Spahn plant Staats-Jameda Tobias Lau, 26.11.2020 14:29 Uhr
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat mit seinem Nationalen Gesundheitsportal viel Kritik auf sich gezogen: Per Vertrag mit Google bremst er zugunsten steuermittelfinanzierter Agenturinformationen unabhängige Anbieter seriöser Gesundheitsinformationen aus. Doch er hat es offensichtlich nicht nur auf die freie Presse abgesehen: Laut dem Referentenentwurf des Digitale Versorgung und Pflege-Modernisierungsgesetzes (DVPMG) soll die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) verpflichtet werden, Informationen zum Aufbau eines Arztportals bereitzustellen. Das ähnelt offensichtlich dem Geschäftsmodell von Unternehmen wie Jameda oder Doctolib.
Portale wie Jameda haben sich in den vergangenen Jahren für viele Verbraucher zum Standard in der Arztsuche entwickelt: Endnutzer können im Browser oder per App unkompliziert Praxen nach Fachgebiet, Indikation, Namen oder Ort suchen und dort gleich Termine vereinbaren. Mindestens die Funktion als Suchportal will das Bundesgesundheitsministerium (BMG) ihnen aber künftig abnehmen: „Die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen [sic!] haben die Aufgabe, auf Suchanfragen der Nutzer nach bestimmten Vertragsärzten über das Nationale Gesundheitsportal […] arztbezogene Informationen an das Nationale Gesundheitsportal zu übermitteln. Die Kassenärztlichen Vereinigungen übermitteln ihrer jeweiligen Bundesvereinigung zu diesem Zweck regelmäßig aus den rechtmäßig von ihnen erhobenen Daten folgende Angaben“, heißt es im DVPMG-Entwurf.
Was folgt, sind die Angaben, die die Nutzer wohl künftig über das Staatsportal abrufen sollen:
- den Namen des Arztes
- die Adresse der Praxis oder der an der Versorgung teilnehmenden Einrichtung, in der der Arzt tätig ist
- die Fachgebiets-, Schwerpunkt- und Zusatzbezeichnungen
- die Sprechstundenzeiten
- die barrierefreie Erreichbarkeit der vertragsärztlichen Praxis oder der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Einrichtung, in der der Arzt tätig ist
- das Vorliegen von Abrechnungsgenehmigungen für besonders qualitätsgesicherte Leistungsbereiche in der vertragsärztlichen Versorgung.
All diese Informationen können Patienten auch heute schon erhalten, wenn sie auf Portalen wie Jameda oder Doctolib unterwegs sind – die werden allerdings künftig bei der Suche nach Arztpraxen unter dem BMG-Portal rangieren, das hat sich Spahns Haus vertraglich zusichern lassen.
Anders als für die Portale müssen die Ärzte bei der Listung durch das BMG jedoch nicht noch einmal gesondert zahlen. „Die Kassenärztliche Bundesvereinigung ermöglicht die gebührenfreie Nutzung der im Rahmen des elektronischen Systems […] bereitgestellten Informationen und Dienste durch das Bundesministerium für Gesundheit im Rahmen des Nationalen Gesundheitsportals“, so der Referentenentwurf. „Hierzu bietet die Kassenärztliche Bundesvereinigung eine geeignete Schnittstelle an.“
Der mögliche spätere Schritt, an die Suchfunktion auch eine Terminvergabe anzubinden, wäre zumindest kein innovativer. Ob das geplant ist oder zumindest erwogen wird, dazu will sich das Ministerium allerdings nicht äußern. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt könne man noch keine Stellung zur konkreten Ausgestaltung einzelner Regelungen nehmen, heißt es auf Anfrage. Der Entwurf befinde sich noch in der Frühkoordinierung.
Zumindest bei Jameda ist man sich der Gefahr aber bewusst – auch wenn sich das Portal selbstbewusst gibt: „Wir sind überzeugt, dass Patienten in der Lage sind, eigenständig und ohne Bevormundung eine informierte Entscheidung für das für sie beste Angebot zu treffen, und haben auch keinen Zweifel daran, dass diese Wahl auch in Zukunft immer zugunsten von Jameda ausfallen wird“, so das Unternehmen. Denn Jameda bietet über die im Gesetz vorgeschriebenen Angaben hinaus einiges an Services Informationen, die das BMG – noch – nicht bereitstellen will, darunter neben der Terminbuchungs- und Videosprechstundenfunktion auch 2,5 Millionen Erfahrungsberichte von Nutzern sowie Angaben zu den in der Praxis gesprochenen Sprachen. „All diese Services, die sowohl für den Patienten als auch für den Arzt einen Mehrwert haben, bietet in dieser Kombination nur Jameda“, erklärt eine Sprecherin. „Dennoch würde eine staatliche Regulierung die Wahlfreiheit der Patienten einschränken, den freien Wettbewerb unter den Anbietern untergraben und damit auf lange Sicht die Qualität und Nutzerfreundlichkeit der Angebote im Internet gefährden.“
Damit erginge es den Portal-Anbietern nicht anders als freien Medienunternehmen im Gesundheitssektor und darüber hinaus. Das Ministerium deklassiere mit seiner Vorgehensweise die freien marktwirtschaftlich organisierten Gesundheitsportale und setze alle Mechanismen der freien Information und damit der freien Meinungsbildung in unserer Demokratie außer Kraft, kritisierte der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ). „Das Ministerium setzt sich als staatlicher Sender mit der Unterstützung des Suchmonopols von Google unabhängig von jeder inhaltlichen Qualität vor die journalistischen Angebote der freien Presse“, so VDZ-Vizepräsident und Burda-Vorstand Philipp Welte – dessen Verlag als Betrieber von Netdoktor und Mitglied des „Zukunftspakts Apotheke“ selbst direkt von der staatlich sanktionierten Benachteiligung betroffen ist.