Spahns Masterplan gegen das Rx-Versandverbot Lothar Klein, 14.06.2018 10:34 Uhr
Spätestens zum Deutschen Apothekertag im Oktober in München will Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) seine Pläne für den Rx-Versandhandel lüften, ein Gesamtpaket für den Apothekenmarkt vorlegen. Das kündigte er in seiner wöchentlichen Facebook-Sprechstunde an. Ein Bestandteil wird eine Honorarreform sein, um die PTA-Ausbildung will er sich auch kümmern und natürlich eine Lösung für das versprochene Rx-Versandverbot präsentieren.
„Auch die Apotheker haben wir natürlich im Blick“, sagte Spahn auf Facebook. Er wolle außerdem „zeitnah“ die PTA-Ausbildung überarbeiten, auf einen modernen Stand bringen, „auch das ist im Blick“. Zum Paket gehöre auch die Vergütung der apothekerlichen Leistung. Er wolle in Gesprächen mit Apothekern schauen, „wie wir auch jenseits der Abgabe von Packungen gute Leistungen entsprechend vergüten können und natürlich das große Thema des Versandhandels und der gleichlangen Spieße in dem Bereich“. Spahn: „Auch dort bin ich noch in Gesprächen.“ Er kündigte an, dass er „spätestens, spätestens“ bis zum Deutschen Apothekertag in München ein Gesamtpaket präsentieren will.
Damit hat Spahn erstmals einen kleinen Blick in seine politischen Karten zu diesem heiklen Thema gestattet. Denn seit Wochen schweigen sich die Protagonisten des Showdowns für den Apothekenmarkt aus: Seit dem Treffen von Spahn mit der ABDA-Führung um Präsident Friedemann Schmidt hält die vereinbarte Funkstille. Umso intensiver wird hinter den Kulissen sondiert, verhandelt und nach einer Lösung gesucht. In den Schubladen des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) reift inzwischen ein Masterplan gegen das Rx-Versandverbot heran. Entschieden ist noch nichts, aber die Wetten laufen – gegen die ABDA.
Erst kürzlich wiederholte Spahn auf eine Anfrage der FDP mantramäßig seine Standardantwort: „Der Meinungsbildungsprozess über die Umsetzung dieser Vereinbarung ist innerhalb der Bundesregierung noch nicht abgeschlossen.“ Das ist richtig und falsch zugleich. Denn in den vielfältigen Gesprächen hat sich im BMG ein Bild entwickelt, das die ABDA nicht so gut dastehen lässt. Die Antwort an die FDP enthält denn auch eine klare Botschaft: „In den Meinungsbildungsprozess werden alle Möglichkeiten, die Apotheken vor Ort zu stärken, einbezogen“, heißt es dort. Das darf man bei der ABDA getrost als Warnung verstehen, nicht weiter zu allen Dingen zu schweigen.
Denn wo man in diesen Tagen in die Politik hinein hört, stößt man stets auf die gleichen Klagen: Die ABDA mauert, die ABDA sagt Nein, wo bleiben die Vorschläge der ABDA? Es sind Aussagen wie die von Dr. Andreas Kiefer, Präsident der Bundesapothekerkammer, zur Telemedizin der Ärzte, die selbst bei Politikern Kopfschütteln und Unverständnis auslösen, die den Apothekern wohlgesonnen sind. Durch die vom Ärztetag beschlossene Öffnung der Fernbehandlung werde sich für die Apotheker nichts ändern, da keine Rezepte ausgestellt werden dürften, glaubt Kiefer. Mit dieser Ansicht steht der BAK-Präsident unter den Verantwortlichen im deutschen Gesundheitswesen ziemlich alleine.
Die Augen gerieben haben sich viele auch bei der Lektüre der Aussagen des bayerischen Kammerpräsidenten Thomas Benkert zur Digitalisierung in den Apotheken: Man können den Patienten nicht alle Wünsche nach Bequemlichkeit erfüllen. Der Botendienst sei keine Dauereinrichtung für Patienten, die „lieber zu Hause auf dem Sofa eine Zigarette rauchen wollen“. Die Apotheker hätten die Zeichen der Zeit nicht erkannt, heißt es bei vielen Gesprächspartnern. Dass um die Apotheken herum eben diesem Prinzip folgend die Zahl der Dienstleistungsangebote explodiere, könne man doch nicht ignorieren.
Daher reißt selbst bei den treuesten Apothekenfreunden in der Politik der Geduldsfaden. Beim Bayerischen Apothekertag ermahnte Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) die Standesvertreter der Apotheker sogar öffentlich: „Man kann nicht immer nur Nein sagen.“ Die Blockadehaltung der ABDA schwächt im politischen Tauziehen die Position ihrer Unterstützer.
Die politische Ausgangslage der ABDA hat sich auch in den Reihen der CDU/CSU verschlechtert: Der einflussreiche Mittelstand gab Spahn kürzlich unmissverständlich zu verstehen, dass man vom Thema Rx-Versandverbot nichts mehr hören wolle. Und Ex-Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), heute Fraktionsvize der Union, winkt inzwischen genervt ab, spricht man ihn auf die Stimmung bei den Abgeordneten an.
Derweil kämpft die gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion, Karin Maag, auf immer schwankenderem Fundament für das Versprechen im Koalitionsvertrag. Ihr Standing im Machtgefüge hat auch aus anderem Grund gelitten, seit Mitarbeiter die Fraktion fluchtartig verlassen haben. Auch mit dem BMG gibt es auf menschlicher Ebene Dissonanzen. Es knirscht allerorten im politischen Gebälk zu Lasten der ABDA.
Im BMG sucht man derweil nach einer Lösung für das Rx-Versandverbotproblem. Mit der ABDA hat Spahn gesprochen und Schmidt unmissverständlich zur Vorlage eigener Vorschläge aufgefordert. Seitdem erlebt man den ABDA-Präsidenten noch einsilbiger und in sich gekehrter als sonst. Denn die Zeit läuft ab, Schmidt steht unter Druck. Bis Ende Juni will das BMG seine Sondierungen abschließen. Gesprächspartnern wie dem BVDAK oder den Versandapotheken wurden Termine in Aussicht gestellt. Sie wurden gebeten, eigene Konzepte mit ins BMG zu bringen.
Andere wollen erfahren haben, dass Spahns Würfel bereits gefallen sind: gegen das Rx-Versandverbot. Eine Bestätigung dafür gibt es naturgemäß nicht. Aber auch im BMG sind die Zweifel an einer rechtlich sauberen Lösung gewachsen. Daher sind sind viele Beobachter in einem Punkt einig: Im Spätsommer wird Spahn einen Masterplan präsentieren – mit der ABDA oder ohne die ABDA. Wer Ambitionen auf das Kanzleramt hat und den Trumps und Putins dieser Welt Paroli bieten will, kann es sich nicht leisten, vor den Apothekern zu kuschen.
Selbst CDU-Politiker wetten darauf, dass Spahns Masterplan kein Rx-Versandverbot enthält. Dafür zeichnet sich folgender Inhalt ab: Voraussichtlich am 4. Juli entscheidet das Bundessozialgericht (BSG) über die Zulässigkeit der Mischkalkulation bei der Preisbildung für neue Arzneimittel. Hier gibt es je nach Ausgang Handlungsbedarf. Auch die Tricksereien der Kassen bei den Ausschreibungen für Impfstoffe erfordern eine gesetzgeberische Klarstellung. Dann hätten sich die Apotheker womöglich sogar ein Eigentor geschossen.
Und das Honorar des Großhandel steht auf der Themenliste. Anders als Ärzte und Apotheker hat der Großhandel für die letzte großen Sparrunde im Gesundheitswesen 2011/2012 keine Kompensation erhalten. Jetzt könnte Spahn das Skonto-Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) gerade rücken und ein Rabattverbot für den Fixteil der gesetzlichen Großhandelsmarge festschreiben. Dabei ist eine Erhöhung des Fixhonoras im Gespräch bei gleichzeitiger Senkung des prozentualen Anteils, derzeit 3,15 Prozent. So haben es auch die 2hm-Gutachter vorgeschlagen.
Aus Spahns Sicht könnte daraus ein perfekter Zug entstehen: Er könnte dem Großhandel mehr Geld verschaffen, ohne dass Mehrkosten entstehen. Denn bezahlen müssten die Apotheken die Zeche, die vom Großhandel hohe Rabatte erhalten – in der Regel die großen, umsatzstarken Apotheken. Auch diese Umverteilung würde in Spahns politische Bild passen: Das frei werdende Geld könnte er in einen Strukturfonds für Landapotheken stecken oder für die Honorierung von anderen apothekerlichen Leistungen verwenden – Umverteilung à la Spahn. Und für Rx-Arzneimittel müssten die Kassen nicht mehr bezahlen als heute.
Und die Versandapotheken? „Alle müssen einen Blutzoll zahlen“, heißt es, „sonst kann Spahn seinen Masterplan nicht öffentlich verkaufen.“ Also kommen auch die ausländischen Versender nicht ungeschoren davon. Kaum vorstellbar ist daher, dass die Boni von DocMorris & Co. weiterhin bei den Patienten landen.
CDU-Arzneimittelexperte Michael Hennrich hatte vorgeschlagen, dass Versender mit den Krankenkassen Verträge abschließen müssen. Auch ein Boni-Deckel, wie von Edgar Franke (SPD) vorgeschlagen, könnte die Wettbewerbsungleichheit beheben, gleichlange Spieße schaffen – das ist eine Frage der gesetzgeberischen Technik, hätte im Ergebnis aber eine ähnliche Wirkung.
Dank der Steilvorlage der Krankenkassen befindet sich Spahn bei der Lösung des Rx-Versandverbots in einer politisch verbesserten Ausgangsposition. Die Kassen wollen die Apotheker ganz nach dem 2hm-Gutachten des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) sogar um eine Milliarden Euro schröpfen: Mit seinem Masterplan gegen das Rx-Versandverbot könnte er sich so schützend vor die Apotheker stellen und zugleich ohne großen politischen Schaden den Koalitionsvertrag aushebeln.