In Berlin treffen sich zur Stunde hunderte Ärztinnen und Ärzte, um gegen die Gesundheitspolitik zu protestieren. „So geht’s nicht weiter, Herr Lauterbach!“, sagte der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Andreas Gassen.
In Deutschland werde eine gute Versorgung „aktiv verhindert“, so Gassen. „Lauterbach kündigt bahnbrechende Reformen an und verspricht jedem alles.“ Am Ende komme nichts. Die Verlautbarungen Lauterbachs hätten mit der Realität nichts mehr zu tun. Die Stimmung schwanke zwischen Demotivation, Frustration, Wut und Resignation.
Während immer mehr Kolleginnen und Kollegen das Handtuch werfen, plane Lauterbach neue Versorgungsstrukturen mit Health Nurses und Kiosken. Die von Lauterbach kategorisch ausgeschlossenen Leistungskürzungen fänden doch längst statt – „jeden Tag, überall.“ Die ambulante Versorgung sei im Vergleich zu den Kliniken massiv unterfinanziert. Natürlich müssten die Kassen in die Pflicht genommen werden, aber das Problem liege viel tiefer: „Der Gesetzgeber muss die Grundlage für eine auskömmliche Vergütung schaffen.“ Es gehe auch nicht nur um unterversorgte Regionen.
Als Gassen die wichtigsten Forderungen verlas, gab es stehende Ovationen. Der Katalog wurde einstimmig angenommen und soll noch heute an Lauterbach geschickt werden – und er soll eine Frist gesetzt bekommen, bis zum 13. September dazu Stellung zu nehmen. Zwei Tage später werde man die Antworten auf der Vertreterversammlung bewerten. „Wir erwarten eine umgehende und ehrliche Bearbeitung unserer Anliegen, keine Ausflüchte mehr!“
Lauterbach habe im Bundestag versprochen, die Ärztinnen und Ärzte wo immer nötig zu unterstützen. „Herr Minister, ich fordere Sie auf, stehen Sie zu Ihrem Wort. Ist doch nicht so schwer.“ Eine erfolgreiche Gesundheitspolitik sei auch ein Garant für die Demokratie.
John Afful, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Hamburg, sagte, die Kassen und auch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) wüssten genau, dass die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte eben nicht zu den Spitzenverdienern gehörten. „Das ist einfach nur frech. Ich kann den Schwachsinn nicht mehr hören.“ Lauterbach sehe tatenlos zu, wie die Versorgung aussterbe. Wenn es so weitergehe, dann brauche er bald eine ganze andere Krankenhausreform, als er sie derzeit plane.
Andere Redner aus den KVen machten die Forderungen deutlich: Ende der Budgetierung für die Praxen und eine „nachhaltige Finanzierung“. Wenn die Politik der Meinung sei, die Krankenkassen könnten dies nicht leisten, dann müssten dafür Steuergelder in die Hand genommen werden. Gefordert wurde zudem eine Aus- und Weiterbildung, die den medizinischen Nachwuchs sichere. Mehrfach wurde über die Folgen für den nächsten Wahlkampf gewarnt, wenn nicht endlich gehandelt werde, statt „feuchten Träumen von neuen Versorgungsstrukturen“ auf den Leim zu gehen.
Laut der Vorsitzenden der Vertreterversammlung, Dr. Petra Reis-Berkowicz, war die Krisensitzung erst der Auftakt. Die Politik müsse sich warm anziehen. KBV-Vize Dr. Stephan Hofmeister schloss die Veranstaltung mit der Bemerkung, dass der Urvertrag gebrochen sei, nach dem die Politik den Rahmen schaffe und die Praxen die Behandlung sicherten. Bei den Kliniken laufe es besser, hier stünden Landräte „mit Fackeln und Mistgabeln da“ und retteten jedes noch so kleine Haus.
„Der heutige Tag kein singuläres Ereignis ist, sondern nur ein erster Schritt, eine erste Stufe“, so Hofmeister. Die KVen bereiteten weitere Maßnahmen vor. Denn: „Ganz, ganz viele Kolleginnen und Kollegen wollen nicht mehr.“ Die Frist gestehe man Lauterbach zu, aber eine Reaktion erwarte man bis dahin. Denn die Probleme seien nicht neu. „Wir das jetzt ernst genommen? Passiert etwas? Oder wird wieder nur geredet?“
„So lange die Bürgerinnen und Bürger nicht betroffen sind, kommt das bei der Politik nicht an“, so Hofmeister. Praxisschließungen am Freitagnachmittag seien zwar rührend, brächten aber nichts. Man könne nicht länger auf ein leises Praxissterben hinweisen, denn das sei bekannt. Wer zusehe, wie das Gesundheitswesen irreparabel zerstört werden, der sei entweder unwillig oder unfähig. „Wenn nichts passiert, dann muss das hörbar, spürbar und fühlbar werden!“ Man werde Strukturen erhalten, dass niemand unversorgt bleibe. „Aber es muss spürbar werden!“
Etwa 800 niedergelassene Ärzte und Psychotherapeuten waren nach Berlin gereist. Die Krisensitzung war lange geplant und perfekt vorbereitet worden. In zahlreichen Videos geben Ärztinnen und Ärzte, aber auch Verbraucherinnen und Verbraucher zu Protokoll, warum die Versorgung vor Ort wichtig ist und warum sie in Gefahr ist. Außerdem wurden umfasende Zahlen zu den Leistungen der Praxen präsentiert.
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