Seit letztem Herbst liegt das Apothekenstärkungsgesetz (VOASG) auf Eis. Erst soll das Votum der EU-Kommission zum darin enthaltenen Rx-Boni-Verbot eingeholt werden. Diese Woche reist Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) persönlich nach Brüssel. Derweil wächst in der CDU/CDU-Fraktion der Druck, bei einem Nein der Kommission wieder das im Koalitionsvertrag verankerte Rx-Versandverbot auf die Tagesordnung zu setzten.
Wie das Handelsblatt berichtet, plant Spahn in dieser Woche einen Besuch in Brüssel – Mittwoch oder Freitag soll die Reise stattfinden. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) will die Reisepläne nicht bestätigen. Allerdings weiß man auch bei den Gesundheitspolitikern der Union, dass Spahn das EU-Votum jetzt zur Chefsache erklärt hat. Mehrfach hatte Spahn laut Handelsblatt seinen Staatssekretär Thomas Steffen nach Brüssel geschickt, der nach Angaben aus Koalitionskreisen bei ständig wechselnden Ansprechpartnern im Stab des zuständigen Binnenmarktkommissars Thierry Breton aber nicht durchdrang. Zuletzt hatte Spahn Anfang Mai erklärt, nun selbst mit Breton sprechen zu wollen.
Nach Informationen aus Koalitionskreisen gerät der Gesundheitsminister zunehmend inzwischen aus den eigenen Reihen verstärkt unter Druck, das VOASG voranzubringen. Mehrere Gesundheitspolitiker haben öffentlich eine Entscheidung in der Hängepartie eingefordert. „Gerade in der Corona-Krise hat sich gezeigt, dass nur auf die Vor-Ort-Apotheken Verlass ist. Desinfektionsmittel gäbe es ohne die vielen Apotheken nicht in ausreichender Menge. Wir sind bei den Apothekern in der Pflicht, bis zum Ende der Legislaturperiode zu liefern. Wenn die EU-Kommission nicht zu Potte kommt, dann sollten wir das Versandhandelsverbot so umsetzen, wie es im Koalitionsvertrag steht. Wenn nicht zügig die Preisgleichheit gesetzlich festgelegt werden kann, dann müssen wir wieder über das Versandhandelsverbot reden“, forderte zuletzt CDU-Gesundheitspolitiker Alexander Krauß.
Damit steht Krauß nicht alleine, mehrere CSU-Gesundheitspolitiker schlossen sich dieser Forderung an. Mehrfach hatte auch Abda-Präsident Friedemann Schmidt die Politik an ihre Zusagen erinnert: Es werde jetzt „höchste Zeit“, dass die Beratung des VOASG im Bundestag vorankommen. Die Politik müsse die Rolle der Apotheken in der Corona-Krise anerkennen, so Schmidt: „Die vielen tausend inhabergeführten Apotheken vor Ort sind eine der wichtigsten, stabilsten und zugleich flexibelsten Säulen des Gesundheitssystems in Deutschland. Sie ordnungspolitisch abzusichern und gesundheitspolitisch zu fördern, ist eine raison d‘être.“
Der CDU-Gesundheitspolitiker Dr. Georg Kippels erklärte im Interview mit APOTHEKE ADHOC, dass er Chancen sogar sehe, auch unter Spahns Ägide ein Rx-Versandverbot durchzusetzen: „Das denke ich schon.“ Es gehe dabei „um bestimmte Fragestellungen von zulässigen oder unzulässigen ökonomischen Anreizen“. Es sei ja nicht zufriedenstellend gelungen, andere Lösungen zu finden. Deshalb sei die Notwendigkeit gegeben, „dass man dann an einem solchen Punkt eine wohldurchdachte und für den eigenen Entscheidungshintergrund überzeugende Lösung anstrebt – im Extremfall wohl wissend, dass sie nochmal einer juristischen Überprüfung unterzogen wird“.
Wenn es sich nicht vermeiden lasse und der objektiven Aufklärung der Sache diene, dann müsse auch konsequenterweise dieser Weg gegangen werden. „Die Politik kann nicht immer mit Kompromissen auch harte Entscheidungen vermeiden. Das hier ist so ein Fall. Wenn die angedachten Kompromisse einfach nicht funktionieren, dann muss auch mal eine klare Entscheidung her und die könnte dann auch durchaus einer Prüfung unterzogen werden, dafür sind wir ein rechtsstaatliches System“, so Kippels. Spahn hat sich zu einer Rückkehr zu einem Rx-Versandverbot noch nicht geäußert. Gesundheitspolitiker der Union haben allerdings zuletzt den Eindruck gewonnen, dass Spahn bei einem Nein der EU-Kommission zum Rx-Boni-Verbot das im Koalitionsvertrag verankerte Rx-Versandhandelsverbot doch noch umsetzten könnte – mit allen EU-rechtlichen Risiken.
Für Spahn könnte daher eine schwierige Entscheidung anstehen, orakelt das Handelsblatt: Entweder lege er sich mit den Gesundheitspolitikern seiner Fraktion an oder er riskiere einen Konflikt mit der Kommission während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, für die der Minister ein ambitioniertes Programm erarbeitet habe. Spahn wolle die europäische Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich stärken, um künftig besser auf Bedrohungen wie das Coronavirus reagieren zu können. Spahns Plädoyer für mehr Europa bekäme so einen schalen Beigeschmack, wenn Brüssel ihm gleichzeitig vorwerfen würde, die Regeln des Binnenmarktes zum Schutz heimischer Pharmazeuten zu missachten. Selbst wenn die Kommission Spahns Apothekengesetz mittragen sollte, könnten die Niederlande oder die dort ansässigen Versandapotheken den Fall wieder vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) bringen.
Die SPD beobachtet Spahns Balanceakt mit Interesse und bleibt bei ihrer skeptischen Haltung zu dem Gesetzentwurf. Für sie hängt das Vorgehen im Bundestag davon ab, was Spahn aus Brüssel mitbringt. Darauf warten auch die Gesundheitspolitiker der Union mit Spannung. Nächste Woche soll in der AG Gesundheit mit Spahn über das Apothekenstärkungsgesetz Klartext geredet werden.
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