Portrait

Spahn: Ante Portas BMG

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Berlin -

Er ist jung, schwul, katholisch, mal liberal, mal konservativ – Jens Spahn (CDU) passt in kein politisches Schema. Der 37-jährige Münsterländer hat einen eigenen Kopf, denkt unabhängig und ist bisweilen unbequem. Mit Julia Klöckner und Annegret Kramp-Karrenbauer gehört Spahn auf jeden Fall zur Führungsreserve der CDU. Jetzt wird er wohl Bundesgesundheitsminister. Da kennt er sich aus.

Von 2009 bis 2015 war Spahn gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Vor vier Jahren handelte er mit SPD-Mann Karl Lauterbach detailreich den Koalitionsvertrag aus. Eigentlich wollte Spahn schon damals Bundesgesundheitsminister werden. Doch überraschenderweise schnappte ihm der damalige CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe den Kabinettsposten vor der Nase weg. Wie es jetzt aussieht, sitzt Spahn bald im Bundesgesundheitsministerium (BMG) an den Hebeln der Macht.

Für die Apotheker ist Spahn daher kein unbeschriebenes Blatt: Man kennt sich, man schätzt sich, aber richtig vertraut geworden ist man miteinander nicht. Auf zahllosen Podiumsdiskussion hat Spahn in der Vergangenheit den Apothekern jedenfalls nicht nach dem Mund geredet. Regelmäßig forderte Spahn von der ABDA mehr Initiative und Fantasie. Das mantrahafte Wiederholen von Honorarforderungen hat ihn genervt. So sorgte Spahn vor wenigen Jahren mit dafür, dass die von der ABDA bereits als sicher geglaubte regelmäßige Honorardynamisierung doch nicht kam.

Spannend wird demnächst daher zu beobachten sein, wie Spahn die Absichtserklärung zur Einführung eines Rx-Versandverbotes im Koalitionsvertrag als Gesundheitsminister umsetzen wird. Bekanntermaßen ist Spahn kein Fan des Rx-Versandverbots. Im Wahlkampf äußerte er sich auf die entsprechende Frage des AVWL nur vage: „Hier muss der Politik ein schwieriger Spagat gelingen: Einerseits gehört der Versandhandel zum Wettbewerb im Apothekenmarkt und ist für manche eine willkommene Alternative geworden. Andererseits brauchen wir auch ein verlässliches und stabiles Apothekennetz vor Ort, weil dies Sicherheit in der Versorgung garantiert. Zur Wahrheit gehört, dass sich Marktmodelle wandeln – Politik muss dafür sorgen, dass so etwas behutsam geschieht.“

Dampf machen dürfte Spahn hingegen beim Thema Digitalisierung, dem misst er große Bedeutung zu: Diese eröffne viele neue Möglichkeiten für eine bessere Versorgung und für Fortschritte in der medizinischen Forschung, hieß es im CDU-Programm. Mehr noch: 2016 veröffentlichte Spahn als Co-Autor ein kleines Buch mit dem Titel „App vom Arzt“ Darin machen sich die Verfasser für „bessere Gesundheit durch digitale Medizin“ stark.

Dazu gehört auch die Video-Sprechstunde. Das Fernbehandlungsverbot sei nicht „die klügste Entscheidung“ gewesen, sagte Spahn selbstkritisch: „Das würde ich heute nicht mehr so in den Koalitionsvertrag schreiben.“ In Deutschland werde vielmehr zu zaghaft über die Vorteile und Chancen von Digital Health diskutiert. Big Data verbessere die Versorgungsmöglichkeiten für die Patienten. „Es geht um Lebensrettung und Lebensqualität, die Versorgung wird sich fundamental verändern.“ Jetzt kann Spahn hier Gas geben – bei der Patientenakte und auch beim elektronischen Rezept.

Mit dem Datenschutz gingen viele Facebook-Nutzer schon heute lasch um, forderten aber Verbote bei der Nutzung von Gesundheitsdaten, so Spahn. Das Tabu kann er demnächst mithelfen aufzulockern. Spahn setzt dabei auf die junge Generation: „Ich habe mein Abitur 1999 noch ohne Google gemacht. Deshalb halten mich die heutigen Schüler schon für einen Opa.“ In Teilen der Bevölkerung gebe es noch „kein Gespür dafür, was sich in den nächsten zehn Jahren verändert“. Das will Spahn ändern.

Mit DocMorris-Vorstand Max Müller verbindet Spahn mehr als eine rein politische Freundschaft. Müller und Spahn kennen sich aus der Assistentenzeit Müllers in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Später arbeiteten beide zeitweise in der Lobbyagentur „Politas“ zusammen. Das sorgte für Schlagzeilen: Seine Abgeordnetentätigkeit und seine Arbeit als Gesundheitspolitiker in Verbindung mit seinen bezahlten Nebentätigkeiten für die Pharmaindustrie wurden in diesem Rahmen als „interessantes Geschäftsmodell“ bezeichnet, und es wurde ihm ein möglicher finanzieller Interessenkonflikt vorgeworfen. Wie auch immer: Der kurze Draht zwischen beiden ist nicht abgerissen.

So etwas ficht Spahn überdies nicht an: Kürzlich musste der CDU-Politiker und Noch-Staatssekretär im Bundesfinanzministerium (BMF) nach öffentlicher Kritik ankündigen, seinen Anteil am Softwareunternehmen Pareton (Taxbutler) wieder zu verkaufen: „Ich bin auf der Suche nach einem Käufer", sagte er der Süddeutschen Zeitung (SZ). Sobald dieser gefunden sei, werde er auch den staatlichen Zuschuss zurückzahlen, den er für das Investment bekommen habe.

Spahn eckt also an, er provoziert, dies aber meist kalkuliert. In den letzten Jahren hat er sich vor allem als konservativer CDU-Politiker und als Merkel-Kritiker einen Namen gemacht. Gegen den erklärten Willen von Angela Merkel führte er auf einem CDU-Parteitag ein Nein zum Doppelpass herbei. Er soll gemeinsam mit Christian Lindner (FDP) und Alexander Dobrindt (CSU) Pläne geschmiedet haben, wie das Ende der Kanzlerschaft von Merkel eingeleitet und die Union wieder konservativer gemacht werden kann.

Aber Spahn passt in kein politisches rechts-links Schema. Es geht ihm um das Profil der CDU, dass er nach zwölf Jahren Merkel-Kanzlerschaft für zu verwässert hält. Als bekennender Schwuler setzte er sich für die Homo-Ehe ein – ein liberales Thema. Er tummelte sich aber auch auf gesellschaftspolitischen Feldern, die mit den gefühlten Stimmungen im Land und dem erwünschten konservativen CDU-Kurs aber umso mehr zu tun haben.

So forderte das CDU-Präsidiumsmitglied zur Osterpause vor einem Jahr ein Islamgesetz etwa gegen „Import-Imame“, die von der Türkei geschickt würden und eine reaktionäre Ausprägung ihrer Religion in Deutschland verankern wollten. Statt nach den langen Tagen mit der SPD den von ihm mitverhandelten Koalitionsvertrag zu erklären und verteidigen, reiste er tags drauf zum Wiener Opernball und suchte die Nähe zu Österreichs jungkonservativem Kanzler Sebastian Kurz, der so etwas wie ein politisches Gegenbild zu Merkel ist und für einen harten Flüchtlingskurs steht.

Einigermaßen spektakuläre Einlassungen und Vorstöße mit Überraschungseffekt gehören zu Spahns Karriere seit Jahren dazu. Als 2008 die damalige große Koalition eine Rentenerhöhung beschlossen hatte, wertete der Jungpolitiker das „Wahlgeschenk an die Rentner“ und löste eine Empörungswelle aus. Ob er ein Verbot von Schönheitsoperationen bei Jugendlichen forderte oder die Trennung in gesetzliche und private Krankenversicherung als „nicht mehr zeitgemäß“ kritisierte - Aufmerksamkeit war ihm stets gewiss.

Wenige Tage vor Weihnachten heiratete er seinen Lebenspartner, den Journalisten Daniel Funke. „Falls mein Freund und ich mal Kinder adoptieren sollten, dann wäre mein Vater der glücklichste Opa der Welt“, sagte er in einem Interview. Unpassende Bemerkungen konterte er immer wieder lässig. Gleichzeitig bemängelte er auch, dass Schwulenhass von Flüchtlingen tabuisiert werde, angeblich aus einem krudem „Multi-Kulti-Wohlfühldasein“ heraus. Solche Sätze können noch nicht alle in der Union unterschreiben.

Verwurzelt ist Spahn im Münsterland, wo er Abitur machte, einem Kreisverband der Jungen Union vorsaß und zehn Jahre Mitglied in einem Stadtrat war. Jetzt dürfte der ehrgeizige Spahn seine politische Karriere wohl im BMG fortsetzen. Spahn wäre dann wohl eine der schillerndsten Figuren im neuen Kabinett.

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