GKV-Finanzen

Spargesetz bremst Arzneimittelausgaben Patrick Hollstein, 15.09.2023 15:20 Uhr

Laut BMG sind Leistungs- und Verwaltungsausgaben der Kassen im ersten Halbjahr gestiegen. Grafik: BMG
Berlin - 

Die Krankenkassen haben im ersten Halbjahr ein Defizit von rund 600 Millionen Euro verbucht. Ursächlich hierfür ist laut Bundesgesundheitsministerium (BGM), dass sie 1,25 Milliarden Euro an den Gesundheitsfonds abführen mussten. Ohne diesen Beitrag zur Stabilisierung der GKV-Finanzen hätten sie einen Überschuss von rund 600 Millionen Euro erzielt.

Mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) waren die Kassen verpflichtet worden, in diesem Jahr insgesamt 2,5 Milliarden Euro ihres Vermögens abzuführen. Die Finanzreserven beliefen sich trotzdem zum Ende des ersten Halbjahres auf 9,7 Milliarden Euro und damit rund 0,4 Monatsausgaben – was dem Zweifachen der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestreserve entspricht.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte, das Defizit sei wegen des GKV-FinStG erwartet worden: „Zu Beginn der Legislaturperiode war für das Jahr 2023 mit hohen Beitragssatzsteigerungen gerechnet worden. Mit dem Finanzstabilisierungsgesetz haben wir den Anstieg der Zusatzbeiträge erfolgreich begrenzt und hohe Belastungen der Beitragszahler vermieden.“ Auch die Krankenkassen leisteten damit ihren Beitrag zur Konsolidierung der GKV-Finanzen. „Ziel unserer Politik bleibt weiterhin, keine Leistungen für die Versicherten zu kürzen und die Beitragszahler nicht über Gebühr zu belasten.“

Gestiegene Ausgaben

Den Einnahmen der Krankenkassen in Höhe von 151,1 Milliarden Euro standen Ausgaben in Höhe von 151,8 Milliarden Euro gegenüber. Die Ausgaben für Leistungen und Verwaltungskosten wuchsen bei einem Anstieg der Versichertenzahlen von 1,1 Prozent um 4,6 Prozent. Der durchschnittlich von den Krankenkassen erhobene Zusatzbeitragssatz liegt seit Jahresbeginn konstant bei 1,51 Prozent und damit unterhalb des Ende Oktober für das Jahr 2023 bekannt gegebenen durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes von 1,6 Prozent.

IKK im Plus, Rest im Minus

Die Innungskrankenkassen erzielten einen Überschuss von 64 Millionen Euro und die nicht am Risikostrukturausgleich teilnehmende Landwirtschaftliche Krankenkasse einen Überschuss von 5 Millionen Euro. Defizite erzielten hingegen die Allgemeinen Ortskrankenkassen (271 Millionen Euro), die Ersatzkassen (244 Millionen Euro), die Betriebskrankenkassen (111 Millionen Euro) sowie die Knappschaft (69 Millionen Euro).

Gesundheitsfonds mit Defizit

Der Gesundheitsfonds, der zum Stichtag 16. Januar über eine Liquiditätsreserve von 12 Milliarden Euro verfügte, verzeichnete im ersten Halbjahr ein Defizit von 5,6 Milliarden Euro. Der größere Teil dieses Defizits ist laut BMG saisonüblich. So flössen die Ausgaben des Gesundheitsfonds als monatliche Zuweisungen in konstanter Höhe an die Krankenkassen, während die Einnahmen unterjährig erheblich schwanken und insbesondere im 4. Quartal aufgrund der Verbeitragung von Jahressonderzahlungen wie beispielsweise dem Weihnachtsgeld höher ausfallen. Ein Teil des Defizits resultiert allerdings aus einer Maßnahme des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes: Durch die Absenkung der Obergrenze der Liquiditätsreserve werden zusätzliche Mittel an die Krankenkassen ausgeschüttet, um die Zusatzbeiträge der Krankenkassen zu stabilisieren.

Die Beitragseinnahmen (ohne Zusatzbeiträge) stiegen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 5,9 Prozent. Verantwortlich für die außerordentlich gute Einnahmenentwicklung im ersten Halbjahr sind laut BMG insbesondere die zuletzt inflationsbedingt kräftigen Tariflohnsteigerungen. Auch die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro pro Stunde zum 1. Oktober 2022 sowie der Abbau der Kurzarbeit gegenüber dem 1. Halbjahr 2022 wirken sich positiv auf die Lohnentwicklung aus. Vor diesem Hintergrund sei in der zweiten Jahreshälfte mit einer abflachenden Veränderungsrate bei den Beitragseinnahmen zu rechnen.

Sondereffekt bei Verwaltungskosten

Bei einem Anstieg der Leistungs- und Verwaltungsausgaben im 1. Halbjahr von 4,6 Prozent stiegen die Leistungsausgaben um 4,9 Prozent. Hierbei schlägt sich laut BMG der Inflationsdruck im Gesundheitswesen zunehmend auch in den regelhaften Vergütungsanpassungen in den verschiedenen Leistungsbereichen nieder. Die Verwaltungskosten reduzierten sich um 2 Prozent, was maßgeblich auf die im Vorjahreshalbjahr gebildeten hohen Altersrückstellungen einer einzelnen Krankenkasse zurückzuführen ist. Ohne Berücksichtigung von Altersrückstellungen stiegen die Verwaltungskosten um 4,1 Prozent.

Die Ausgaben für Krankenhausbehandlungen wuchsen um 7 Prozent, wenngleich gegenüber dem 1. Quartal, als der Zuwachs noch 7,7 Prozent betrug, eine leichte Abflachung stattgefunden hat. Ursächlich für die im Vergleich zu den vergangenen Jahren hohe Veränderungsrate ist laut BMG die Kombination aus einer sehr dynamischen Preiskomponente, steigenden Fallzahlen sowie insbesondere die mit 12,5 Prozent erneut stark gestiegenen Pflegepersonalkosten.

Weiterhin dämpfend wirkt die Erhöhung der gesetzlichen Rabatte pharmazeutischer Unternehmer durch das GKV-FinStG auf die Aufwendungen für die Versorgung mit Arzneimitteln, die um 2,4 Prozent stiegen.

Die Ausgaben der GKV für ambulant-ärztliche Behandlungen stiegen um 1 Prozent. Bei der Interpretation der Veränderungsrate ist laut BMG zu berücksichtigen, dass die Buchungen von Schätzungen geprägt sind, da Abrechnungsdaten für den betrachteten Zeitraum noch nicht oder nur teilweise vorliegen. Dämpfend wirken u.a. der deutliche Rückgang von Corona-spezifischen Abrechnungsziffern wie Testungen.

Stark gestiegen seien die Ausgaben für Schutzimpfungen mit 17,8 Prozent, für häusliche Krankenpflege mit 12 Prozent sowie für Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen mit 11,1 Prozent. Letztere wiesen laut BMG nach den pandemiebedingten Einbrüchen der vergangenen Jahre schon 2022 eine überdurchschnittliche Dynamik auf. Im Bereich der Schutzimpfungen ist die starke Wachstumsrate insbesondere auf die Ausgaben für die Abgabe von Impfstoffen gegen Gürtelrose und FSME zurückzuführen. Die Dynamik bei der häuslichen Krankenpflege dürfte laut BMG primär im Tariftreuegesetz begründet sein, das am 1. September 2022 in Kraft trat.

Der GKV-Schätzerkreis wird die Versichertenentwicklung, die Ausgaben und die Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung für das laufende und das kommende Jahr Mitte Oktober prognostizieren. Das BMG wird daraufhin bis zum 1. November unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Schätzerkreises den durchschnittlichen ausgabendeckenden Zusatzbeitragssatz für das Jahr 2024 bekannt geben.