Die Kanzlerin verrät auch nach vier Zitteranfällen nicht viel über ihre Gesundheit. Auch in anderen Ländern wird der Gesundheitszustand der Staats- und Regierungschefs wie ein Staatsgeheimnis gehütet. Es gibt aber auch andere Beispiele.
Eine solche Szene hat es vor dem Kanzleramt in Berlin noch nicht gegeben. Bundeskanzlerin Angela Merkel und die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen sitzen auf zwei weißen Stühlen, die auf einem roten Podium stehen, während das Wachbataillon der Bundeswehr die Nationalhymnen abspielt. Das Protokoll sieht vor, dass die Kanzlerin und ihr Gast die Zeremonie im Stehen absolvieren – das ist bei Empfängen von Staats- und Regierungschefs mit militärischen Ehren weltweit so. Insgesamt drei Mal hat die Kanzlerin in solchen Situationen aber minutenlang gezittert, zuletzt am Mittwoch bei der Begrüßung des finnischen Ministerpräsidenten Antti Rinne.
Jetzt haben ihre Leute im Kanzleramt einen Weg gefunden, eine Wiederholung zu vermeiden. Trotzdem bleiben viele Fragen rund um die Gesundheit der Kanzlerin offen. Eine ganz einfache lautet: War Merkel eigentlich beim Arzt? Selbst das beantwortet sie nur indirekt. Man dürfe davon ausgehen, „dass ich erstens um die Verantwortung meines Amtes weiß und deshalb auch dementsprechend handele – auch was meine Gesundheit anbelangt“, sagt sie am Donnerstag auf der Pressekonferenz mit Frederiksen auf eine entsprechende Frage. „Und zweitens dürfen Sie davon ausgehen, dass ich auch als Mensch ein großes persönliches Interesse daran habe, dass ich gesund bin und auf meine Gesundheit achte.“
Muss man ihre Schweigsamkeit respektieren oder haben rund 80 Millionen Deutsche das Recht, mehr über ihre Kanzlerin zu erfahren? Das wird in Berlin zunehmend kontrovers diskutiert. „Merkel verweigert sich den Grundsätzen der transparenten Rechnungslegung, die beim Spitzenpersonal immer auch den eigenen Gesundheitszustand einschließt“, schreibt zum Beispiel der Journalist Gabor Steingart am Donnerstag in seinem „Morning Briefing“.
In anderen Ländern wird die Privatsphäre von Spitzenpolitikern jedenfalls weitaus weniger geachtet als hierzulande. In den USA ist es beispielsweise Konsens, dass Präsidenten und Präsidentschaftsbewerber Einblick in medizinische Details geben. So lud der inzwischen gestorbene Republikaner John McCain im Mai 2008 rund 20 Journalisten ein, um mehr als tausend Seiten seiner Gesundheitsakten durchzugehen. Der Präsidentschaftskandidat war zu diesem Zeitpunkt 71 Jahre alt, er sah sich Fragen ausgesetzt, ob er gesundheitlich überhaupt in der Lage sei, das mächtigste Amt der Welt auszuüben.
Im Wahlkampf 2016 sorgte dann die demokratische Kandidatin Hillary Clinton für Schlagzeilen, weil sie eine Lungenentzündung geheim gehalten hatte. Bei einer Gedenkveranstaltung für die Opfer der Terroranschläge vom 11. September 2001 in New York hatte sie einen Schwächeanfall erlitten. Videobilder einer wegsackenden Kandidatin, die von anderen gestützt werden musste, machten die Runde. Ihr Team brauchte recht lange, um überhaupt zu reagieren und sprach zunächst von einem Hitzeanfall. Clinton hatte ohnehin Glaubwürdigkeitsprobleme, für den Umgang mit der Krankheit wurde sie heftig kritisiert.
Wie glaubwürdig die Medizinchecks der Präsidenten sind, ist spätestens seit Donald Trump umstritten. 2018 attestierte der damalige Chefmediziner im Weißen Haus, Ronny Jackson, ihm in übertrieben wirkenden Lobeshymnen eine exzellente Gesundheit und eine tadellose geistige Verfassung. Unter anderem sagte Jackson, Trump hätte, auch aufgrund seiner hervorragenden Gene, 200 Jahre alt werden können – wenn er sich nur besser ernährt hätte. Jackson wurde wenig später von Trump als Minister für die Angelegenheiten von Kriegsveteranen für einen Kabinettsposten vorgeschlagen. Allerdings zog der Mediziner seine Bewerbung zurück, nachdem Vorwürfe gegen ihn laut geworden waren, die sich unter anderem auch um Alkoholmissbrauch im Job drehten.
Ganz anders läuft es in Russland. Der Kreml hütet den Gesundheitszustand des russischen Präsidenten wie zu Sowjetzeiten wie ein Staatsgeheimnis. Dass Kremlchef Wladimir Putin auch mit 66 Jahren topfit ist, sollen regelmäßig Bilder beim Judo und beim Eishockeyspielen zeigen. Die Botschaft ist: Wer so aktiv ist und im Judo seinem schwarzen Gürtel noch alle Ehre macht, dem kann nichts fehlen. Fast schon Kultstatus haben seine Auftritte mit freiem Oberkörper – als scheinbar kerngesunder Naturbursche beim Angeln oder Reiten. Aber auch schon bei einem öffentlichen Arztbesuch hat er sich seine Fitness bescheinigen lassen.
Dabei gilt in Russland die Devise, dass der Präsident nicht sich selbst gehört: Gerade weil in einer Autokratie wie Russland alle wichtigen Entscheidungen von einem Menschen getroffen werden, träfe eine Krankheit des Präsidenten das Land bis ins Mark.
Wohl auch deshalb gab es 2012 einigen Wirbel: Wegen einer monatelangen Reisepause gab es Spekulationen über Russlands „Rückgrat Nummer eins“, weil sich Putin vom türkischen Regierungschef Recep Tayyip Erdogan in den Sessel helfen ließ. Auch bei einem Besuch von Angela Merkel in Moskau empfing er die Kanzlerin sitzend. Deutlicher, als dass Putin eine ältere Sportverletzung plagen könnte, wurde Kremlsprecher Dmitri Peskow damals nicht. Hartnäckig hielten sich aber Gerüchte, der Tierschützer Putin habe sich bei einem Flug in einem Spezialgerät zusammen mit seltenen sibirischen Kranichen eine Rückenverletzung zugezogen.
In der arabischen Welt ist die Gesundheit der Staats- und Regierungschefs ebenfalls ein großes Tabu - und doch ein großes Thema, weil viele Politiker in hohem Alter sind. Algeriens Präsident Abdelaziz Bouteflika (82) saß seit einem Schlaganfall 2003 im Rollstuhl und trat kaum noch öffentlich in Erscheinung. Algerische Karikaturisten stellten ihn oft als Gespenst dar. Immer wieder flog er zu Behandlungen in die Schweiz. Offizielle Informationen gab es dazu fast nie.
Wenn es doch einmal Informationen gibt, schürt das gleich Gerüchte. Erst vor zwei Wochen teilte das tunesische Präsidialamt mit, dass der 92 Jahre alte Präsident Beji Caid Essebsi ins Krankenhaus gebracht werden musste. Sofort kursierten wilde Gerüchte, die den Präsidenten schon für tot erklärten. Erst spät gab es ein Foto des Präsidialamtes, das den Staatschef im Kreis der Ärzte zeigte – und bis heute keine Erklärung für den Krankenhausaufenthalt.
Im Vatikan gilt eine ganz radikale Devise: „Päpste sind nicht krank, Päpste sterben.“ Im Klartext: Über die Gesundheit des Kirchenführers wird zu Lebzeiten nicht gesprochen, bekannt gegeben wird erst der Tod. Im Fall des an Parkinson erkrankten Papstes Johannes Paul II. klang der erste Hinweis darauf recht umwölkt: Der damalige Papst-Sprecher Joaquín Navarro-Valls sprach damals von einer „Krankheit extra-pyramidalen Ursprungs“. Und doch war diese Offenheit für manche Kirchenobere ein „Skandal“. Zuletzt musste der Sprecher über den Todeskampf Johannes Pauls berichten – und er tat dies fast minuziös
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