Mittlerweile scheinen sich alle sicher zu sein, dass in dieser Legislaturperiode keine der von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) angekündigten großen gesundheitspolitischen Reformen mehr durchgesetzt wird. Verschiedene Politiker der Union haben die Zusammenarbeit klar und deutlich ausgeschlossen, darunter auch der gesundheitspolitische Sprecher der Union, Tino Sorge. Nach den Neuwahlen sieht er das Bundesgesundheitsministerium (BMG) klar in Unionshand und kündigt bereits Reformpläne an – und die Apotheken stehen weit oben auf seiner Agenda.
„Das Gesundheitsressort gehört wieder in die Hände der Union“, sagt Sorge. Wer aus den eigenen Reihen das Ministerium nach Lauterbach besetzen soll, dazu schweigt der Politiker aber noch: Zunächst müsse man die Neuwahlen abwarten. „Ich persönlich finde, das wäre eine spannende Aufgabe. Ich glaube, dass man in dem Bereich sehr viel besser machen könnte“, sagt Sorge.
Er will einen neuen Politikstil etablieren: Es brauche wieder mehr Vertrauen statt Misstrauen in der Gesundheitspolitik. „Die nächste Regierung muss mit der Apothekerschaft wieder besser ins Gespräch kommen“, so der Politiker. In den letzten drei Jahren sei der Austausch mit den Akteuren im Gesundheitswesen zu kurz gekommen, kritisiert er. „Ich treffe mich regelmäßig mit den Vertreterinnen und Vertretern der verschiedenen Interessengruppen – sowohl anlassbezogen als auch zum allgemeinen Austausch. Es gehört schließlich dazu, dass Politik und Verbände miteinander reden“, betont Sorge. Erst kürzlich traf er sich abermals mit Abda-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening, um sich auszutauschen und gemeinsam Lösungen für die Apotheken zu finden. „Hier stellt sich aktuell die Frage, wie man dem Apothekensterben gezielt entgegenwirken kann.“
„Die ganz klare Ansage ist: Apothekerinnen und Apotheker sind für die Versorgung extrem wichtig. Sie können viel mehr, als sie bisher dürfen. Vor allem geht es auch darum, dass die Politik die Apotheken nicht tot reguliert, sondern begleitet, damit sie ihren Job machen können.“ Der Gesundheitspolitiker hat bereits konkrete Pläne für eine umfassende Apothekenreform. Er verweist dabei auf den Antrag „Arzneimittelversorgung sicherstellen – Versorgungssicherheit gewährleisten“, den die Union vor einem Jahr eingereicht hat und der nach wie vor aktuell sei, da die jetzige Regierung keine der dort gemachten Vorschläge umgesetzt habe.
Die Union fordert in dem Antrag, dass die bestehenden Austauschregelungen flexibler gestaltet werden, ähnlich wie während der Pandemie, um Lieferengpässen besser begegnen zu können. Außerdem will sie eine angemessene Vergütung für das Management solcher Engpässe sowie eine sofortige Anhebung des Fixums. Zudem sollten die Regelung für Nullretaxationen weiter eingeschränkt werden. „Das ist das, was wir nach der nächsten Wahl schnell aufgreifen wollen als Union. Es ist mir auch persönlich wichtig, dass wir hier keine Zeit verlieren.“
Sorge erklärt, dass in erster Linie nach wie vor die betriebswirtschaftliche Basis der Apotheken gestärkt werden müsse. „Stichwort Anpassung und Dynamisierung – es ist ganz klar, dass hier etwas passieren muss.“ Auf eine genaue Zahl lässt er sich nicht festnageln, allerdings müsste es seiner Meinung nach in Richtung des von Verbänden geforderten Fixums von 12 Euro gehen. Diese Anpassung müsse schnell erfolgen. Eine mögliche Senkung des Kassenabschlags sei ebenfalls denkbar. Zudem sieht er die Notwendigkeit, das Skonto-Urteil so zu regeln, dass eine existenzsichernde Lösung für Apotheken und Großhandel gewährleistet ist.
Die von Lauterbach vorgeschlagene Apotheke light kommt für Sorge nicht in Frage. „Die Apotheke ohne Apotheker ist für uns keine Alternative, da gibt es auch keine Diskussion.“ Stattdessen möchte er die Kompetenzen der Apotheker stärken und sie als zentrale Akteure in der Versorgung in der Fläche einbinden, ohne sie durch übermäßige Regulierung zu behindern. Die Apothekerschaft genieße ein hohes Maß an Vertrauen in der Gesellschaft. „In der Versorgung in der Fläche müssen Apotheken weiter eingebunden werden. Sie könnten auch Steuerungsfunktionen übernehmen.“
Sorge will die Vernetzung mit Ärzten intensivieren und sieht darin eine Chance, dass Apotheker zusätzliche Leistungen wie Impfungen und Behandlungsmonitoring übernehmen – insbesondere in unterversorgten Regionen. „Auch Ärztinnen und Ärzte haben etwas davon, wenn nicht jeder Patient bei jeder Kleinigkeit in die Praxis geht, sondern in leichteren Fällen erst einmal in die Apotheke. Die Apotheker können mit ihrer Expertise gut beurteilen, ob sie unterstützen können oder ein Besuch beim Arzt nötig ist. Das Ziel muss eine wechselseitige Entlastung und Kooperation der Berufsgruppen sein, die unter dem Strich allen hilft.“ Eine Konkurrenz zwischen den Gesundheitsberufen solle jedoch vermieden werden; vielmehr gehe es darum, durch Kooperation die Praxen gezielt zu entlasten. „Da, wo es sinnvoll ist“, so Sorge. „In Apotheken könnte auch viel stärker als bisher Prävention betrieben werden.“
Sorge spricht sich für mehr Freiheiten und Flexibilität für Apotheken aus, insbesondere bei Austauschregelungen bei Lieferengpässen. Gleichzeitig müsse die Bürokratie abgebaut werden. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sollten so gestaltet sein, dass Nullretaxationen nur in extremen gravierenden Ausnahmefällen angewendet werden. „Das ganze Thema Nullretaxation muss abgeräumt werden“, findet Sorge. Eine generelle Verweigerung der Bezahlung sei schlichtweg untragbar. Darüber hinaus möchte Sorge verstärkt Weiterbildungsmöglichkeiten für Apothekenmitarbeiter schaffen, um deren Kompetenz weiter zu fördern.
Angesichts leerer Kassen und Beitragssätze auf Rekordniveau argumentierte der noch amtierende Gesundheitsminister regelmäßig, dass eine Honoraranpassung nicht möglich sei, da schlichtweg kein Geld zur Verfügung stünde. Eine Reform zur Stabilisierung der Beitragssätze und zur Entlastung der Kassen blieb Lauterbach in dieser Legislaturperiode schuldig. Woher also soll das Geld für die Apotheken dann in der nächsten kommen? Sorge betont, dass es seit Jahren einen Reformdruck bei der GKV-Finanzierung und der Pflege gibt. Die junge Generation dürfe nicht weiter belastet werden – schließlich seien die Sozialabgaben bereits über die 40-Prozent-Grenze hinaus angestiegen.
„Es gibt einen großen Reformbedarf im Gesundheitswesen, auch im Hinblick auf die Kranken- und Pflegekassen. Die nächste Regierung hat die Chance und die Aufgabe, das Gesundheitssystem für das Jahr 2030 und die Zeit danach fit zu machen“, sagt Sorge. „Es ist ein Irrglaube, zu denken, wir könnten in einer älter werdenden Gesellschaft mit steigendem Leistungsbedarf die Kosten immer weiter senken. Natürlich müssen in bestimmten Bereichen die Kosten optimiert und auch gesenkt werden, aber primäres Ziel ist die Daseinsvorsorge. Da muss klar sein, dass wir für eine gute Gesundheitsversorgung auch Geld in die Hand nehmen.“
Die Gelder im Gesundheitssystem müssten dabei besser verteilt werden. „Da werden viele Dinge finanziert, die in der Gesamtbetrachtung nicht sinnvoll sind. Es geht zum Beispiel um die Frage, wann Investitionen in Prävention sinnvoll sind, um spätere Krankheitsfälle zu verhindern und auch die Frage: ‚Was dürfen Apotheken‘. Wir müssen uns fragen, ob es nicht sinnvoller wäre, wenn Apotheken ihre Kompetenzen stärker einbringen dürfen, um Praxen- und Krankenhausbesuche zu vermeiden.“
„Versicherungsfremde Leistungen dürfen nicht aus Beitragsgeldern finanziert werden, sondern aus Steuergeldern“, erklärt Sorge. Gleichzeitig müsse die Eigenverantwortung der Bürger gefördert werden, insbesondere durch Anreize zur privaten, individuellen Vorsorge. „Ein reines umlagefinanziertes System wird zukünftig so nicht mehr funktionieren“, sagt Sorge. Steuerliche Vorteile könnten die Attraktivität privater Vorsorgemodelle erhöhen. Auch in die Prävention möchte Sorge verstärkt Eigenverantwortung fördern, indem Anreize für solche Maßnahmen geschaffen werden. Statt alles auf der beitragsfinanzierten Säule aufzubauen, plädiert er für eine Kombination aus beitrags- und steuerfinanzierten Elementen im Gesundheits- und Pflegebereich. Dabei soll auch die Betriebliche Pflegevorsorge eine Rolle.
Das letzte Gesetz aus Lauterbachs Feder, das noch in dieser Legislaturperiode in Kraft treten könnte, ist das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG). Nächste Woche Freitag muss es noch die letzte Hürde im Bundesrat nehmen. Sollte es dort in den Vermittlungsausschuss verwiesen werden, wäre das Vorhaben gescheitert. Zwar sieht Sorge auch den Reformbedarf im Krankenhaussektor, doch Lauterbachs Entwurf bewertet er kritisch. Eine strukturelle Reform sei zwar notwendig, doch es fehle eine klare Regelung zur Vorhaltefinanzierung. Eine versprochene Auswirkungsanalyse sei bislang nicht vorgelegt worden, und es fehlten Öffnungsklauseln, obwohl die Krankenhausplanung in die Zuständigkeit der Länder falle.
Zudem sei die Vorhaltefinanzierung in Lauterbachs Entwurf immer noch an die Anzahl der Fälle gebunden. „Das Hamsterrad dreht sich also weiter“, erklärt er. Auch den Transformationsfond sieht er kritisch. Damit steht er nicht allein, denn auch der Bundesrechnungshof hat Lauterbachs Finanzierungsstrategie bereits mehrfach gerügt. Sollte die Reform kommen, müsse die nächste Regierung dringend nachjustieren, sagt Sorge.
„Egal, wie man es wendet, es ist die Wahl zwischen Pest und Cholera: Entweder tritt eine Reform in Kraft, die so nicht zielführend ist, oder es tritt keine Reform in Kraft. Der Vermittlungsausschuss wäre eine letzte Chance zur Einigung auf eine Reform, die funktioniert – aber die hätte man schon viel früher haben können, wenn Minister Lauterbach kompromissbereiter gewesen wäre.“
Wie CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz ist auch Sorge davon überzeugt, dass es jetzt Neuwahlen braucht. Keinesfalls dürfe Bundeskanzler Olaf Scholz auf Zeit spielen. Sorge hofft auf ein starkes Ergebnis seiner Partei bei den Wahlen im Februar. „Der Idealfall wäre, dass die Union allein regieren könnte, um klare gesundheitspolitische Ziele umzusetzen“, sagt er. Ein starkes Ergebnis der CDU/CSU würde auch die Möglichkeit eröffnen, bei Koalitionsverhandlungen Druck auszuüben, weil sie sich dann den Koalitionspartner nahezu frei aussuchen zu könnten.
Zum Abschluss betont Sorge nochmals die Notwendigkeit, für die Apotheken schnell eine betriebswirtschaftliche Grundlage zu schaffen – ohne sich in endlose Diskussionen über Strukturreformen zu verlieren, die die drängenden Probleme auf die lange Bank schieben. „Es wird in Zukunft wichtig sein, zu sagen: Dort, wo akuter Handlungsbedarf besteht, werden die notwendigen Einzelregelungen schnell gesetzlich umgesetzt. Wir können und müssen nicht immer alles als großes Bündel verabschieden. Die betriebswirtschaftliche Basis der Apotheken muss schnell gestärkt werden – dann lasst uns zeitnah das Apotheken-Fixum erhöhen.“