Lobbyisten verspeist er am liebsten zum Frühstück, sagt Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bei jeder Gelegenheit. Normalerweise kommt er ihnen zwar gar nicht so nahe, dass er wirklich Gelegenheit dazu hätte. Doch mit den Apothekerinnen und Apothekern hat er sich jetzt eine Berufsgruppe vorknöpft, gegen die er in den offenen Kampf zieht. Am 13. Oktober soll sich zeigen, ob noch etwas zu retten ist. Dann hat Abda-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening einen Termin in seinem Büro. Die Erwartungen sind riesig.
Wirklich alles hat Overwiening schon versucht, um mit Lauterbach ins Gespräch zu kommen. Sechsmal hat sie nach einem Termin gefragt, sechsmal war nichts zu machen. Dann hat sie eine Herzpostkarte geschickt, keine Antwort. Sechs Fragen mit der dringenden Bitte, sie bis zum Apothekertag zu beantworten. Wieder nichts. Nur auf die Mail mit dem Zoom-Link für die Videoschaltung beim DAT war eine automatische Empfangsbestätigung zurückgekommen. Immerhin mehr als nichts.
Und nun also doch noch ein Termin, nach einer denkwürdigen Apothekertagswoche, über die noch zu sprechen sein wird. Freitag der 13., ausgerechnet, aber man will ja nicht abergläubig sein.
Am Empfang bekommt Overwiening ihren Besucherausweis und eine Erklärung, wie sie zum Fahrstuhl findet. Oberstes Stockwerk, dann rechts, so die Anweisung. Die Abda-Präsidentin schreitet durch die leeren Korridore, niemand zu sehen, nichts zu hören. Ganz am Ende des Flurs soll es sein. „Besprechungsraum A-III“ steht am Türschild. Schade, sein Büro hätte sie gerne einmal gesehen.
Ihr Klopfen bleibt auch beim dritten Mal unbeantwortet, vorsichtig öffnet sie die Tür. Ein Konferenzraum, ein riesiger Tisch, ganz am anderen Ende sitzt Lauterbach schon. Verzieht keine Miene, oje, das kann ja was werden. Overwiening setzt sich, wartet, nichts passiert. Sie fragt sich, ob sie anfangen soll, spricht über Daseinsvorsorge, sozialen Frieden, mit jedem Satz wird das Sprechen leichter.
Um besser auf ihr eigentliches Thema überleiten zu können, nestelt sie die „Düsseldorfer Erklärung“ aus der Handtasche und beginnt sie vorzulesen. Aus dem Augenwinkel erhascht sie auf ihrem Handy die Nachricht, dass Lauterbach gerade live im Fernsehen ist. Verwirrt schaut sie nach oben, ans andere Ende des Tisches. In dem Moment fällt der Pappkamerad um.
Am Ende dieser Woche ist die Welt der Apothekerinnen und Apotheker eine andere als noch zu Beginn. In der FAZ ließ Lauterbach die Bombe platzen, dass er Apotheken ohne Rezeptur und Labor, ohne Notdienst und Approbierte, dafür Mehrbesitz und eine Honorarumverteilung will. Während sein Reformvorhaben in seinen Grundzügen schon im Koalitionsvertrag angedeutet ist, zeigt die Art, wie er damit um die Ecke kommt, dass es ihm nicht nur um die Zerlegung der Insitution Apotheke geht, sondern auch um die Filetierung der Apothekerschaft an sich. Keine Sondierung vorab, keine Kommission, keine Andeutung – die Abda steht düpiert da.
Dabei hatte man doch alles perfekt vorbereitet für den „Tag der Antworten“. Die provokanten Fragen, zu denen der Minister ein Bekenntnis ablegen sollte. Die Einschüchterungen, um unliebsame Querulanten in den eigenen Reihen kalt zu stellen. Die Warnwesten, die im Saal verteilt waren. Das Zeichen der Geschlosenheit und Stärke, das man für Freitag angekündigt hatte. Und überhaupt das geheime Eskalationskonzept, das noch immer Hoffnung machte. „Schenken Sie uns als Abda Ihr Vertrauen“, warb Overwiening noch vor der eigenen Gemeinde, als Lauterbach schon längst zugeschaltet war.
Und dann fegte der Minister eiskalt über den ganzen Masterplan hinweg – nicht nur durch das, was er sagte, sondern auch durch die Art, wie er es sagte:
Als Overwiening ihn ganz zum Schluss zu sich in die Apotheke einlud („Ich würde Ihnen alles zeigen“), ließ er sie vor versammelter Mannschaft abblitzen. „Schauen wir mal, aber wichtig ist, dass wir im Gespräch bleiben.“
Als Lauterbach ausgeschaltet hatte, musste sich die sichtlich aufgelöste Abda-Präsidentin kurz sammeln. Der DAT-Auftakt war völlig aus dem Ruder gelaufen, Lauterbach hatte die Bühne bekommen und sie genutzt. Keine Frage war beantwortet worden, die Apothekerschaft hatte ihn nicht, wie angekündigt, zur Rede gestellt. Es hatte auch keine Choreografie gegeben, von ein paar Buhrufen, Pfiffen und einigen wenigen Delegierten, die den Saal verließen, abgesehen.
Die Bilanz: ein Treffen mit Lauterbach im Oktober, vier Protesttage im November, zwei Resolutionen. Zu mehr war der Apothekertag erst einmal nicht fähig. Nur Sachsen hat sich kurzerhand entschlossen, am kommenden Montag ebenfalls zu streiken – hier legt die Kammer dem Protest hier keine Steine in den Weg. In Hessen will sich der Verband jedenfalls schützend vor die Kolleginnen und Kollegen stellen. Die Unterstützung von Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) hat man sich ebenfalls eingeholt.
Der Streik ist übrigens nicht nur bitter nötig wegen Lauterbachs Reformplänen. 600 Apotheken werden in diesen Jahr schließen, hat die Abda ausgerechnet – so viele wie nie seit Beginn der Aufzeichnungen in den 1950er-Jahren. Bei einem ohnehin „spärlichen“ Rohertrag sei der Vorsteuergewinn aktuell um 4,9 Prozent gesunken. „Das geht nicht mehr gut. Der Kipppunkt ist erreicht – und zwar in der gesamten Gruppe“, so Geschäftsführerin Claudia Korf.
Jede zehnte Apotheke arbeite ohne Gewinn oder sogar mit Verlust. Schon 2022 sei die Situation angespannt gewesen, allerdings vor allem in Filialen. „Jetzt schwappt das rüber in die Hauptapotheken.“ Legt man den Dynamisierungsfaktor zu Grunde, mit dem das Apothekenhonorar nach dem Willen der Abda automatisch angepasst werden soll, wäre man bald beim geforderten Fixum von 12 Euro.
Zusätzlichen Druck brachte die Ankündigung der Adexa, den Tarifvertrag zu kündigen und mit einer Forderung nach rund 11 Prozent mehr Gehalt in die Verhandlungen zu gehen. Die Arbeitgeber haben Verständnis, aber kein Geld. Lässt die Politik die Apotheken sitzen, droht auch noch ein offener Tarifkonflikt.
Und in diese Gemengelage kam auch noch die Nachricht, dass Noventi bilanziell überschuldet ist. Das vergangene Jahr wurde mit einem unvorstellbar hohen Verlust von 133 Millionen Euro abgeschlossen – jetzt fehlen 27 Millionen Euro an Eigenkapital. Vor der Insolvenz rettet das Unternehmen alleine eine von den Banken anerkannte positive Fortführungsprognose. Vorstand Frank Steimel versichert, dass er alle Altlasten in den Jahresabschluss gepackt hat und einen Schlussstrich ziehen kann.
So, das waren die Hiobsbotschaften der Woche. Jetzt erst einmal durchatmen und schönes Wochenende.
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