Die Krankenkassen fordern angesichts einer erwarteten Milliardenlücke im kommenden Jahr rasch grundlegend mehr finanzielle Stabilität. „Es drängt massiv“, sagte die Vorstandschefin des GKV-Spitzenverbands, Doris Pfeiffer, am Mittwoch in Kremmen bei Berlin. Sie äußerte sich enttäuscht, dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bisher nicht mit einem Gesetzentwurf gekommen sei. Statt Jahr für Jahr immer wieder über „unstete Sonderfinanzierungen“ zu diskutieren, brauche es grundsätzlich eine höhere nachhaltige Regelfinanzierung.
Für 2023 fehlten Stand heute 17 Milliarden Euro, sagte Pfeiffer. Dies sei auch auf politische Entscheidungen zurückzuführen. So führten Gesetze für mehr Pflegepersonal oder kürzere Wartezeiten beim Arzt allein zu dauerhaften Mehrkosten von fünf Milliarden Euro pro Jahr.
Für mittelfristig stabile Finanzen schlagen die Kassen unter anderem vor, die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel zu senken. Es handele sich um lebenswichtige Produkte, sagte Pfeiffer. Eine Senkung von den vollen 19 Prozent auf den ermäßigten Steuersatz von sieben Prozent würde sechs Milliarden Euro Entlastung bringen. Der Verband forderte zudem, den bei 14,5 Milliarden Euro im Jahr „eingefrorenen“ regulären Zuschuss aus dem Bundesetat bei steigenden Ausgaben regelmäßig zu erhöhen. Zudem seien die Pauschalen, die der Staat als Kassenbeiträge für Hartz-IV-Empfänger zahle, deutlich zu niedrig.
Lauterbach hatte bereits signalisiert, dass er mehrere Bausteine im Blick hat – das Nutzen von „Effizienzreserven“ im Gesundheitssystem und Rücklagen der Krankenkassen, zusätzliche Bundeszuschüsse sowie auch Beitragsanhebungen. In diesem Jahr bekommen die Kassen schon einen aufgestockten Bundeszuschuss von 28,5 Milliarden Euro. Damit soll der durchschnittliche Zusatzbeitrag vorerst bei 1,3 Prozent gehalten werden. Die konkrete Höhe ihres Zusatzbeitrags legen die Kassen selbst fest. Der gesamte Beitrag umfasst daneben den allgemeinen Satz von 14,6 Prozent des Bruttolohns.
Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) forderte eine stabilere Finanzierung der gesetzlichen Kassen. „Gute Gesundheitsversorgung darf nicht von jährlichen Last-Minute-Maßnahmen abhängen“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel. Der Bund sei in der Verantwortung, das selbst verursachte Finanzloch dauerhaft zu stopfen. „Beitragszahlende oder Versicherte dürfen nicht die Zeche zahlen.“ Die gesetzliche Krankenversicherung müsse auch als Solidarsystem ausgebaut werden, in das mehr Menschen einzahlen.
GKV-Chefin Pfeiffer erläuterte, dass die Lücke von 17 Milliarden Euro einer Beitragsanhebung um 1,1 Prozentpunkte entspräche. Sie wies auch auf Auswirkungen auf Kassenmitglieder und Arbeitgeber angesichts der derzeit hohen Inflation hin. Rein rechnerisch entsprechen 0,1 Punkte beim Beitragssatz demnach Einnahmen von 1,6 Milliarden Euro.
Nach einem Minus von knapp 5,8 Milliarden Euro im vergangenen Jahr gebe es im Moment keine Veranlassung, für 2022 ein erneutes Defizit anzunehmen, machte Pfeiffer deutlich. Zusätzliche Ausgaben für Flüchtlinge aus der Ukraine dürften keine dramatische Größenordnung ausmachen. Laut Verband sind für dieses Jahr 300.000 neue Versicherte und Ausgaben von 400 Millionen bis 500 Millionen Euro zu erwarten.
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