Der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hält die Arbeit der Ständigen Impfkommission (Stiko) unter den aktuellen Bedingungen der Corona-Pandemie für nicht ausreichend. Er meine das „wirklich vorwurfsfrei“ und plädiere für strukturelle Änderungen bei den Impfempfehlungen, so Spahn am Freitag in Berlin. Unter anderem seien unterschiedliche Auffassungen über die Kompetenzen der Stiko mitverantwortlich für das langsame Vorankommen der Booster-Impfungen. Eine eigene Verantwortung dafür sieht er nicht.
Die Stiko wurde in den zurückliegenden Monaten häufig für ihre langsame Arbeitsweise kritisiert, Spahn kann diese Kritik nachvollziehen: „Ich glaube, dass das wirklich wichtige Instrument der Ständigen Impfkommission keines ist für Pandemiezeiten“, so der Noch-Ressortchef in der Bundespressekonferenz. Als Kritik am Gremium selbst will er das aber nicht verstanden wissen: „Da wird eine unheimlich wichtige Arbeit geleistet, ehrenamtlich übrigens, und dafür bin ich sehr dankbar. Diese wissenschaftliche Expertise und Arbeit gibt es in wenigen anderen Ländern der Welt so. Die Frage ist nur, ob in einer Pandemie und Gesundheitskrise, es nicht doch einen anderen Mechanismus braucht für Empfehlungen zum Impfen als den herkömmlichen mit dem man ansonsten Impfempfehlungen entwickelt.“
Aus seiner Sicht müsse dieser Punkt deshalb „auf jeden Fall einer Prüfung und Veränderung unterzogen werden“, so Spahn. „Das sage ich in ausdrücklicher Dankbarkeit für die Arbeit der Ständigen Impfkommission. Die kann ja nichts dafür, dass keine andere Struktur in so einer Phase da ist.“
Doch wer ist dann daran schuld? Stiko-Chef Professor Dr. Thomas Mertens und Mitglied Professor Dr. Martin Terhardt hatten erst kürzlich unabhängig voneinander die kritisierte Langsamkeit damit begründet, dass es der Stiko an Personal fehle. „Warum haben Sie in so einem entscheidenden Punkt der Stiko nicht ausreichend Mittel zur Verfügung gestellt?“, wurde Spahn deshalb gefragt. „Also mir gegenüber hat Professor Mertens einen Personalbedarf bisher nicht geäußert. Wenn das so ist, rufe ich ihn gleich nachher an und spreche mit ihm darüber.“
Entscheidend sei jedoch nicht nur die Geschwindigkeit der Stiko-Empfehlungen, sondern auch die Frage von Zuständigkeiten, fuhr Spahn fort: Die 17 verantwortlichen Gesundheitsministerinnen und Gesundheitsminister von Bund und Ländern haben – sowohl bei den Impfungen von 12- bis 17-Jährigen als auch bei den Auffrischungsimpfungen – jeweils als zuständige Minister für die öffentliche Gesundheit das vorsorgliche Impfen empfohlen beziehungsweise im Fall von Kindern und Jugendlichen angeboten und möglich gemacht. „Und das war übrigens in Absprache, weil Professor Mertens und ich die gemeinsame Auffassung haben, dass eine Stiko-Empfehlung etwas anderes ist als eine Public-Health-Empfehlung, also eine Frage der öffentlichen Gesundheitsvorsorge in einer Pandemiesituation“, so Spahn. „Das heißt, wir haben da gar keinen Dissens gehabt, wie er gelegentlich beschrieben wurde. Den haben wir bis heute nicht.“
Worauf Spahn hinauswollte: Ministerbeschluss sticht Stiko-Empfehlung. „Wenn die 17 verantwortlichen Gesundheitsminister als Leiter ihrer Gesundheitsbehörden diese Entscheidung treffen, dann ist die aus meiner Sicht auch die, die gelten muss“, so Spahn. „Die Entscheidungen sind ja getroffen worden, auch von denjenigen, die für öffentliche Gesundheit zuständig sind. Aber sie brauchen vielleicht eine andere Untermauerung in einem Regelwerk.“
Die Politik habe die notwendigen Entscheidungen getroffen – kontraproduktiv sei dabei aber gewesen, dass die wegen fehlender Stiko-Empfehlungen in Zweifel gezogen wurden. „Wir haben per Gesetz auch die Haftungsfragen geklärt und trotzdem ist immer wieder dieser Punkt entstanden, wo es hieß: Nur wenn die Stiko empfiehlt“, so Spahn. „Und das ist aus meiner Sicht – und das sage ich noch einmal vorwurfsfrei und beschreibend – keine gute Situation. Das ist einer der Punkte, die dazu geführt haben, dass wir bei den Auffrischungsimpfungen nicht schnell genug waren in einer Zeit im September, wo wir es noch hätten sein können.“
Seit Monaten steht die Stiko unter Druck – nicht nur seitens der Politik, sondern zunehmend auch der Medien. „Gefährliche Gemütlichkeit“, titelte neulich der „Spiegel“. Gerade im Zusammenhang mit den Impfungen für Kinder ab fünf Jahren drohen neue Kontroversen. Viele Eltern wollen ihre Kinder impfen lassen, andere dagegen nicht, weil das Risiko, einen schweren Verlauf zu erleiden, äußert gering ist. Mertens erklärte unlängst, dass man den Nutzen und mögliche „Restrisiken“ gerade bei den Kindern in dieser Altersgruppe abwägen müsse. Die Stiko will ihre Empfehlung bis Ende Dezember abgeben.
Bei der Arbeit der Stiko geht es allerdings nicht nur um den „Nutzen für das geimpfte Individuum, sondern auch für die gesamte Bevölkerung“. „Während für die Zulassung einer Impfung deren Wirksamkeit (zumeist im Vergleich zu Placebo), deren Unbedenklichkeit und pharmazeutische Qualität relevant sind, analysiert die Stiko darauf aufbauend neben dem individuellen Nutzen-Risiko-Verhältnis auch die Epidemiologie auf Bevölkerungsebene und die Effekte einer flächendeckenden Impfstrategie für Deutschland.“ Für das Durchbrechen der Infektionsketten könnte also auch die Impfung von Kindern wichtig sein – wobei natürlich zuerst bei den Erwachsenen eine entsprechend hohe Impfquote erreicht werden müsste.
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