Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens findet am morgigen Mittwoch eine Anhörung im Bundesgesundheitsministerium (BMG) statt. Arzneimittelhersteller und Kassen bringen sich vorab in Stellung.
Ab 9.30 Uhr werden die Verbände digital angehört, für das BMG nimmt Dr. Thomas Braun teil, Leiter des zuständigen Referats 228 (Mitgliedschafts- und Beitragsrecht) und früherer wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestagsbüro von Jens Spahn (CDU). Ob auch Abteilungsleiter Thomas Müller dabei sein wird, ist nicht bekannt. Minister Karl Lauterbach (SPD) ist nicht dabei.
Den Kassen gehen die Einsparungen nicht weit genug. In den Eckpunkten wird für 2023 eine 17 Milliarden Euro große Finanzlücke genannt. Das Iges-Institut hat dagegen im Auftrag der Kasse errechnet, dass die Finanzlücke bei 19 Milliarden Euro liegt und bis 2025 auf über 30 Milliarden Euro ansteigt. Im Fall eines wirtschaftlichen Einbruchs infolge eines Gasembargos durch Russland würde der Finanzbedarf im kommenden Jahr bereits rund 24 Milliarden Euro betragen. DAK-Chef Andreas Storm fordert deshalb, den Entwurf zu überarbeiten: „Weder begrenzt das Gesetz wirksam den Beitragsanstieg noch stabilisiert es langfristig die GKV-Finanzen. Das ist ein Destabilisierungsgesetz.“
Eine Destabilisierung, allerdings des Pharmasektors, fürchtet auch der Verband der Forschenden Arzneimittel-Unternehmen (vfa). Präsident Han Steutel: „Unter dem Strich sehe ich beim GKV-Finanzierungsgesetz kein Konzept, aber eine Menge Kollateralschäden.“ Die Pharmaindustrie habe die Defizite der gesetzlichen Krankenversicherung nicht verursacht; ihr Anteil an den Gesamtausgaben habe im letzten Jahrzehnt stabil bei 16 Prozent gelegen. „Der Versuch, sie dennoch in eine Sanierungshilfe zu zwingen, wirken nach wie vor willkürlich und treiben Juristinnen und Juristen eher die Sorgenfalten auf die Stirn.“
Vor allem „das Bestreben, aus Geldnot im Vorbeigehen das AMNOG (Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz) zu einer Art Mautsystem für innovative Arzneimittel umzubauen“, sei hochriskant. „Sogar Arzneimittel mit Zusatznutzen sollen jetzt unter Umständen zusätzlich rabattiert werden. Und Arzneimittelkombinationen werden gleich mit einem pauschalen Strafabschlag belegt. Bekanntlich hat der Gesundheitsminister versprochen, künftig ohne Leistungskürzungen für Versicherte auszukommen. Mit diesem Gesetzentwurf riskiert er aber Marktrücknahmen von Arzneimitteln, die sich genauso wie Leistungskürzungen auswirken werden.“
Laut Iges-Institut könnte mit den Maßnahmen des Spargesetzes ein Finanzierungsbedarf von 13,4 Milliarden Euro gedeckt werden. Die verbleibende Finanzierungslücke müsse aber durch eine Beitragssatzanhebung um 0,4 Beitragssatzpunkte geschlossen werden. Und laut Analyse wächst der Finanzierungsbedarf in den folgenden Jahren weiter deutlich an, denn 2024 bringen die Maßnahmen laut Iges nur noch 2,7 Milliarden Euro und 2025 etwa 1,5 Milliarden Euro. Storm: „Minister Lauterbach hat strukturelle Reformbedarfe in der GKV festgestellt, reagiert darauf aber zum überwiegenden Teil mit Einmalmaßnahmen.“
Der AOK-Bundesverband findet den aktuellen Gesetzesentwurf „völlig ungeeignet, die strukturelle Milliardenlücke der GKV langfristig zu schließen“. Die Liste der Kritikpunkte lang: So schaffe das Vorhaben eine gravierende Ungerechtigkeit zulasten der Beitragszahlenden, die mehr als zwölf Milliarden Euro und damit mehr als zwei Drittel der Mittel aufbringen sollen, die für das Stopfen des für 2023 prognostizierten Finanzlochs erforderlich seien. Das Gesetz sei alles andere als nachhaltig, biete aber „auch kurzfristig keine gesicherte Finanzperspektive“. Stattdessen gefährde es die finanzielle Stabilität der GKV fundamental.
Begrüßt wird dagegen die Ankündigung des BMG, einen Expertenrat für Finanzierungslösungen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) einzusetzen. Es sei gut, „Sachverstand zusammenzubringen, um tragfähige Lösungen von Dauer zu entwickeln“, sagt der stellvertretende Vorstandsvorsitzende Jens Martin Hoyer. Man erwarte, an den Beratungen des Expertenrates beteiligt werde.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) findet den Entwurf „nicht zielführend“. Insbesondere im ambulanten Bereich werde es zu „Fehlsteuerungen“ kommen, die geeignet seien, „das Vertrauen der Ärzteschaft in die Normenstabilität in der ambulanten Versorgung nachhaltig zu erschüttern“.
Angesichts des über die Budgetierung geleisteten dauerhaften Sparbeitrags sei es nicht nachvollziehbar, dass eine angemessene Vergütung der vertragsärztlichen Versorgung von Neupatienten wieder vorenthalten werde. „Insbesondere ist es nicht zu verstehen, dass ausgerechnet die vertragsärztliche Versorgung, die während der Corona-Pandemie für eine Stabilisierung der übrigen Sektoren gesorgt hat, nunmehr die Lasten der Ausgabenerhöhungen in den übrigen Sektoren mittragen soll.“
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