Siemsen/Schmidt

Stimmungstest auf Unteraugenhöhe

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München -

Vorzeitig hat der Deutsche Apothekertag (DAT) in München sein Programm abgearbeitet – weil es mit nur 45 Anträgen deutlich weniger gab als in den Vorjahren. Aber auch, weil es wenig Diskussionsbedarf und keinen Streit gab. Vier Stunden früher als geplant schloss ABDA-Präsident Friedemann Schmidt die Hauptversammlung. Auch für die anstehende Präsidentenwahl brachte der DAT keine neuen Erkenntnisse. Es gab kein Kandidatenschaulaufen, aber einen Stimmungstest.

Oben auf dem Podium thront Schmidt eingerahmt von der Führungstroika der ABDA und blickt mit DAV-Chef Fritz Becker, BAK-Chef Dr. Andreas Kiefer und ABDA-Vize Mathias Arnold in den riesigen Sitzungssaal in der Münchener Messehalle Ost herunter. Hinten in der letzten Reihe sitzt Hamburgs Kammerpräsident Kai-Peter Siemsen. Der Herausforderer zur Wahl des neuen ABDA-Präsidenten sitzt 30 Meter vom Zentrum der Macht entfernt – eingeklemmt zwischen Hamburger und Bremer Delegierten und wartet auf seinen Aufschlag am letzten Tag des DAT. Es ist seine einzige Chance, sich den Anwesenden als Präsidenten-Alternative anzubieten.

Diese Ausgangslage ist alles andere als optimal. Das Zepter der Macht hält Amtsinhaber Schmidt in der Hand. Die Regie der Hauptversammlung hat dafür gesorgt, dass sein Partner im „Doppelpack“, Arnold, die Sitzungsleitung führt, als die Anträge der Hamburger Kammer aufgerufen werden. Siemsen und seine hanseatischen Kollegen schlagen unter anderem vor, die ABDA-Arzneimitteldatenbank in eine handliche App für Smartphones und Laptops zu pressen. Die Apotheker sollten die „digitale Entwicklung selbst in die Hand nehmen“, verpackt die Kammer Hamburg ihre Kritik am aus ihrer Sicht zu behäbigen Tempo der Modernisierung unter Friedemann Schmidt.

Der harmlose Antrag entwickelt sich prompt zum Stimmungstest: Schmidt verweist auf eine zehn Jahre alte, abschlägige Prüfung des gleichen Anliegens, nach dem Motto: Hatten wir schon alles. Sachsen-Anhalts Kammerpräsident Jens-Andreas Münch hält Siemens Vorschlag für „nicht zielführend“. Seine Argumente wirken sehr gut vorbereitet, wie bestellt. Dann wirft sich Kiefer gegen Siemsen in die Debatte: „Da gibt es schon sehr viel.“ DAV-Vize Rainer Bienfait reiht sich in die Ablehner-Riege nahtlos ein, verweist auf die Softwarehäuser und hält Siemsen Vorschlag für „keine Aufgabe der ABDATA“.

Siemsen erneut auf verlorenem Posten? Anders als in der Diskussion über den politischen Rechenschaftsbericht von Schmidt am Mittwoch steht Siemsen dieses Mal nicht allein. Niedersachsens Kammerpräsidentin Magdalene Linz springt ihm zur Seite. Aus der Kammer Westfalen-Lippe meldet sich Vize-Präsident René Graf zu Wort und wirbt für den Antrag der Kammer Hamburg. Die Berliner Apothekerin Dr. Kerstin Kemmritz und auch Nordrheins Kammerpräsident Lutz Engelen stärken Siemsen den Rücken. Das Gleichgewicht ist hergestellt.

Dass Siemsen am Ende mit einer Mehrheit für seinen Antrag als Sieger hervorgeht, wird er für sich als kleinen Erfolg werten – immerhin. Denn es sind keine leichten Tage für Siemsen, der unter Beobachtung steht beim DAT. Am Stand der ABDA in Halle B 4 hat sich der Herausforderer zum abendlichen Get Together daher gleich an zentraler Stelle aufgebaut. Der gut 1,90 Meter große Norddeutsche mit seiner kräftigen Statur ist nicht zu übersehen im Zentrum des ABDA-Standes und wirkt trotzdem allein.

Die Kurfürsten aus den Ländern, die Kammerpräsidenten und Verbandschefs, meiden den Kandidaten. Nur wenige schütteln Siemsen die Hand, begrüßen den Herausforderer auf offener Bühne. Niemand will sich mit herzlichen Gesten zum Gegenkandidaten offen bekennen – Spekulationen keine Nahrung bieten.

Auch Schmidt geht Siemsen so gut es geht aus dem Weg. Die beiden Kammerpräsidenten kennen, respektieren und schätzen sich – aber seit Ende September sind sie Konkurrenten um das höchste Amt im Apothekerland. Nur einmal, als sie keine Kamera auf sich gerichtet sehen, hocken sie sich zu einem kurzen Gespräch in der „Pharma World“ auf der Expopharm zusammen. Mehr geht bis zum 7. Dezember nicht im Licht der Öffentlichkeit.

Dafür werden sich die Kandidaten um das Präsidentenamt am 10. November auf großer Bühne treffen. Die Verbände Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland haben beide zu einem Kandidaten-Casting geladen. Siemsen wird bis zum Wahltermin noch weitere Stationen zurücklegen. Die Kammer Nordrhein hat ihn schon eingeladen. Schmidt war schon mehrfach Gast auf Mitgliederversammlungen am Niederrhein. Jetzt will Siemsen sich dort bekannt machen, für sich werben. Bis Anfang Dezember wird für den Hamburger Kammerpräsidenten die Zeit knapp.

Wie die Chancen auf den Präsidentenposten stehen, lässt sich am Verlauf des Deutschen Apothekertags nicht ablesen. Aber eines hat Siemsens Kandidatur schon bewirkt. Es wird anders und mehr getuschelt und spekuliert. Und es werden Geschichten erzählt, die ein Schlaglicht auf die ABDA-Welt des Friedemann Schmidt werfen sollen. Da gewinnt plötzlich das AMTS-Projekt Athina politische Bedeutung. Von den Kammern in Nordrhein, Niedersachsen, Baden-Württemberg und Hessen als Gegenmodell zu ARMIN initiiert, könnte hier eine Trennlinie zu Schmidt als Vater des ARMIN-Projekts verlaufen.

ARMIN-Konkurrenz ist in der ABDA-Zentrale unerwünscht. Mit Hilfe von Schmidt sollen Kammern an die Leine gelegt werden und sich verpflichten, künftig auf Alleingänge bei Verträgen und Vereinbarungen zum Thema Medikationsmanagement zu verzichten. Die Kammern Baden-Württemberg und Westfalen-Lippe haben dagegen Protest im Sommer angemeldet. Die ABDA wünscht, dass ihre Mitgliedsorganisationen nach außen „in Bezug auf die inhaltlichen Positionen mit einheitlicher Stimme spricht“. Da gibt es noch Verletzungen und offene Rechnungen. Aber kann man daher die Apothekerkammer Westfalen-Lippe zum Siemsen-Lager zählen?

Und da wäre noch eine Personalie im ABDA-Vorstand. Karin Graf ist als Vertreterin der angestellten Apotheker seit Jahren die „Außenministerin“ der ABDA auf internationalem Parkett und steht wieder zur Wahl. Jetzt will sich Schmidt persönlich um die Kontakte zum europäischen Apothekerverband PGEU kümmern und zu internationalen Terminen reisen. Das ist zwar das gute Recht jedes ABDA-Präsidenten, hinterlässt aber Fragen und sorgt für Irritationen.

Das alles ficht den ABDA-Präsidenten nicht an: Nach außen hin unbeeindruckt von alledem schließt Schmidt um 13.55 Uhr den DAT 2016: Vom diesem gehe ein Signal von „Harmonie und Gemeinsamkeit“ aus. „Das war mein Anliegen, das zu vermitteln“, erklärt Schmidt sein Ziel für erreicht. Das Vertrauen zwischen ABDA und der Politik sei in den letzten vier Jahren wieder gefestigt. „Das war eine der wichtigsten Aufgaben“, definiert der ABDA-Präsident seinen eigenen Erfolg. Die ABDA stehe wieder für Verlässlichkeit und klare Ziele: „Das hat es so lange nicht mehr gegeben. “

Der nächste DAT in Düsseldorf findet bereits Mitte September 2017 statt – vor der Bundestagswahl. Dann will er wieder dort oben stehen. Er scheint sich seiner Sache ziemlich sicher zu sein.

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