Spahn: Besser EU als Russland oder China dpa/APOTHEKE ADHOC, 13.01.2021 13:46 Uhr
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat zur Gemeinsamkeit bei den Impfungen gegen das Coronavirus aufgerufen und das Vorgehen der Bundesregierung erneut gegen Kritik verteidigt. „Diese größte Impfaktion unserer Geschichte ist eine Gemeinschaftsaufgabe“, sagte der CDU-Politiker am Mittwoch im Bundestag und warf ein Drohszenario an die Wand.
„Kein Land, keine Partei, keine Regierung kann allein dieses Virus besiegen, es geht nur gemeinsam“, sagte Spahn. Natürlich habe die Abstimmung zur Beschaffung des Impfstoffs durch die EU-Kommission länger gedauert, aber laut Spahn gab es keine Alternativen: Ein nationaler Alleingang hätte „handfeste negative Folgen“ gehabt: Es sei schon im Sinne der Wirtschaft, Menschen in allen Ländern gegen das Virus zu impfen. Spahn sprach von einem „Gebot der ökonomischen Vernunft“.
Abgesehen davon hätte ein Alleingang großer Länder wie Deutschland oder Frankreich ein verheerende Signalwirkung gehabt: „Was bedeutet so etwas für Vertrauen in der Zukunft?“ Und: „Wer wäre denn eingesprungen? China oder Russland?“ Laut Spahn geht es nicht um kurzfristige nationale, sondern um langfristige Interessen.
Das deutsche Gesundheitswesen habe gezeigt, wie widerstandsfähig es sei; man könne stolz sein auf Pflegekräfte, Ärzte, Apotheker und die Mitarbeiter im Gesundheitsdienst. Spahn räumte auch Fehler ein, forderte aber auch, dass sich jetzt möglichst viele Menschen impfen lassen: „Lassen Sie sich nicht von den aktuellen Schlagzeilen täuschen!“ Die Gesellschaft dürfe sich von Ängsten auseinander treiben lassen und denen, die sie schürten.
Spahn sagte erneut, dass sich im Sommer jeder Deutsche impfen lassen werde können. Es sei nicht zu wenig Impfstoff bestellt worden, nur gebe es Produktionsprobleme, wiederholte er und rechnete vor: Mehr als 140 Millionen Dosen kämen von Biontech/Pfizer, 60 Millionen Dosen von Curevac, 56 Millionen Dosen von AstraZenea und mehr als 37 Millionen Dosen von Johnson & Johnson.
Bei der Opposition kam Spahn mit seinen Ausflüchten nicht durch: FDP-Chef Christian Lindner warf Spahn und der Regierung handwerkliches Versagen vor. Es sei „beschämend“, seit Monaten hätte man die wichtigen Impfungen vorbereiten können und müssen. So aber habe man den Impfstart verstolpert.
Dass es überhaupt erst einer Intervention des Kanzleramts zugunsten des europäischen Einkaufs benötigt habe, müsse sich Spahn ankreiden lassen. Dass die EU-Kommission 750 Milliarden Euro an Wirtschaftshilfe ausschütte, aber beim Impfstoffeinkauf knausere und Bestellmengen nur nach und nach erhöhe, hätte auch der deutschen Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr auffallen müssen, so Lindner. So helfe es der Bundesregierung nicht, mit dem Finger auf die Brüsseler Behörde zu zeigen.
Dass die Kanzlerin das Thema zumindest teilweise an sich gezogen habe, sei ein Misstrauensvotum, so Lindner. Erneut forderte er einen Impfgipfel, um zeitnah auch den ambulanten Bereich einbeziehen zu können. Es gehe jetzt darum, möglichst schnell aus dem Lockdown zu kommen, die derzeitigen Verlautbarungen der Bundesregierung seien verstörend. „Auch bei einer nationalen Kraftanstrengung geht einem irgendwann die Puste aus.“ Es sei kaum vermittelbar, dass Ski- und Rodelpisten besser kontrolliert würden, als der Zugang zu Alten- und Pflegeheimen, kritisierte Lindner.
Karin Maag (CDU) verteidigte Spahn: „Es gibt kein Impfchaos“, sagte sie. Man sei dem Gesundheitsminister für seine Arbeit dankbar. Sie selbst habe für ihren Vater einen Termin ergattert und alles sei dann reibungsfrei abgelaufen. Die „Nörgler“ forderte Maag auf, sich einmal in Ländern wie Frankreich umzuhören. „Das erdet.“
SPD-Fraktionsvize Bärbel sagte, ess müsse alles dafür getan werden, bei den Impfungen besser zu werden. Fragen, die von SPD-Seite an Spahn etwa zu Bestellungen und Produktionskapazitäten gestellt wurden, seien nicht unanständig und auch „kein Wahlkampfgetöse“. Es gehe um Planbarbeit, nachdem Liefertermine nicht eingehalten worden seien und Senioren am Telefon hingen und nach Impfterminen fragten. In vielen Bundesländern laufe es gut, in manchen nicht. Aus Fehlern gelte es zu lernen. Das Impfmanagement sei noch zu verbessern.
Auch die Fraktionschefin der Linken, Amira Mohamed Ali, sprach von einem verstolperten Impfstart. Zur Aussage des Gesundheitsministers, dass es bei der großen Impfaktion am Anfang ruckeln könne, fragte sie: „Wann hört es auf zu ruckeln?“ Was Spahn denn Menschen sage, die an der Hotline mitgeteilt bekämen, dass sie nicht vor Oktober geimpft würden? Spahn solle erklären, wie er Impfungen für alle bis Sommer hinbekommen wolle. Er könne die Verantwortung nicht auf die Länder abwälzen. Sie kritisierte, dass die EU-Kommission erst im November verbindlich bestellt habe, als große Mengen der ersten Chargen bereits abverkauft gewesen seien. Dass Deutschland zugleich Fördermittel gewährt habe, sei niemandem zu erklären. Als Skandal bezeichnet sie es, dass offenbar auch Wirtschaftsinteressen eine Rolle beim Einkauf gespielt hätten – Stichwort: Sanofi.
Katrin Göring-Eckardt (Grüne) warb dafür, jetzt nicht die Nerven zu verlieren und sich nicht gegenseitig zu zerfleischen. Dennoch trug auch sie deutliche Kritik vor: Es könne nicht sein, dass die Enkelin im Internet suchen müssen, um einen Impftermin für ihre Oma zu ergattern. Man könne nicht Schulen schließen und das Privatleben einschränken und gleichzeitig die Büros offenhalten. Und man könne nicht einfach so eine – möglicherweise sogar vernünftige – FFP2-Maskenpflicht beschließen, ohne sich Gedanken um die Finanzierung zu machen: „Wissen Sie, wie stark die Preise seit dem Auftritt von Herrn Söder gestiegen sind?“ Dringend müssten endlich Schnelltests für Laien auf den Markt gebracht und Menschen, die das Land am Laufen halten, verteilt werden. „Herrn Spahn, bitte vergeigen Sie das nicht!“
Carsten Schneider (SPD) wollte von Spahn wissen, von wem es denn überhaupt die Forderung nach einem nationalen Alleingang gegeben habe. Von der SPD jedenfalls nicht. Trotzdem müsse Kritik erlaubt sein: Es falle in die Verantwortung des Gesundheitsministers, rechtzeitig und ausreichend Impfstoff zu beschaffen. Wenn Spahn einmal im Parlament nachgefragt hätte, ob man die Kosten aufbringen wolle, bei allen Hersteller die komplette Menge zu bestellen, hätte man ja gesagt. „Das ist doch eine Lapalie!“ Aber die Frage sei nie gestellt worden.