Halbzeitbilanz

Spahn auf dem Weg ins Kanzleramt Lothar Klein, 30.10.2019 14:49 Uhr

18 Gesetze in 18 Monaten: Bundesgesundheitsminister Jens Spahns (CDU) Regierungsbilanz kann sich sehen lassen. Es hat höhere Ämter fest im Blick. Foto: Andreas Domma
Berlin - 

Eigentlich wollte die Große Koalition (GroKo) noch vor der Landtagswahl in Thüringen ihre versprochene Halbzeitbilanz vorlegen. Weil Union und SPD sich aber noch immer nicht auf eine Grundrente einigen können, wurde auch der Kassensturz verschoben. So gibt es viel Kritik an der Arbeit der GroKo – teilweise zu Recht, anderes ist übertrieben. Die Stimmung ist jedenfalls gereizt und das wiegt in der Politik schwerer als eine Betrachtung der Fakten. Wer sich daran orientiert, muss allerdings zu dem Schluss kommen, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf der Positivseite der Regierungsbilanz stehen muss, kommentiert Lothar Klein.

Auch wenn viele Apotheker mit Spahns Weigerung hadern, das im Koalitionsvertrag in Aussicht gestellte Rx-Versandhandelsverbot umzusetzen: Bei Licht betrachtet hatte Spahn keine andere Wahl. Spahn will umsetzen, durchsetzen, Gesetze verabschieden und keinen politischen Phantomen nachjagen. Spahn handelt pragmatisch, er will Probleme lösen und keinen unhaltbaren Versprechen hinterherlaufen.

Und kein anderer Minister aus Merkels viertem Kabinett kann eine solche Bilanz präsentieren, ist so fleißig wie er: 18 Gesetze in 18 Monaten Ministerarbeit sind rekordverdächtig. Drei Gesetze aus dem BMG an einem Tag als Alleinunterhalter durchs Kabinett zu bringen, hat vor ihm noch niemand geschafft. Das kann man hyperaktiv nennen, aber auch konsequent. Spahn setzt den Koalitionsvertrag um und macht dabei keine Pause: Bis Weihnachten stehen noch drei weitere Vorhaben auf seiner Agenda, darunter auch die Regelungen zum Datenschutz bei der elektronischen Patientenakte, komplexe Rechtsverordnungen zur Erstattung von medizinischen Apps und – wenn es irgendwie geht – das Apothekenstärkungsgesetz.

Spahn Politikstil gefällt dabei nicht jedem – auch in der Union. Spahn geht forsch voran, nimmt dabei keine Rücksicht auf eingefahrene Wege und regelt mehr, als im Koalitionsvertrag vereinbart ist. Gibt es Probleme, werden diese wenn nötig auch auf unkonventionelle Weise gelöst. So tauchen beispielsweise die Modellvorhaben für Grippeschutzimpfungen durch Apotheker plötzlich im Masernschutzgesetz auf, das noch nicht einmal im Koalitionsvertrag zu finden ist. Unübersichtlichkeit in der Gesetzgebung nimmt Spahn dabei in Kauf. Über Kritik aus den Regierungsfraktionen sowie den Bundesländern setzt sich Spahn hinweg.

Zu Spahns Politikstil gehört aber auch der politische Diskurs – wenn es sein muss mit harten Bandagen. Das haben die Apotheker beim letzten Apothekertag erlebt. So ist Spahn auch mit den Ärzten und Krankenhäusern verfahren. Aber Spahn kann nicht nur holzen, er kann auch einstecken wie beim Faire-Kassenwettbewerbgesetz, dessen Name er auf Druck der Länder änderte. Gegen den Widerstand der AOKen, Arm in Arm mit den Ländern, konnte sich Spahn nicht durchsetzen. Spahn ist Realist und passt sich an, wo es Not tut. Das gilt nicht nur für die Gesundheitspolitik. Seit er beim Kampf um den CDU-Vorsitz unterlag, legt er sich als Gesundheitsminister umso stärker ins Zeug. Seine blitzsaubere politische Bilanz soll ihm am Tag X den Weg zu höheren Ämtern ebnen. Während andere palavern und meckern, setzt sich Spahn als Macher ins rechte Licht. Möglichweise werden in Zeiten des aufkommenden Rechtspopulismus gerade solche Politiker gebraucht.

Geschickt spielt Spahn zudem mit den Medien. Wie sonst niemand aus dem Kabinett beherrscht der Bundesgesundheitsminister die Schlagzeilen. Auch wenn er von der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer vor deutschen Soldaten zum 70. Jahrestag des Grundgesetzes ausgebootet wird, versteht er es, daraus einen politischen Vorteil zu ziehen. Ein kleines mediales Meisterstück gelang Spahn jetzt mit der Ankündigung härterer Strafen für Gewalt gegen Ärzte und Sanitäter. Damit kann man politisch nur punkten. Dass er dazu das Gesetz von SPD-Justizministerin Christine Lambrecht gekapert hat, stört Spahn nicht. Spahn rempelt sich in die Schlagzeilen, die SPD-Ministerin kennt man weiterhin nicht.

Spahn ist der Tausensassa des Kabinetts, er ist ehrgeizig und machtbewusst. Dass er ins Kanzleramt will, ist kein Geheimnis. Anders als der junge Gerhard Schröder muss er nicht einmal nach einem Kneipenabend am Zaun des Kanzleramts rütteln und „Ich will da rein“ rufen. Als gerade 39-jähriger Minister ist Spahn im Zentrum der Macht bereits angekommen. Die Chancen, dass er eines Tages auf dem Chefsessel Platz nehmen kann, steigen mit seiner Arbeit.