Spätestens seit heute ist die politische Osterruhe vorbei: Von der Titelseite der Bild-Zeitung blickt ein wenig entspannter Jens Spahn die gut zwei Millionen Leser an. Der schlagzeilenträchtigste GroKo-Minister sorgt sich – nicht um das Gesundheitswesen, sondern um Recht und Ordnung in Deutschland, wie das Boulevard-Blatt in Großbuchstaben verkündet. Nicht der Bild-Zeitung hat Spahn ein Interview gegeben, sondern der international renommierten Neuen Zürcher Zeitung (NZZ). Deshalb kommen Spahns konservative Botschaften umso lautstärker in der Heimat an.
Nun prangert der amtierende Gesundheitsminister die Machtlosigkeit des Staates in einigen Bereichen an. Im NZZ-Interview beklagt der CDU-Politiker, dass aufgrund der Flüchtlingskrise viel Vertrauen verloren gegangen sei. „Die Aufgabe des Staates ist es, für Recht und Ordnung zu sorgen. Diese Handlungsfähigkeit war in den letzten Jahren oft nicht mehr ausreichend gegeben.“ Jeder Steuerbescheid komme pünktlich beim Bürger an, „aber bei Drogendealern, die von der Polizei zum zwanzigsten Mal erwischt werden, scheinen die Behörden oft ohnmächtig“.
Dann spricht Spahn Klartext: „Schauen Sie sich doch Arbeiterviertel in Essen, Duisburg oder Berlin an. Da entsteht der Eindruck, dass der Staat gar nicht mehr willens oder in der Lage sei, Recht durchzusetzen.“ Mit dieser Sicht der Dinge wähnt sich Spahn nicht allein. Auch „vernünftige Sozialdemokraten“ hätten das erkannt. Union und SPD wollen 5000 Beamte in Bund und Ländern einstellen – eine Umsetzung kann jedoch lange dauern.
Trotz seiner konservativen Töne will Spahn mit der AfD nichts zu tun haben. Es gebe fundamentale Unterschiede und Spahn schließt eine Zusammenarbeit auch für die Zukunft aus. „Die AfD-Führung ist der NPD heute näher als der Union“, sagte er. Er wolle die AfD „überflüssig machen“.
Obwohl Spahn selbst auf allen Social-Media-Kanälen unterwegs ist, kritisiert er das Twitter-Verhalten von Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Der CDU-Politiker fordert Zurückhaltung von Journalisten öffentlich-rechtlicher Medien bei privaten Meinungsäußerungen in Sozialen Netzwerken. Für sie müssten die gleichen Maßstäbe gelten wie für Mitglieder der Bundesregierung.
„Es gibt Tweets von Redakteuren des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die sind einfach nur politisch eindeutige Kommentare und sehr subjektiv“, sagte Spahn: „Da steht zur Absicherung drüber: privater Account.“ Solle er jetzt auch immer klarstellen, wenn er sich privat äußert, fragte Spahn: „Ich bin Mitglied der Regierung. Entsprechend werden Sie meine Zitate einsortieren. Die gleichen Maßstäbe sollten für Journalisten gelten.“
Prompt meldete sich der Deutsche Journalisten-Verband zu Wort: „Der Minister möge zur Kenntnis nehmen, dass die in der Verfassung garantierte Meinungsfreiheit für alle Bürger dieses Landes gilt, auch für Journalistinnen und Journalisten“, stellt DJV-Bundesvorsitzender Frank Überall klar. „Die von Herrn Spahn gewünschte Zurückhaltung ist nichts anderes als politisch verordnete Selbstzensur.“ So lange für den Leser klar zu erkennen sei, dass es sich bei dem Tweet um die persönliche Meinung des Verfassers handelt, dürften für Journalisten keine anderen Regeln gelten als für alle anderen Twitter-Nutzer.
Spahns eigentliches Ministergeschäft kam im NZZ-Interview nur kurz zur Sprache: Mit seiner Arbeit als Gesundheitsminister wolle er Vertrauen zurückgewinnen. „Im Gesundheitswesen will ich den Alltag der Bürger spürbar verbessern“, so Spahn. Das deutsche Gesundheitswesen sei gut.
Aber es gebe Dinge, „die sind nicht so, wie sie sein sollten: In der Pflege gibt es zu wenig Personal, bei der Vergabe von Arztterminen sind gesetzlich Versicherte gegenüber den Privaten benachteiligt, im ländlichen Raum haben wir Ärztemangel. In Teilen von Ostdeutschland wartet morgens vor einer Augenarztpraxis eine hundert Meter lange Schlange von Patienten“.
Die Debatte über steigende Kosten im Gesundheitswesen kenne er „in- und auswendig“, so Spahn: „Ich frage dann immer: Was soll denn rausfliegen aus dem Leistungskatalog? Mir fällt nichts ein.“ Das Gesundheitswesen werde teurer werden, „weil wir dank dem Fortschritt immer älter werden“. Um das zu finanzieren, brauche man wirtschaftliches Wachstum.
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