Große Skandale im Gesundheitswesen konnten häufig aufgrund von Hinweisen von Insidern aufgedeckt werden, prominentestes Beispiel ist der Zyto-Skandal von Bottrop. Doch wie gut sind solche Whistleblower:innen eigentlich geschützt – und sollten sie für ihre Hinweise bezahlt werden? Die Krankenkassen tun sich schwer damit, sind aber gleichzeitig auf die Zuarbeit angewiesen, wie bei der Diskussionsrunde „Betrug, Korruption und Mängel in Medizin und Pflege: Sind Hinweisgeber:innen in Deutschland hinreichend geschützt?“ von Transparency International deutlich wurde.
Dominik Schirmer, bei der AOK Bayern Beauftragter zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen, weiß um die große Bedeutung von Whistleblower:innen. 35.000 Hinweise erreichen die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) von extern, das sind rund 80 Prozent aller Hinweise. Weitere 7000 Hinweise etwa zu Abrechnungsbetrug kommen aus internen Abteilungen.
Für Schirmers Arbeit sind „Externe“ also unabdingbar. Und der AOK-Korruptionsjäger bestätigt ein Klischee: „Ehepartner sind gute Hinweisgeber, wenn die Ehe in die Brüche gegangen ist.“ Gerade bei Unrechtsvereinbarungen zwischen zwei Beteiligten sei es ansonsten schwierig, da beide Seiten nach außen suggerierten, dass alles korrekt abgerechnet werde.
Das Problem: Die Whistleblower wollen häufig anonym bleiben, was aber zumindest bei den Kassen nicht geht: „Wir können unseren Hinweisgebern keine Vertraulichkeit zusichern.“ Denn bestätigt sich der Anfangsverdacht, muss die Kasse zwangsläufig die Staatsanwaltschaft einschalten und gegenüber den Ermittlern könne die AOK als Körperschaft des öffentlichen Rechts wiederum keine Informationen unterschlagen. Die Kassen fordern daher eine Art Zeugnisverweigerungsrecht für die Hinweisgeberstelle.
Martin Porwoll kennt dieses Problem: Er war die Schlüsselfigur, die den Bottroper Zyto-Skandal aufgedeckt hat und als Gast in der Transparency-Runde zugeschaltet. Für ihn ist der Wunsch nach Anonymität eher ein „Phasenmodell“. Zu Beginn sei dieses Bedürfnis auch bei ihm groß gewesen, denn als Angestellter des betrügerischen Apothekers habe er Repressalien, gar „Vergeltung“ gefürchtet. Doch diese Sorge habe an Bedeutung verloren und sich schließlich aufgelöst, nachdem der Fall einmal bekannt geworden war und die Ermittlungen begonnen hatten. Die Staatsanwaltschaft habe ihm Anonymität zugesichert – jedenfalls bis zu dem Punkt, an dem die Verteidigung der Gegenseite Akteneinsicht beantragen kann.
Das ist aus Sicht von Professor Dr. Ralf Kölbel, Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, auch unbedingt richtig so. Schließlich habe in einem rechtsstaatlichen Verfahren die Verteidigung ein legitimes Interesse, nicht im Dunkeln zu tappen. Der Experte für Whistleblowing und Delinquenz im Gesundheitssystem verweist auf die Ambivalenz des Themas: Neben den Positivbeispielen von Whistleblowing gebe es eben auch die AfD-Meldeplattformen, auf der parteikritische Lehrer:innen anonym gemeldet werden könnten.
Ein weiteres Problem mit anonymen Hinweisgeber sieht Jörg Schlecht, Abteilungsleiter Revision bei der Regionale Kliniken Holding (RKH): „Die Informanten wissen oft nicht, worauf es den Ermittlungsbehörden ankommt.“ Teilweise seien Ermittlungen nicht weitergegangen, weil die Kommunikation abgerissen sei.
Dorothea Röhl, ehemalige Staatsanwältin bei der Staatsanwaltschaft Lübeck, Abteilung Wirtschaftskriminalität, hatte ihren ersten Fall vor 16 Jahren, es ging um Apotheken. Seitdem hat sie sich als Dezernentin für Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen für Schleswig-Holstein in das Thema vertieft. „Ich habe dann erst festgestellt, wie unendlich groß dieser Bereich ist.“ In jedem Bereich des Gesundheitswesens gebe es schwarze Schafe. Die Schäden ließen sich kaum beziffern: „Selbst im Hellfeld der Ermittlungen ist das Dunkelfeld der Schadensberechnung gar nicht richtig absehbar.“ Die Ermittlungen müssten irgendwann abgeschlossen werden, um in angemessener Zeit noch zu einer Anklage zu kommen. „Die wirklichen Auswirkungen kann man immer nur schätzen.“
Schirmer von der AOK Bayern berief sich auf solche Schätzungen, wonach – basierend auf kriminologischen Erkenntnissen aus anderen Ländern – 6 Prozent Schäden durch Fehlverhalten entstehen könnten. Bezogen auf die Gesamtausgaben im GKV-System entspräche das Schäden von 16 Milliarden Euro. Die Krankenkassen hätten mit ihren Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten aber „nur“ 49 Millionen Euro zurückgeholt. „Das ist nicht nur beitragssatzrelevant, das hat eine enorme volkswirtschaftliche Bedeutung“, so Schirmer.
Umso mehr stellt sich die Frage, ob man nicht Hinweisgeber für ihre Informationen bezahlen sollte. Schirmer hat tatsächlich genau so einen Fall, in dem ein anonymer Whistleblower für Hinweise über einen mutmaßlichen Betrug im Krankenhaussektor eine Entschädigung von 10 Prozent der Summe verlangt, die die Krankenkasse durch die Aufdeckung des Skandals zurückholen könne. Das sei für eine Kasse sehr schwierig, so Schirmer, dennoch habe man den Kontakt nicht gleich abgebrochen. Der Hinweisgeber sollte – ähnlich wie bei den Steuer-CDs – zunächst einmal eine Datenprobe schicken. Doch darauf habe sich der Informant nicht eingelassen.
Im angelsächsischen Raum ist eine solche finanzielle Beteiligung der Hinweisgeber gang und gäbe. Transparency International fordert für solche Zahlungen einen Unterstützungsfonds für Hinweisgeber:innen. Und Whistleblower Porwoll erklärte, warum das durchaus seine Berechtigung hat: „Man ist als Hinweisgeber für den ersten Arbeitsmarkt vernichtet.“ Daher sei das Geld – zum Beispiel aus einem Fonds – als Entschädigung für entgangenes Arbeitsentgelt zu verstehen.
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