EU-Verordnung

„Securpharm light“: Engpässe bei Medizinprodukten befürchtet

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Berlin -

Ab nächstem Jahr wird auf Grundlage einer EU-Verordnung schrittweise ein neues Kennzeichnungssystem für Medizinprodukte wie Nasensprays, Augentropfen und Lutschtabletten eingeführt. Die EU will mit der Verordnung aber auch den Herstellern von Herzschrittmachern, Skalpellen oder künstlichen Hüftgelenken genauer auf die Finger schauen. Doch jetzt ist Sand im Getriebe. Hersteller, Prüfer und Krankenhäuser schlagen Alarm.

Schlechte Nachricht für Patienten: In deutschen Krankenhäusern droht demnächst ein Engpass bei chirurgischen Instrumenten, Implantaten und anderen Medizinprodukten. Grund ist eine EU-Verordnung, die die Kontrollen massiv verschärft – gedacht zum besseren Schutz der Patienten. Doch jetzt nehmen Hersteller auch bewährte Produkte vom Markt, die Prüfer vom TÜV Süd sprechen von einem „Schlamassel“, und die Deutsche Krankenhausgesellschaft warnt: „Wir laufen Gefahr, dass in Krankenhäusern bestimmte Medizinprodukte ab Mai fehlen werden.“

Der Brustimplantate-Skandal 2010 hatte den Anstoß gegeben für die Reform. Eine französische Firma hatte Hunderttausenden Frauen minderwertiges Silikon eingesetzt. „Das hat Schwächen im System offengelegt“, sagt Meinrad Kempf vom Branchenverband Medical Mountains im württembergischen Tuttlingen. Aber jetzt sei die EU übers Ziel hinausgeschossen. Zum Beispiel bei der chirurgischen Schere. Für sie muss jeder Hersteller ab kommendem Mai erstmals eine klinische Bewertung vorlegen. Sonst darf er keine mehr liefern. „Ein Chirurg wird sagen: Sie schneidet.“ Aber reicht das? Und wie ist die Frage zu den Nebenwirkungen zu beantworten? „Oft ist nicht klar, was von den Firmen eigentlich verlangt wird“, sagt Kempf. Die EU wolle viel mehr Nachweise, mehr Überwachung. Und werfe dabei alles in einen Topf, kritisiert TÜV-Süd-Experte Bassil Akra. „Da hat sich eine Schraube, ein Faden seit 20 Jahren bewährt – und jetzt fordert die EU eine klinische Studie?“ Jahrzehntelange praktische Erfahrung werde einfach vergessen. Und ein Herzchirurg müsse für eine Bewertung auch noch genau dokumentieren, seit wann er wie viele dieser Fäden verwendet habe. „Das ist ein bürokratisches Monstrum“, sagt der TÜV-Experte.

Seit die EU-Kommission die neue Verordnung 2017 beschlossen hat, hat sie sie schon einmal geändert und neun Erklärungen hinterhergeschickt. Die nächste Korrektur sei schon angekündigt, sagt Akra. Ursprünglich sollte die Dokumentation aller Kanülen und Schläuche geprüft werden, jetzt reichen doch wieder nur Stichproben. „Das zeigt, wie unsicher das Ganze ist. Wir müssen alles wieder ändern, unsere Leute wieder neu trainieren.“

Das größte Problem aber ist, dass Kontrolleure fehlen. Bis zum Start der Reform 2017 gab es europaweit 83 Prüfstellen. Seither hat die EU-Kommission gerade einmal zwei Stellen benannt, die die Medizinprodukte nach den neuen Regeln prüfen und zulassen dürfen: Den TÜV Süd in München und das britische BSI-Institut. Zwei Institute für 25.000 Unternehmen mit 600.000 Beschäftigten und 100 Milliarden Euro Jahresumsatz. Selbst wenn noch ein paar dazukommen sollten: Reichen die verbleibenden neun Monate, um den Berg von Anträgen abzuarbeiten? „Das ist der Flaschenhals. Viele Firmen sind nervös“, sagt Kempf.

Akra sagt: „Als Patient muss ich mir Sorgen machen, wenn ein Hersteller keine benannte Stelle findet oder Produkte aufgibt, weil der Aufwand zu groß wird und sich nicht mehr lohnt.“ Einige Hersteller hätten ihre Produktpalette um ein Drittel verkleinert. Etablierte Produkte verschwänden vom Markt. Vor allem Implantate seien betroffen. „Ein Herzschrittmacher für Säuglinge zum Beispiel wird nur selten gebraucht, ist dann aber sehr wichtig“, erklärt Kempf. Ein anderes Beispiel ist ein Netzhaut-Implantat für Menschen mit grauem Star: Ein Mittelständler, der es herstellt, gibt auf. Weil der Aufwand für Bestandsprodukte so steigt, bleiben weniger Zeit und Geld für neue Produkte. Gerade das aber sei die Stärke der deutschen Hersteller gewesen, sagt Kempf. „Wir sägen am Ast, auf dem wir sitzen.“ Das sei auch schade für die europäische Bevölkerung, sagt Akra: „Innovationen und neue Therapiemöglichkeiten dürften künftig zuerst in den USA auf den Markt kommen.“

Der Dachverband der rund 2000 Krankenhäuser in Deutschland, die DKG, hält es inzwischen für „nahezu sicher“, dass bis Mai nicht alle Produkte ihre Zulassung haben und fehlen. Besonders beunruhigend sei das zum Beispiel bei wiederverwendbaren chirurgischen Instrumenten. Noch hofft die DKG, dass der Bundesgesundheitsminister in Brüssel eine Fristverlängerung erreichen kann. Dabei droht schon der nächste Schlamassel mit Laborgeräten, heißt es beim Krankenhausverband - weil „die Verordnung über In-vitro-Diagnostika denselben Schwierigkeiten entgegensteuert“.

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