Am Mittwoch findet die Protestaktion „Der letzte Kittel“ von Freier Apothekerschaft (FA) und IG Med ihren Höhepunkt: In Berlin werden symbolisch weitere Protestkittel an das Bundesgesundheitsministerium (BMG) übergeben. Der Termin ist zu einer kleinen Kundgebung ausgewachsen. Wegen der großen Zahl an Anmeldungen hat die Polizei den Organisatoren schon einen neuen Veranstaltungsort zugewiesen.
Nachdem in drei Wellen zahlreiche Protestkittel an das BMG geschickt wurden, soll am Mittwoch um 14 Uhr die symbolische Übergabe ans BMG zum vorläufigen Höhepunkt der Aktion werden. Neben der offiziellen Delegation aus Ärzten, Zahnärzten, Apothekern und medizinischen Therapieberufen haben sich bereits zahlreiche Kolleginnen und Kollegen zum Termin angemeldet, und es werden täglich mehr.
Zunächst hatten die Initiatoren rund 35 Teilnehmerinnen und Teilnehmer angemeldet, doch mittlerweile wurde die Zahl auf 70 aufgestockt. In der Folge hat die Polizei den Heilberufler:innen jetzt einen neuen Standort zugewiesen: Statt wie ursprünglich geplant direkt gegenüber dem BMG-Hauptsitz in der Mauerstraße ist der Treffpunkt für die Protestkundgebung nun eine Straße weiter an der Kreuzung Glinkastraße/Behrenstraße, direkt an der Komischen Oper.
Im Vergleich zu anderen Protestkundgebungen und Demonstrationen ist die Zahl der angemeldeten Teilnehmer noch überschaubar. Bei der letzten Apothekenaktion „#retteDeineApotheke“ hatten vor vier Jahren rund 400 Menschen in Berlin für den Erhalt der Apotheke vor Ort demonstriert.
Doch die Aktion wächst mit jedem Tag ein kleines Stück weiter. Ein besonderes Highlight soll der Auftritt von Apothekerin Doreen Wegner sein, die mit ihren Protestsongs schon einige Bekanntheit im Berufsstand erreicht hat. Da es aufgrund der Sicherheitsbestimmungen nur eine Kundgebung und keinen Protestmarsch geben wird, soll Wegner ihre Songs vor der Komischen Oper präsentieren. Eine Musikanlage wird gerade noch organisiert.
Die vermutlich längste Anreise dürften Pinelopi Argiti und Ariel Wagner aus der See-Apotheke in Ludwigshafen am Bodensee haben. Wegen des drohenden Bahnstreiks sind sie 760 Kilometer mit dem Auto nach Berlin gekommen, eine Vertretung in der Apotheke ließ sich glücklicherweise kurzfristig organisieren.
Sie wollen die Freie Apothekerschaft und IG Med vor Ort so gut es geht unterstützen. So hat die Vorhut vom Bodensee Besenstiele mitgebracht, auf denen die Kittel vor dem BMG geschwenkt werden sollen. Auch jede Mange Pfeifen, Vuvuzelas, Banner, Flyer und Aufkleber wurden beschafft, um den Protest möglichst bunt und laut zu gestalten.
Der genaue Ablauf der Kundgebung soll morgen festgelegt werden. Da auch Prinz Charles am Mittag in Berlin eintreffen wird, könnte es kurzfristig zudem noch Vorgaben der Sicherheitskräfte geben. Apothekerinnen und Apotheker, die teilnehmen wollen, werden gebeten, sich über die Website anzumelden.
Am Vormittag gibt es eine Pressekonferenz, bei der die Initiatoren über die Aktion und die Missstände informieren. Für die Apothekerschaft spricht die FA-Vorsitzende Daniela Hänel, die ihre Apotheke in Zwickau dafür sogar für einen halben Tag geschlossen hat.
Seit Anfang März läuft die Protestaktion, in drei Wellen haben Arzt- und Zahnarztpraxen, Apotheken und medizinische Therapeuten beschriftete Protestkittel an das BMG geschickt. Mit viel Emotionalität und Kreativität wurden ihre Sorgen, Nöte und Kritik an der bestehenden Gesundheitspolitik zum Ausdruck gebracht.
„Das scheint aber den Gesundheitsminister und seine Behörden nicht sonderlich zu interessieren,“ stellt Dr. Ilka Enger, Vorsitzende der IG Med fest. „Wenn auf dem Maxibrief ein Absender ist, verweigert das Bundesgesundheitsministerium die Annahme. Dann heißt es Return to Sender.“
„Dass sich unser Gesundheitsminister der Diskussion mit uns nicht stellt, war zu erwarten, denn er ist leider kein Praktiker“, ergänzt Dr. Steffen Grüner, Hausarzt und 2. Vorsitzender der IG Med. „Anstatt einseitig auf teure und unnötige Digitalisierungsprojekte wie die elektronische Arbeitsunfähigkeit oder Arzt-Apps zu setzen, brauchen wir zurzeit eher ausreichend Antibiotika und Fiebersäfte. Die finanziellen Mittel sollten nicht in 90er-Jahre-Technik wie der Telematikinfrastruktur oder Krankenhausschließungen versenkt werden, sondern direkt den Praxen, Kliniken und Apotheken zugutekommen.“
Sehr viele derjenigen, die das ambulante Gesundheitswesen noch am Laufen halten, hätten nach 20 Jahren schlechter Gesundheitspolitik, Pandemie, Energiekrise und Inflation jetzt die Nase voll und sehen ihre Praxen und Apotheken vor dem Aus. Viele hätten bereits die innere Kündigung ausgesprochen und stehen kurz vor dem Rückzug aus der Medizin. Dafür seien die „letzten Kittel“ das Symbol.
„Man hat uns über Jahrzehnte kaputtgespart. Und immer noch meint der Gesundheitsminister, uns weiter mit seinen Kürzungen, Sanktionen und bürokratischen Zumutungen unter der Knute zu halten und uns immer schneller im Hamsterrad zu jagen“, sagt Hänel. Dass er jetzt die Kittel zurückschicken lasse, sei ein weiteres Zeichen für sein Desinteresse und seine Geringschätzung gegenüber der ambulanten medizinischen Versorgung, die immerhin 90 Prozent der medizinischen Fälle löse und damit eben auch zur Entlastung des schwächelnden stationären Sektors beitrage und die tragende Säule der Patientenversorgung sei.
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