Der Staat sitzt immer noch auf 1,1 Milliarden Atemschutzmasken, die er im Frühjahr im Eilverfahren beschafft hat – und weiß nicht so recht, wie er sie loswerden soll. FDP-Gesundheitspolitiker Karsten Klein wollte der Bundesregierung in einer parlamentarischen Anfrage auf den Zahn fühlen, ob bei den Beschaffungsverfahren damals alles sauber gelaufen ist. Besonders eine Frage interessierte ihn: Wieso hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) den über 100 Millionen Euro schweren Auftrag für die Logistik ohne Ausschreibung an ein Unternehmen aus einem Landkreis seines CDU-Bezirksverbandes vergeben?
Im Frühjahr musste es schnell gehen: Die Covid-19-Pandemie brach über das Land herein und die Bundesregierung versuchte, die damals akuten Versorgungsengpässe bei Persönlicher Schutzausrüstung (PSA) wie Atemschutzmasken auszuhelfen. Auch der unübersichtlichen und äußerst dringlichen Lage geschuldet, machte das schon zur damaligen Zeit einen chaotischen Eindruck. „Zeitweise konnte man nach Ansicht der Fragesteller den Eindruck gewinnen, dass Bund, Länder und Gesundheitseinrichtungen nicht gemeinsam, sondern gegeneinander den Weltmarkt nach Schutzausrüstungen sondieren würden“, schreiben Klein und seine Fraktionskollegen.
Statt einer normalen Ausschreibung wählte das BMG für einen Großteil der PSA eine Open-House-Vergabe (OHV) – und erhielt regen Rücklauf: Mindestens 1000 eingegangene Angebote wurden geprüft und 738 Zuschläge an 535 Vertragspartner vergeben. 371 von ihnen haben bis jetzt ihre Verträge vollständig oder zumindest teilweise erfüllt, so das BMG in der Antwort auf die parlamentarische Anfrage, die APOTHEKE ADHOC vorliegt. Insgesamt hatte das BMG schließlich Masken im Wert von über einer Milliarde Euro bestellt.
Seitdem beschert das Verfahren dem BMG einige Probleme: Dutzende Klagen gegen Spahns Haus sind derzeit anhängig, weil Firmen dem BMG Zahlungsverzug vorwerfen. Hinzu kamen Qualitätsmängel, die bei der Abwicklung festgestellt wurden. Der Bund beauftragte den TÜV mit der Prüfung und zog die Unternehmensberatung EY zur Unterstützung. Die kam zu dem Ergebnis, dass die gezahlte Summe von 4,50 Euro pro Maske aus heutiger Sicht viel zu hoch gewesen sei.
Diesen Vorwurf weist das BMG nun explizit zurück. „Die Preise im Open-House-Verfahren (OHV) wurden vom BMG nach sorgfältiger Abwägung auch unter Berücksichtigung der zum damaligen Zeitpunkt auf dem Markt gehandelten Preise festgelegt“, schreibt es auf Kleins Anfrage.
„Die im OHV festgesetzten Preise erscheinen der Bundesregierung eingedenk der damaligen weltweit außerordentlich angespannten Marktsituation auch in der Rückschau als angemessen, zumal sie auch Logistikdienstleistungen wie die Anlieferung nach Deutschland umfassten.“ Das sei im Nachhinein auch überprüft worden. Ende April hätten 74 Preisstichproben von OP-, FFP2- und FFP3-Masken demnach einen Durchschnittspreis von 6,33 Euro netto ergeben, der „deutlich über dem festgesetzten Preis im OHV“ liege.
Noch während das Open-House-Verfahren zur Maskenbeschaffung entworfen wurde, vergab das BMG allerdings einen anderen lukrativen Auftrag händisch an das Logistikunternehmen Fiege aus Greven – im Nachbarwahlkreis von Jens Spahn, der Vorstandsvize des CDU-Bezirksverbands Münsterland ist.
Das BMG betont, dass alles mit rechten Dingen zugegangen sei: Es seien Gespräche mit Unternehmen geführt worden, die in Betracht kamen. Dabei war Spahn offenbar persönlich aktiv: Neben Fiege habe er auch direkten Kontakt zu Spitzenvertretern der DHL und der Deutschen Bahn (DB) aufgenommen. „Vertreter der Unternehmen Fiege, DHL und DB sind Minister Spahn auch aus anderen dienstlichen Zusammenhängen bereits bekannt“, so das BMG. Und zumindest Fiege dürfte Spahn nicht nur aus dem Staatsamt bekannt sein: Gesellschafter Dr. Hugo Fiege ist Präsidiumsmitglied im Wirtschaftsrat der CDU.
Letztlich sei die Entscheidung im Rahmen einer Dringlichkeitsbeauftragung auf Fiege gefallen, weil das Unternehmen „über besondere Expertise in der Logistik von Medizinprodukten und Arzneimitteln verfügt“. Die Beauftragung sei Ende März in einem Verhandlungsverfahren ohne Teilnehmerwettbewerb erfolgt. Dies sei erforderlich gewesen, da die Beauftragung im Sinne der Vergabeverordnung äußerst dringlich war. „Das Verfahren war Ausdruck eines in der akuten Situation außergewöhnlich großen Handlungsdrucks“, so das BMG.
Fragen scheint aber noch die Vergütung aufzuwerfen. Wie hoch die bisher genau ist, dazu äußerte sich das BMG nicht. „Das Auftragsvolumen orientiert sich an den zu transportierenden Volumina“, heißt es dazu nur. „Die bisher im Rahmen der Logistikdienstleistung angefallenen Aufwendungen für das BMG umfassen einen niedrigen dreistelligen Millionenbetrag.“
Fiege sei dabei nicht nur für die Logistik der Ware aus dem Open-House-Verfahren zuständig, sondern der Auftrag erstrecke sich auf alle Beschaffungsverfahren – und er läuft weiter.
Bei Klein hinterlassen die Summen, die an Fiege fließen, Fragezeichen. „Bei der Vergabe an das Unternehmen Fiege halte ich es für wichtig, zu prüfen, ob eine marktübliche Vergütung vereinbart wurde“, fordert er. Auch das Vorgehen der Regierung bei der Beschaffung prangert er an. „Für eine effektivere Beschaffung von Persönlicher Schutzausrüstung müssen Bund und Ländern sich in Zukunft unbedingt besser abstimmen. Es ist kontraproduktiv, wenn Bund und Länder unkoordiniert, zeitgleich auf Einkaufstour gehen und dadurch den Preis ungewollt in die Höhe treiben und mehr Ware als nötig beschaffen.“
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