Dass das Verharren in alten Mustern in eine Sackgasse führt und dass eine standespolitische Abwehrhaltung am Ende zum Bumerang wird. Andererseits kann man den Apotheken kaum vorwerfen, dass sie ihrem Auftrag ebenso verlässlich wie geräuschlos nachkommen und dass die Versorgung der Menschen mit Arzneimitteln in Deutschland weitgehend störungsfrei funktioniert.

Die pDL jedenfalls sollten ein Ansatz sein, um die Apotheken mit neuen Kompetenzen auszustatten und so in eine Zukunft jenseits der reinen Packungsabgabe zu führen. Im Grunde sollten die jährlich bereitgestellten 150 Millionen Euro sogar als Ersatz für das geforderte Rx-Versandverbot dienen, da man durch die intensive Betreuung den Versendern das Wasser abgraben könnte. So waren jedenfalls die Hoffnungen.

Doch die Realität sieht anders aus. Weder lassen sich die pDL unter den derzeitigen von Unterfinanzierung, Lieferengpässen und Personalnot geprägten Rahmenbedingungen in den Apothekenalltag integrieren, noch lassen sich dadurch die verfügbaren Mittel abrufen. Knapp 400 Millionen Euro bunkern im Topf – was sich schon wegen der Zinsen nach Ansicht der Kassen nicht länger rechtfertigen lässt.

pDL retten Apotheken nicht

Vor allem aber, und das wurde im Prozess vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg offensichtlich, taugen die pDL nicht, um den Apotheken eine neue Identität zu verpassen. Dass die Kassen mit ihrer Klage gescheitert sind, begründete das Gericht alleine mit der interpretationsfähigen gesetzlichen Grundlage und dem damit verbundenen Ermessensspielraum der Schiedsstelle – und nicht mit dem hohen Leistungsniveau, das es diesbezüglich in den Apotheken gebe.

Gerade die Blutdruckmessung – im Grunde die einzige pDL, die überhaupt in größerem Umfang angeboten werden kann – sahen die Richter äußerst kritisch: Als „Dienstleistung“ müsse eine pDL mehr sein als eine Tätigkeit, die im normalen Apothekenbetrieb ohnehin angeboten werde. „Da könnte man sich schon fragen, was beim Blutdruckmessen das Weiterführende ist und wo die Evidenz ist.“ Selbst Dr. Rainer Hess als ehemaliger Vorsitzender der Schiedsstelle räumte ein, dass die Blutdruckmessung ohne apothekerliche Beratung nicht als pDL zu qualifizieren sei.

Auch wenn die Apotheken also vor Gericht einen wichtigen Sieg verbuchen konnten, so bleibt doch eine bittere Erkenntnis: Um wirklich neue Aufgaben übernehmen und dafür auch ein angemessenes Honorar fordern zu können, müssen sich die Apotheken in Sachen pDL künftig wohl deutlich mehr einfallen lassen.

Kein Honorarersatz

Keine Frage: Dieser Weg sollte konsequent weiterverfolgt werden, auch um Apothekerinnen und Apothekern und PTA neue Perspektiven zu geben. Aber ebenso zeigt der Prozess in Potsdam: pDL werden auch in Zukunft ein Spezialangebot bleiben, das sich an Menschen mit besonderem Betreuungsbedarf richtet und an Apotheken, die dafür auch bereit und fähig sind. Die Messlatte liegt nach dem Prozess noch höher, keinesfalls taugen pDL als einfacher Ersatz, um die Unterfinanzierung der eigentlichen Leistung aufzufüllen.

Denkt man die Argumentation der Richter weiter, so ist eine Lehre aus dem Streit: Die klassische Leistung der Apotheke umfasst schon heute weit mehr als die reine Arzneimittelabgabe – und dies muss endlich auch als Gesamtpaket akzeptiert und honoriert werden.

Denn die Realität im Apothekenalltag ist doch: Mal dauert die Beratung länger, mal fällt sie kürzer aus. Mal muss Blutdruck gemessen, mal muss ein Rezept korrigiert oder ein Ersatz gefunden werden. Und manchmal müssen Patientinnen und Patienten mit ihren Problemen auch erst einmal aufgefangen werden. Für alle diese Leistungen gibt es heute gar kein Geld – und man muss endlich anerkennen, dass sie sich auch in Zukunft nicht mit einem Preis versehen lassen.

Versorgung als Gesamtpaket

Die Versorgung in der Apotheke ist ein Gesamtpaket, das sich nicht anhand von einzelnen Vergütungsziffern abarbeiten und auch nicht als pDL ausgliedern lässt. Wer heute als Patientin oder Patient in die Apotheke kommt, der hat ein zentrales Leistungsversprechen im Kopf: Hier wird mir geholfen, hier finde ich direkt und ohne Umwege – anders als in Praxen oder Kliniken – meinen gut ausgebildeten Gesundheitsexperten.

Wer ernsthaft fordert, dass sich die Apotheken komplett neu erfinden müssen, um überhaupt weiterhin eine Daseinsberechtigung haben zu können, der blendet die Realität der Versorgung kategorisch aus – und damit auch die Leistungen, die täglich erbracht werden. Und das könnte schnell zum Eigentor werden: Statt neue Angebote zu forcieren, könnten Leistungen eingeschränkt werden. Verlierer wären die Patientinnen und Patienten.

Apotheken können sich gar nicht so weit verbiegen, dass sie den oft überzogenen Anforderungen ihrer Kritiker gerecht werden. Und sie müssen es auch gar nicht. Denn anders als in vielen anderen Ländern, auch solchen, die früher als Vorbild galten, gibt es in Deutschland noch immer ein gesundes System, in dem man jederzeit und überall eine Apotheke vor Ort findet. Dieses ohne Not aus der Hand zu geben, indem man der klassischen Apotheke die Berechtigung abspricht und den Hahn abdreht, ist grob fahrlässig. Wenn die persönliche Betreuung aufgrund von Unterfinanzierung und Bürokratie verloren geht, dann hilft auch keine Spitzenmedizin mehr.

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