Über eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts in Deutschland ist neuer Streit entbrannt. In der kommenden Woche werden dazu Vorschläge einer Regierungskommission vorgestellt – und laut einem „Spiegel“-Bericht wollen die Experten eine generelle Straffreiheit von Schwangerschaftsabbrüchen innerhalb der ersten zwölf Wochen empfehlen. Von der Union kam umgehend Protest gegen eine solche generelle Straffreiheit. Die Organisation Pro Familia warb für eine Regelung außerhalb des Strafrechts.
SPD, FDP und Grüne hatten die Einsetzung einer „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung“ im Koalitionsvertrag vereinbart, die unter anderem Regulierungen für Schwangerschaftsabbrüche außerhalb des Strafgesetzbuches prüfen sollte. Der Abschlussbericht der Regierungskommission, die vor gut einem Jahr die Arbeit aufgenommen hatte, soll am kommenden Montag vorgestellt werden. Dem Gremium gehören 18 Expertinnen und Experten aus Medizin, Psychologie, Soziologie, Ethik und Recht an. Das Gesundheits- und das Familienministerium äußerten sich auf Anfrage zunächst nicht und verwiesen auf die Vorstellung der Empfehlungen. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) hatte in der Vergangenheit mehrfach angedeutet, sich eine Neuregelung vorstellen zu können.
Bisher ist eine Abtreibung nach Paragraf 218 des Strafgesetzbuches grundsätzlich strafbar, es sei denn, sie findet in den ersten zwölf Wochen statt und die Frau hat sich zuvor beraten lassen. Nicht strafbar ist ein Abbruch nach derzeitiger Rechtslage auch, wenn medizinische Gründe vorliegen oder wenn er wegen einer Vergewaltigung vorgenommen wird. Laut Statistischem Bundesamt gab es 2022 in Deutschland rund 104.000 gemeldete Schwangerschaftsabbrüche.
Laut „Spiegel“ heißt es in dem Bericht der Kommission: „Die grundsätzliche Rechtswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchs in der Frühphase der Schwangerschaft ist nicht haltbar.“ Verwiesen werde darauf, dass die aktuellen Regelungen im Strafgesetzbuch einer verfassungsrechtlichen, völkerrechtlichen und europarechtlichen Prüfung nicht Stand hielten. Sobald ein Fötus eigenständig lebensfähig sei, sollten Abbrüche aber verboten bleiben. Die Grenze liege etwa in der 22. Woche seit Beginn der letzten Menstruation, empfehle die Kommission.
Unionsfraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei (CDU) warnte davor, gesellschaftliche Konfliktlinien nach dem Kompromiss um das Abtreibungsrecht aus den 1990er Jahren neu aufzureißen. Dies sei „grundüberflüssig“ in einer Situation, in der die Koalition ganz andere Probleme zu bewältigen habe wie etwa die Wirtschaftskrise oder die steigende Kriminalitätsrate. „Es wäre grundfalsch, weitere gesellschaftliche Konflikte zu provozieren“, sagte Frei heute in Berlin. Falls sich die Ampel-Koalition solche Vorschläge zu eigen mache, „würde das zwangsläufig dazu führen“, dass man in Karlsruhe klagen werde.
Der Pro Familia Bundesverband mahnte dagegen dringenden Handlungsbedarf an. Die Regierung müsse bei einer Reform mögliche Gestaltungsspielräume umfassend nutzen und Abbrüche vollständig entkriminalisieren. Zudem müssten Beratungspflicht und Wartezeiten abgeschafft werden. Insgesamt müsse das Vertrauen in Schwangere sowie in Beratung, Ärztinnen und Ärzte im Vordergrund stehen. Menschenrechte und effektiver Lebensschutz verlangten, Entscheidungsmöglichkeiten zu erweitern, nicht einzuschränken.
Der katholische Wohlfahrtsverband Caritas erklärte dagegen, die jetzige Regelung sei keine völkerrechtswidrige Kriminalisierung der Abtreibung, sondern ein ausgewogenes Konzept, das das Leben des Kindes über die Selbstbestimmung der Frau schütze. Deshalb sei nach Vorlage des Kommissionsberichts eine gründliche Diskussion notwendig. Dabei könne die Bedeutung einer guten Beratung und Begleitung werdender Eltern nicht genug unterstrichen werden.
Die Bundesregierung hatte bereits im ersten Jahr ihrer Amtszeit eine weitreichende Gesetzesänderung im Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbrüchen auf den Weg gebracht: Sie schaffte den umstrittenen Paragrafen 219a ab, der zuvor das „Werbeverbot“ für Abtreibungen geregelt und immer wieder dazu geführt hatte, dass Ärztinnen und Ärzte sich strafbar machten, wenn sie öffentlich Informationen dazu zur Verfügung stellten.
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