Der Apotheker als Alleinverantwortlicher in seiner Apotheke. Dieses Bild wird durch Gerichtsurteile seit einigen Jahren immer wieder in Frage gestellt. Zur Rose darf so ziemlich alle Dienstleistungen für die gleichnamige Apotheke erbringen, auch Hersteller dürfen Apotheken als Auftragslogistiker nutzen. Apotheken können sogar reine Beratungsdienstleister sein, die zwar die Abgabe verantworten, aber nicht das Arzneimittel verkaufen. Jetzt streift ein weiteres Urteil das Fremdbesitzverbot: Laut Sozialgericht Duisburg* können Approbierte unter bestimmten Umständen auch in einer fremden Apotheke selbstständig tätig sein.
Im konkreten Fall hatte eine Pharmazeutin jahrelang in der Apotheke ihres Bruders gearbeitet. In der Buchhaltung wurde sie als Angestellte geführt; außerdem wurden Lohnsteuer, Beiträge zum Versorgungswerk und Pflichtbeiträge zur Arbeitslosenversicherung abgeführt. Der Verdienst von monatlich zwischen 1000 und 2000 Euro brutto wurde als Betriebsausgabe verbucht. Einen schriftlichen Arbeitsvertrag gab es nicht.
Als nach zwei Betriebsprüfungen Sozialversicherungsbeiträge von mehr als 13.000 Euro nachgefordert wurden, stellte sich der Inhaber auf den Standpunkt, dass seine Schwester nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses für ihn tätig gewesen sei. Vielmehr sei sie gleichberechtigt zu ihm und nicht weisungsgebunden gewesen. Dass sie in den Betriebsunterlagen als Angestellte geführt worden sei, sei ein Fehler des damaligen Steuerberaters gewesen.
Tatsächlich war die Apothekerin nicht nur im Handverkauf tätig, sondern auch für Personalangelegenheiten und die Abrechnung zuständig. Sie verhandelte mit Banken und Dienstleistern und führte Besprechungen mit Ärzten durch. Ihre Arbeitszeit konnte sie frei einteilen, sie verfügte über einen Generalschlüssel für die Apotheke. Für die Modernisierung stellte sie außerdem insgesamt mehr als 300.000 Euro als Darlehen zur Verfügung.
Die Deutsche Rentenversicherung ließ sich davon nicht überzeugen: Das Arbeitsverhältnis möge im Innenbereich durch familienhafte Rücksichtnahme gekennzeichnet gewesen sein. Ausgeschlossen sei das Weisungsrecht damit aber nicht, allenfalls „verfeinert“. Das Darlehen sei zwar ein finanzielles, aber eben kein unternehmerisches Risiko.
Dem folgten die Richter nicht: Zwar sprächen verschiedene Indizien für ein Angestelltenverhältnis, etwa die Zahlung eines feststehenden Grundgehalts, das aufgrund seiner Höhe mehr als eine bloße Anerkennung für Gefälligkeiten sei. Doch schon die Freiheiten hinsichtlich der Arbeitszeit gingen über verwandtschaftsbedingte Rücksichtnahme deutlich hinaus und deuteten mangels „Eingliederung in die betrieblichen Abläufe“ auf eine selbstständiger Tätigkeit hin.
Auch mit Blick auf Tätigkeiten der Schwester sei kein Weisungsrecht erkennbar: Beide hätten die „Ordnung des Apothekenbetriebes“ gemeinsam vorgegeben, so dass es „kein Über- und Unterordnungsverhältnis“ gegeben habe. Vielmehr hätten die Geschwister sich die Leitung der Apotheke je nach den persönlichen Stärken aufgeteilt. „Dies spricht für ein gleichrangiges und gleichberechtigtes Zusammenarbeiten in der Führung des Apothekenbetriebes“, so die Richter. Die Apothekerin habe Verantwortung für Aufgabenbereiche übernommen, die typischerweise dem Inhaber eines Apothekenbetriebes zukommen und einer selbständigen Tätigkeit entsprechen.
Auch das Darlehen spreche angesichts des Umfangs für ein erheblich gesteigertes Interesse der Apothekerin am Fortbestand und wirtschaftlichen Erfolg des Apothekenbetriebes, das über das Interesse eines Arbeitnehmers am Fortbestand seines Arbeitsplatzes hinausgehe. Der Kredit habe ihr zwar in rechtlicher Hinsicht keine unternehmerische Position eingeräumt, ihr aber faktisch eine „erhebliche Einflussnahme“ ermöglicht. Die Gründung einer gemeinsamen Personengesellschaft sei zwar möglich, aber nicht Voraussetzung für eine selbständige Tätigkeit in einem Apothekenbetrieb, so die Richter.
Seit Jahren wird darüber gestritten, unter welchen Umständen Familienangehörige von der Sozialversicherungspflicht befreit sind. Vor zwei Jahren hatte das Bundessozialgericht (BSG) die Freiräume erheblich eingeschränkt: Familienmitglieder seien nämlich nur solange nicht weisungsgebunden, solange das Einvernehmen gewahrt bleibe. „Im Falle eines familiären Zerwürfnisses zwischen den Beteiligten käme jedoch allein die den einzelnen Familienmitgliedern zustehende Rechtsmacht zum Tragen, sodass auch nach den gelebten tatsächlichen Verhältnissen eine Weisungsunterworfenheit bestünde“, so die Richter damals. Eine solche „Schönwetter-Selbstständigkeit“ sei mit Blick auf das Erfordernis der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände schwerlich hinnehmbar.
Grundsätzlich setzt eine abhängige Beschäftigung eine Eingliederung in den Betrieb und ein umfassendes Weisungsrecht des Arbeitgebers voraus, das unter anderem Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsausführung erfasst. Demgegenüber ist die selbständige Tätigkeit durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Maßgeblich ist die zwischen den Beteiligten praktizierte Rechtsbeziehung und die praktizierte Beziehung so, wie sie rechtlich zulässig ist.
* Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version war das Urteil dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen zugeschrieben worden. Dort ist das Verfahren aber noch anhängig. Das Urteil kommt vom Sozialgericht Duisburg. Wir bitten, diesen Fehler zu entschuldigen.
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