Honorargutachten

Statistik der Apothekerleiden: Meine Frau muss mitarbeiten

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Berlin -

Etwa 1000 Apotheker haben sich seit Jahresbeginn an der von 2hm Consulting durchgeführten Befragung zum Apothekenhonorar beteiligt. Herausgekommen ist ein 126-seitiges Statistikwerk, das dem Gutachten als Anhang beigefügt ist. Darin kann man unter anderem nachlesen, dass in Deutschlands Apotheken so gut wie keine „Pillen, Tabletten und Pastillen“ mehr gefertigt werden. Mehr noch: Die Apotheker hatten Gelegenheit, Anmerkungen und Kommentare hinzuzufügen. Diese lesen sich wie eine „Statistik der Apothekerleiden“.

Die Kommentare und Anmerkungen der Apotheker sind anonymisiert und umfassen mehr als 20 Seiten. Die meiste Kritik müssen die 2hm-Gutachter bezüglich der Fragestellung einstecken. Vielen Apothekern sind die Fragen zu ungenau. Sie sehen ihren Apothekenalltag nicht ausreichend abgebildet. Auch Retaxationen spielen ein Rolle. Andere Apotheker klagen über die allgemeine Geringschätzung für ihre Arbeit.

„Ich habe lange gezögert diese Anfragen zu beantworten, da die Fragen viel zu ungenau sind“, schreibt ein Apotheker: Leider werde „die Arbeit in unseren Apotheken nicht richtig geschätzt“. Wenn dann mal Praktikanten kämen, heiße es zum Schluss immer: „Das habe ich aber nicht gewusst, mit welch großem Aufwand hier gearbeitet wird.“

„Ich hoffe, die Befragung trägt zu einer besseren Vergütung unserer Arbeit bei, da auch die Beantwortung der Fragen sehr zeitaufwendig war. Ich kann nur anmerken, dass die momentane Vergütung deutlich defizitär ist“, beklagt sich ein anderer Apotheker. In den letzten Jahren sei insbesondere durch die Hilfsmittelverträge ein sinnloser bürokratischer Aufwand entstanden, „den ich nur mitmache, weil ein Urologe im Haus tätig ist. In Bezug auf die Rabattverträge behaupte ich, dass eine Versorgung der Bevölkerung bei striktem Einhalt nicht mehr angemessen möglich ist.“

„Ich müsste für die Filiale auch eine Befragung ausfüllen. Sie sind herzlich eingeladen, einen Arbeitsalltag bei mir zu verleben. Es fehlen Fragen zur Kostenstruktur. Ich vermisse Fragen zum extrem höheren zeitlichen und nervlichen Aufwand nach der Einführung der Rabattverträge im Vergleich zu vorher – bei praktisch gleichem Honorar“, kritisiert ein Apotheker. Auch ein weiterer Kollege ist mit der Fragestellung unzufrieden: „Ich würde gerne wissen, wer diese Umfrage entwickelt hat. Die Fragen sind zum Teil kaum zu beantworten. Das lässt darauf schließen, dass niemand involviert war, der die Situation in der Vor-Ort-Apotheke kennt.“

Ein weiterer Apotheker sieht seine Beratungsleistung in der 2hm-Befragung nicht abgebildet: „Im Bereich Beratung sehe ich eine Anteil von circa 25 Prozent, der sich mit der Klärung von Fragen mit Arztpraxen und Heilung sowie Klärung von Formfehlern beschäftigt. Im Nachhinein sind diese Angaben sehr schwer zu erfassen.“ Er habe im Rahmen der Sprechstundenbedarfslieferung einmal im Quartal regelmäßige Besprechung mit 26 Ärzten, im Rahmen der Heimbelieferung weitere zwei bis vier Besprechungen pro Jahr mit Heimleitern und Pflegedienstleitung von zehn Heimen. „Dies erfolgt von mir persönlich zusätzlich zu den Kontakten/Besuchen, die meine Altenheim-PTA durchführt (ist alle 2 Wochen auf jeder Station).“

„In der Befragung wurden die Abwälzung der erhöhten Dokumentation und Lagerkosten des Großhandels auf die Apotheken über höhere Besorgungsgebühren des Großhandels nicht abgefragt. Diese dürfen Apotheken nicht den Kassen in Rechnung stellen! Eine Ungerechtigkeit“, beklagt sich ein anderer Apotheker.

Apothekeninhaber kämen auf weit mehr als 40 Stunden pro Woche – geschweige denn 30 Tage Urlaub im Jahr. „Diese Selbstausbeutung ist allgegenwärtig in den Apotheken. Mehr Personal ist bei der derzeitigen Honorarsituation nicht möglich – auf Dauer befürchte ich, dass das auf Kosten der guten Beratung geht, für die mich die Kunden so schätzen. Eine Honorarerhöhung ist überfällig“, fordert ein Apotheker.

„Keine Apotheke kann rein aus den Rezepterlösen leben. Ich habe 15 Prozent Rezeptertrag, 20 Prozent Kosten, das geht nur, wenn die Frau mitarbeitet, Miete gering ist, Rentenzahlung halbiert, Kredite abbezahlt. 2004 haben wir übernommen und seitdem nur noch draufgezahlt, es macht so keinen Spass mehr, von der Bürokratie ganz zu schweigen....“, beschreibt ein weiterer Apotheker seine Lage düster.

„Wäre ich ein rein wirtschaftlich denkendes Unternehmen, würde ich die Aufgaben sicherlich nicht alle machen“, beklagt sich ein Kollege. „Da sie mir aber gesetzlich vorgeschrieben werden, erledige ich sie natürlich! Frage mich aber, ob dies auch Versandapotheken im Ausland tun. Sicher nicht, sie werden dafür ja nicht entlohnt und stehen nicht unter der Aufsicht deutscher Behörden! Hoffentlich finden diese Punkte bei Ihrer Betrachtung noch eine Würdigung.“

„Uns fehlt die Frage nach dem zusätzlichen Zeitaufwand, der durch Klärungs- und Diskussionsbedarf mit den Patienten aufgrund von Rabattverträgen, Lieferengpässen etc. entsteht. Danke!“, lautet eine andere Anmerkung. Und weiter: „Leider wurde in keinster Weise berücksichtigt, was für laufende Kosten im Labor/Rezeptur anfallen, angefangen Pflichtliteratur, Kosten für Überprüfung der technischen Geräte, Eichkosten der Waagen,steigende Kosten Verpackungsmaterialien und Ausgangsstoffe (die in der Taxe zu niedrig festgelegt sind), Kosten für Fortbildungen des Personals, Zeitaufwand zur Information in Bezug auf Änderungen der Rabattverträge, Hilfsmittel – und Arzneimittellieferverträge, Bearbeitungsaufwand Retaxationen. 30 Prozent meiner Arbeitszeit investiere ich, um defekte Arzneimittel aufzutreiben und für die Patienten und indirekt für die Krankenkassen lieferfähig zu sein.“

Ein Kollegin beschreibt seine Sorgen so: „Meine Apotheke liegt in ländlicher Lage. Es ist nun schon mehrere Jahre unmöglich, einen Apotheker in Anstellung zu finden! Als Approbierte muss ich die gesamte Öffnungszeit und Notdienst allein abdecken!“

„Seit ich mich 1993 selbstständig gemacht habe, hat sich mein Ertrag halbiert. Die restliche Gesellschaft bekommt jedes Jahr Lohnerhöhungen/Rentenanpassungen. Ich habe mal circa 60 Prozent meiner Zeit mit der Kundenberatung verbracht. Jetzt sind es noch 30 Prozent. Der Rest geht meist mit Verwaltung drauf. Mehr möchte ich nicht sagen, sonst rege ich mich bloß noch auf und das schafft die Politik nicht!!!“, klagt ein weiterer Kollege.

Andere Apotheker beklagen die Retaxationspolitik der Krankenkassen: „Nicht nachgefragt wurden der immense Verwaltungsaufwand, den Apotheken KOSTENLOS für Kassen erbringen müssen (Rabattvertrag einhalten beziehungsweise Doku falls nicht lieferbar; Inkasso der Rezeptblattgebühr inklusive Mahnwesen; unsinnige Retaxschikanen mit aufwändigem Schriftwechsel; Nullretaxierung aufgrund der Rabattverträge sind nicht hinnehmbar, da eine Gegenleistung und Belieferung stattgefunden hat!!! Retaxierungen wegen Bagatellen sind eine Zumutung!!!“, heißt es hierzu.

„Wir sind eine Landapotheke mit Rezeptsammelstellen. Unsere durchschnittliche Kilometerleistung im Botendienst beträgt täglich 95 Kilometer: Diese Leistung wird von uns zwangsweise für 0,00 Euro erbracht. Zusätzlich muss der Bote bezahlt werden, der zweimal täglich die Rezepte holt und die Ware ausfährt (Mindestlohn reicht dafür nicht)! FÜR 0,00 Euro!!!! Wir werden wie politisch gewünscht den Markt unseren Freunden in Europa überlassen müssen und verschwinden“, so dieser Apotheker.

Im Januar 2017 hatte 2hm erstmals Apotheken per E-Mail kontaktiert und zur Teilnahme an der Befragung aufgefordert. Nach Angaben von Studienleiterin Iris an der Heiden wurden insgesamt 15.000 Apotheken angeschrieben. Davon hätten „mehr als 1000“ geantwortet. Mit diesem Rücklauf waren die Gutachter zufrieden. Die verschickten Fragenkataloge unterschieden sich teilweise. Gefragt wurde etwa zum Dokumentationsaufwand bei BtM-Rezepten oder dem Arbeitsaufwand bei Rezepturen. Auch für allgemeine Kennzahlen der Apotheken interessierte sich 2hm. Die Teilnahme war für Apotheken freiwillig, eine Entschädigung für den Aufwand ist nicht vorgesehen. Das BMWi hatte im Herbst 2015 ein Forschungsprojekt zum Apothekenhonorar in Auftrag gegeben.

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