PTA-Apotheken und Ketten: Jetzt noch nicht

Seyfarths ominöse Übergabe: Das steht im Papier

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Berlin -

Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) ist offen für Vorschläge aus der Apothekerschaft, wenn es um den Referentenentwurf für ein Apothekenreformgesetz (ApoRG) geht. Doch diese sind in der Stellungnahme der Abda nicht zu finden: Die Standesvertretung lehnt den Entwurf in Gänze ab, ohne Alternativen zu nennen. Eine Gruppe um Hessens Verbandschef Holger Seyfarth hat daher eine eigene Kommentierung abgegeben, die teils Zustimmung, teils weit reichende Alternativen für die geplanten Maßnahmen enthält. Unklar ist, welche Interessen mit dem Papier wirklich vertreten werden.

Nicht nur wegen des neuerlichen zweitägigen Streiks werden Seyfarths Alleingänge bei anderen Kammern und Verbände kritisch gesehen. Auch seine Positionen zur Zukunft des Apothekenmarktes stoßen auf Ablehnung: Weniger, dafür größere und leistungsfähigere Apotheken, so seine Haltung. Er selbst führt vier umsatzstarke Standorte in Frankfurt.

Weil es in den Gremien offenbar noch nicht einmal zu einem Diskurs darüber kommt, hat er jetzt gemeinsam mit einer Handvoll Mitstreiter eine eigene Stellungnahme verfasst und an BMG-Abteilungsleiter Thomas Müller übergeben. Ob er damit eine Position des Hessischen Apothekerverbands (HAV) vertritt oder eine reine Privatmeinung, bleibt im Dokument unklar.

Schon im Februar hatte der selbsternannte Expertenkreis ein Positionspapier vorgelegt, damals war Seyfarth aber nur als Unterstützer genannt worden, genauso wie die beiden Hochschulvertreter Professor Dr. Reinhard Herzog (Apotheker) und Professor Dr. David Matusiewicz (Ökonom) sowie Ulrich Ströh, pensionierter Pharmazeut und Pharmazierat aus Kiel und ehemaliger MVDA-Vize.

Als eigentliche Initiatoren genannt wurden damals Dominik Klahn, der lange für den MVDA und Avie gearbeitet und vor fünf Jahren dem Apothekenmarkt eigentlich den Rücken gekehrt hatte, und seine Frau Daniela Klahn. Die Juristin hatte in den 2000er-Jahren als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Team von DocMorris-Anwalt Professor Dr. Christian König gearbeitet und sich wiederholt für eine Liberalisierung des Apothekenmarktes ausgesprochen. Drittes Gründungsmitglied ist Apotheker Björn Kersting, der seine eigene Apotheke in Leipzig 2014 aufgegeben hatte und einen Neuanfang als Angestellter in der Schweiz versucht hatte.

Ideen für Zukunft der Apotheke

Was die bunte Truppe eint, ist ein hohes Maß an Sendungsbewusstsein. „Unbelastet von standespolitischen Verengungen des Diskursraums“ wolle man eine Skizze für die Rolle der Apotheken der Zukunft entwerfen, heißt es. Die tatsächliche Zielrichtung bleibt im Ungefähren, denn im Grunde wird in der Stellungnahme alles auf den Tisch geworfen, worüber mit Blick auf die Zukunft der Apotheken gesprochen werden sollte.

„Fatalerweise mangelt es den Standesorganisationen an eigenen, mutigen und problemlösungsorientierten Vorschlägen“, heißt es in der Stellungnahme, nachdem schon im Positionspapier dieselbe Abda-kritische Haltung und damit eigene Rechtfertigung angeschlagen wurde. „Die – von anderen Berufsgruppen mittlerweile überwundene – Wagenburgmentalität wird weiter zelebriert. Für die Pharmazeut:innen vor Ort ein brandgefährliches Trägheitsmoment, welches wir hiermit überwinden möchten. Denn fraglos besteht die Gefahr, dass die Vor-Ort-Apotheken eines Tages als Automatisierungs- und Rationalisierungsopfer enden.“

Aus Sicht der Gruppe greift das BMG sowohl im Referentenentwurf zum ApoRG „einige für die zukünftige Positionierung der Vor-Ort-Apotheken im deutschen Gesundheitswesen durchaus sinnvolle Ansätze auf“ – auch wenn diese im Detail noch Abstimmung erforderten. „Einige Punkte lehnen indes auch wir (vorerst) ab.“

Milliarde als Sofortprogramm

Am meisten Zustimmung dürfte in der Apothekerschaft die Forderung nach einem finanziellen Sofortprogramm bekommen: 85.000 Euro mehr an Rohertrag müsse jede Apothbeke bekommen, wobei knapp zwei Drittel aus dem Rx-Bereich kommen müssten. Je Packung müsste das Fixum um 1,20 Euro angehoben werden, sodass in Summe bis zu 1,1 Milliarde Euro an die Apotheken fließen müssten.

Weitere Forderungen sind die Wiederzulassung von Rx-Skonti, der Verzicht auf die Absenkung des prozentualen Zuschlags von 3 auf 2 Prozent, die Senkung des Kassenabschlags zurück auf 1,77 Euro ab Januar 2025 sowie die Einrichtung eines Sicherstellungsfonds für unterversorgte Regionen („Gemeindeapotheken“) mit einem Startvolumen von 100 Millionen Euro.

Gefordert wird außerdem ein „Entbürokratisierungs-Programm“, das von Austauschmöglichkeiten über eine Retaxsperre und Direktabrechnung beim E-Rezept bis hin zur „kritischen Durchforstung der Apothekenbetriebsordnung“ und der Abkehr von formalen Qualifizierungssystemen reicht.

Zwei Honoraransätze

Anstelle der Verhandlungslösung, die ohne dezidierten Ordnungsrahmen an der Übermacht der Kassen scheitern werde, werfen Seyfarth & Co. zwei diametral entgegengesetzte Szenarien in den Raum:

Mehr Regulierung

Die packungsbezogene Honorierung soll weiterentwickelt werden: Mit einer „kaufmännischen Komponente“ sollen die tatsächlichen Aufwände auf Warenebene abgegolten werden: „Die Minimierung von Retaxrisiken, Sofort-Direktabrechnung, Online-Erstattungsprüfung und ein Rx-Warenlager auf Kommissionsbasis könnten dafür sorgen, Minimalaufschläge im Bereich von nur wenigen Prozent weiterhin vertretbar sind.“

Die überwiegende Vergütung soll durch pharmazeutische Honorare erfolgen:

  • Ist die Versorgung kritisch – beispielsweise auf dem Land – sollen Grund- und Vorhaltepauschalen oder betriebsindividuelle Zuschüsse durch ansonsten unterversorgte Gemeinden gewährt werden, bis hin zur bereits erwähnten Förderung von Gemeindeapotheken aus dem Sicherstellungsfonds.
  • Je Packung soll es eine pharmazeutische Grundberatungspauschale geben, dazu kommt eine fortlaufende Patientenbetreuungspauschale nach Einschreibung auf Monats- oder Quartalsbasis. „Insoweit würde die heutigen pharmazeutischen Dienstleistungen mehrheitlich in diesen Einschreibemodellen und ihrer Honorierung aufgehen.“
  • Hochspezielle Dienstleistungen etwa für onkologische Patienten oder Hochpreispatienten mit seltenen Erkrankungen werden als separate Honorarpositionen geführt.
  • Rezepturen werden ihrem Aufwand plus kalkulatorischer Gewinnkomponente entsprechend vergütet.
  • Außerdem sollen „faire, dem Nutzen angemessene Erfolgsbestandteile“ bei Erreichen bestimmter pharmazeutisch-therapeutischer, ökonomischer oder logistischer Zielgrößen etabliert werden.
  • Deutlich risikobehaftete OTC-Arzneiwirkstoffe sollen in das System der Rx-Festpreise mit einer vertieften Beratungserfordernis aufgenommen werden. „Obgleich damit die Packungspreise (Kunden-Endpreise) im OTC-Segment bei etwa 10 Euro bis 12 Euro beginnen dürften, erscheint dies angesichts der Bedeutung und Wertigkeit (mitsamt Gefahrenpotenzial) dieser Wirkstoffe angemessen, und überfordert die große Mehrzahl der Kunden nicht.“

Auch eine Dynamisierung ist vorgesehen – und zwar sollen die Honorare „entsprechend der Einnahmeentwicklung der Krankenkassen sowie an veränderte Bedarfsprofile jährlich angepasst werden“. Kassenrabatte sollen nicht mehr gewährt und eine Absenkung der Mehrwertsteuer für Arzneimittel erwogen werden.

Außerdem sollen die Honorare betriebstragend einschließlich eines angemessenen Unternehmerlohns für die „kassenapothekerliche Versorgung“ und einer anteiligen Verzinsung auf das eingesetzte unternehmerische Kapital ausgestaltet werden.

Um das Ganze zu finanzieren, soll auch die Großhandelsvergütung gekürzt werden, beispielsweise auf 2 Prozent prozentual plus 0,50 Euro fest, maximal 24,50 Euro. Die freiwerdenden Mittel sollen in die Apothekenhonorare umverteilt werden.

Preisfreigabe

Als alternatives Szenario wird die vollständige Freigabe der Preisbildung genannt – allerdings nur als theoretische Option, die im Grunde – noch – abgelehnt wird. GKV und PKV gewähren nur noch einen Erstattungsbetrag je Arzneimittel; die Erstattungslisten werden periodisch neu verhandelt. Lokale Besonderheiten, Morbidität und Demografie können berücksichtigt werden – im Grunde wäre die Apotheke in der Gestaltung des Abgabepreises aber frei. Institutionalisierte Zuzahlungen entfallen.

„Dies führt zu mehr unternehmerischer Freiheit und Wettbewerb unter den Apotheken, und der Versandhandel bietet insoweit ebenfalls ein weiteres Wettbewerbselement.“ Die Festschreibung der Großhandelsmargen entfällt dann ebenfalls, die Apotheken seien also bei der Erzielung ihrer Einkaufsrabatte frei. Fixpunkt aller Betrachtungen sei der jeweilige Listenherstellerpreis.

Vorstufe zur Liberalisierung

„Diese Variante dürfte die Vorstufe zu einem grundlegenden Systemwandel hin zu einem (auch) durch Kapitalgesellschaften und Fremdbesitz bestimmten Apothekenwesen darstellen“, räumen die Autoren ein. Aus ihrer Sicht bietet dieser Liberalisierungsansatz „zum Teil überraschende Chancen und auch beachtliche Risiken“, doch der Zeitpunkt sei „(noch) nicht gekommen“. Hier bedürfe es einer vertieften Analyse, die „derzeit nicht als mehrheitsfähig erscheint“. „Der Berufsstand tut jedoch gut daran, auch für dieses Szenario einen durchdachten Plan B in der Schublade zu haben.“

Automaten und Apothekenbusse

Doch auch in ihren Vorschlägen zur Sicherung der Versorgung geht die Stellungnahme teilweise über die Ideen aus dem Referentenentwurf hinaus. So könnte die flächendeckende Grundversorgung mit Arzneimitteln unter Nutzung (erweiterter) logistischer Konzepte erfolgen. Als Beispiel genannt werden „Abgabeautomaten in abgelegenen Regionen unter der kompetenten Regie lokaler Apotheken mit strengen Abstandsregeln zum Schutz vor Marktverzerrungen“. Heißt: „Nur streng in der Hand der niedergelassenen Apotheken bei Unterversorgung und mangelnder wirtschaftlicher Tragfähigkeit einer stationären Apotheke unter definierten Bedarfsrichtlinien.“

Wenn nötig, müsse auch eine Ausweitung der Zweigapotheken sowie erweitere Boten- und Versanddiensten – über das individuelle Angebot von Einzelapotheken hinaus – oder möglicherweise mobile Apothekenbusse diskutiert werden.

Aber auch individualisierte Abgaben – Blistern, 3D-Druck – und die Beratung via Telepharmazie können künftig eine größere Rolle spielen.

Vorschläge als Verhandlungsmasse

„Unterversorgung kann dabei ein aus der Not geborener Nährboden für innovative Zusammenarbeitsmodelle unter Leistungserbringern sein. Für diese sollten sich Apotheken bei Bedarf vor Ort konsequent öffnen.“

„Die Vorschläge des BMG zur Sicherstellung sollen konstruktiv aufgegriffen werden. Im Gegenzug können Forderungen für den Ausbau bestehender Strukturen gestellt werden.“ Gemeint sind geplante Lockerungen, die der Apotheke „helfen sollen“. „Diese Vorschläge sind ein Versuch des BMG, bestimmte Herausforderungen zu lösen, denen sich die Apotheken im Alltag stellen müssen.“ Aus Sicht der Autoren handelt es sich um „sinnvolle Diskussionsgrundlagen“, die einen Feinschliff benötigen.

Aber auch eine Neuorganisation des Notdienstes sei sinnvoll. Das Konzept der „Volldienste“ die gesamte Nacht hindurch sei diskussionswürdig.

PTA-Apotheken – noch nicht

Kritisch gesehen wird die Idee, dass erfahrene PTA die Apotheke öffnen und betreiben dürfen, sofern Approbierte per Telepharmazie zur Seite stehen und die Apothekenleitung mindestens acht Stunden pro Woche persönlich anwesend ist.

„Wirtschaftliche Chancen und die Absturzgefahr eines ganzen Berufsverständnisses liegen hier so nah beieinander wie bei keiner anderen Apothekenreform zuvor. Wir halten einen solchen tiefgreifenden Einschnitt, der zu Ende gedacht die gesamte eigenverantwortliche Freiberuflichkeit der niedergelassenen Kolleg:innen infrage stellen kann, in der Eile der Zeit für nicht geboten.“

Denn: „Solche potenziell systemverändernden Reformen brauchen einen viel längeren Vorlauf, ausführliche Diskussionen über einen grundlegenden (überhaupt mehrheitlich gewollten?) Systemwechsel und insoweit einen ganz anderen, systematischen und strategischen Reifegrad. Wir lehnen diesen Vorstoß deshalb zu diesem Zeitpunkt klar ab.“

Neue Aufgaben, neue Märkte

Aus Sicht der Autoren sollen Apotheken künftig mehr Aufgaben übernehmen. Dazu gehören die Ausweitung des Impfangebots, der Testungen, der pharmazeutischen Dienstleistungen und Präventionskonzepte. Allerdings müsse zuvor der Fachkräftemangel behoben werden. Und auch die Vergütung müsse angemessen unter evidenzbasierten Kosten-Nutzen-Aspekten bei klarer Grenzziehung zwischen Erstattungs- und Selbstzahlermarkt sein.

Generell benötige es einen Rahmen für ein erweitertes Aufgabenspektrum der Apotheken aufgeteilt in Grundversorgung, Prävention und zusätzliche Märkte – hier werden beispielsweise Cannabis zu Genusszwecken, aber auch „Electronic Devices“ und „Wearables“ sowie neuartige Lebensmittel genannt.

Apothekensterben geht weiter

„Die Vor-Ort-Apotheken stehen wahrscheinlich vor ihrer bis dato tiefgreifensten und richtungsweisendsten Reform. Das Spektrum der potenziellen Änderungen reicht von den mit der Sicherstellung verbundenen Themen bis hin zur (Wieder-)Herstellung einer angemessenen und planbaren Vergütungssituation. Dabei ist es unwahrscheinlich, dass eine weitere Reduktion der Apothekenanzahl verhindert werden kann.“

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