Spahn: Hau-Ruck-Minister macht Apothekern Beine Lothar Klein, 14.03.2019 10:19 Uhr
Kein Minister produziert so viele Schlagzeilen wie Jens Spahn (CDU) – Tag für Tag auf Facebook, Twitter, Instagram, in der Bild, der FAZ oder der Züricher NZZ. Gemessen am politischen Wirbel ist Spahn der Star im Kabinett. Mehr noch: Der Westfale arbeitet den Koalitionsvertrag ab, schießt im Hau-Ruck-Stil gern auch mal darüber hinaus. Spahn geht keinem Konflikt aus dem Weg – nicht mit Apothekern, Ärzten, nicht mit Kliniken oder Kassen. Den Apothekern stellt er sich beim Rx-Versandverbot in den Weg und macht ihnen beim E-Rezept Beine. Jetzt ist er ein Jahr im Amt und Vorgänger Hermann Gröhe (CDU) schon längst vergessen. Spahn eckt an, provoziert und treibt nebenbei Digitalisierung im Eiltempo voran. Beim Kampf um den Parteivorsitz hat er sich allerdings eine klare Abfuhr abgeholt. Aber jetzt kennen alle seine Ambitionen.
Spahn ist kein Sympathieträger – immer noch nicht. Er geht seinen eigenen Weg. Aber nach einem Jahr als Gesundheitsminister ist er bundesweit so bekannt wie selten ein Amtsinhaber zuvor. Nach einer Umfrage der Bild-Zeitung sind zwar 45 Prozent der Bürger mit Spahns Arbeit nicht zufrieden, aber nur nur 7 Prozent kennen ihn nicht. Auch das zählt in der Politik. Damit liegt Spahn hinter Kanzlerin Angela Merkel, der langjährigen Ministerin Ursula von der Leyen (3 Prozent) und Ex-CSU-Chef Host Seehofer (4 Prozent) auf dem vierten Platz. Zum Vergleich: Von Entwicklungsminister Gerd Müller haben trotz seiner zweiten Amtszeit 33 Prozent immer noch nichts gehört.
Aber Spahn ist nicht nur bekannt landauf, landab. Wenn am 14. März, dem ersten Jahrestag der neuen GroKo, der Bundestag wie geplant das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) verabschiedet, hat der umtriebige Gesundheitsminister innerhalb von 365 Tagen schon viel bewegt, Gesetze in rascher Folge geliefert, auch wenn einige davon SPD-Copyright tragen: „Ich bin gewählt worden, um zu entscheiden. Nichts tun ist für mich keine Option“, hat er als sein Motto demonstrativ auf die Internetseite des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) schreiben lassen.
Das ist kein leerer Spruch: Das GKV-Beitragsanpassungsgesetz ist verabschiedet, das Transplantationsgesetz und zwei Pflegegesetze auch. Spahn hat dem HIV-Schnellltest den Weg frei geschaufelt. Mit dem TSVG setzt der Gesundheitsminister das Versprechen der der Koalition um, die Zwei-Klassen-Medizin einzudämmen. Selbst die SPD ist mit ihm zufrieden: Spahn setzte ohne mit der Wimper zu zucken reine SPD-Politik um, lobte Fraktionsvize Karl Lauterbach seien langjährigen Gegenspieler auf Unionsseite in der Gesundheitspolitik.
Aber Spahn hat ein Problem: Der 38-jährige ist ehrgeizig, für manche zu ehrgeizig. Nicht ganz selbstverschuldet umgibt ihn ein Hauch sozialer Kälte. Mit Hartz IV habe „jeder das, was er zum Leben braucht“, hatte Spahn im Rahmen der Diskussion um einen Aufnahmestopp für Ausländer bei der Essener Tafel kurz nach Amtsantritt gesagt. Und wenig später, dass er seine kranken Eltern nicht pflegen würde. „Meine Eltern würden es auch nicht erwarten, dass ich meinen Beruf aufgebe, um sie zu pflegen“, sagte der CDU-Politiker in einer Talkshow. Und in der NZZ vertrat der Konservative „Law and Order“-Parolen.
Seitdem müht sich Spahn ab, sein Image glattzubügeln. Es gab Home-Storys mit seinem Lebenspartner, verbunden mit der Aussage, einmal ein gemeinsames Kind adoptieren zu können. In auf Facebook geposteten Gesprächen mit Pflegekräften und anderen Heilberuflern gab sich Spahn betont einfühlsam. Gezündet hat das nicht.
Im Kampf um den CDU-Vorsitz stand Spahn auf verlorenem Posten – selbst gegen den altvorderen Wirtschaftsliberalen Friedrich Merz. Aus der Niederlage dürfte Spahn seine Schlüsse ziehen. Daraus, dass einer seiner vermeintlichen Unterstützer, der Chef der Jungen Union, Paul Ziemiak, jetzt als neuer CDU-Generalsekretär Annegret Kramp-Karrenbauer dient. Spahn kann austeilen und musste im Dezember einstecken.
Weggesteckt hat er die Niederlage rasch: Wenige Tage später präsentierte Spahn der ABDA-Mitgliederversammlung sein Nein zum Rx-Versandverbot. Davon will Spahn nichts wissen. Für ihn gehören elektronisches Rezept und Versandapotheken zusammen. Die Patienten sollen einen Zusatznutzen haben. Der Versandhandel soll erlaubt bleiben. In Zeiten der Digitalisierung kann man aus seiner Sicht den Online-Handel nicht verbieten.
Spahn will dem Gesundheitssystem, in dem Veränderungen lange bestenfalls im Schneckentempo vorankamen, Beine machen. Vor allem die Digitalisierung treibt er als Gesundheitsminister voran. Dazu hat er in BMG nicht eine eigene Abteilung gegründet. E-Rezept, elektronische Patientenakte (ePA), Big Data sind für Spahn keine Zukunftsprojekte. Vor Ablauf seiner ersten Amtszeit soll das Realität werden.
Spahn ist nicht zu bremsen, schießt übers Ziel hinaus: Die Kassen laufen Sturm gegen seinen Plan, die Gematik unter die Kontrolle des BMG zu bringen. Mehr noch: Spahn will den Kassen die Übernahme von Behandlungskosten vorschreiben, wenn die Selbstverwaltung im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) nicht schnell genug spurt. Das geht selbst G-BA-Kritikern zu weit. Spahn ist Machtmensch und will sich von den eingespielten Rollenverteilungen im Gesundheitswesen nicht aufhalten lassen. „Alles steht unter der Überschrift: Vertrauen zurückgewinnen“, sagte Spahn über sich selbst. Die „Aufregerthemen“ der Wähler – Zwei-Klassenmedizin, Missstände in der Pflege und das Desaster der eGK – will er vergessen machen.
Auch die Apotheker hat er sich vorgeknöpft – nicht nur mit dem Thema Rx-Versandhandel: Plötzlich gibt die ABDA Gas bei der Einführung des elektronischen Rezeptes. Und ABDA-Präsident Friedemann Schmidt musste beim Deutschen Apothekertag einräumen: „Wir kommen mit unserer Haltung nicht weiter“. Er schwor die Pharmazeuten auf „tiefgreifende Veränderungen“ ein. Das sieht auch Spahn so: Unabhängig vom Thema Versandhandel werde die Arbeit in der Apotheke „in fünf Jahren ganz anders aussehen als heute“.