Was kann Kindern und Eltern in der Pandemie noch zugemutet werden? Darüber wurde am Dienstag zwischen Bund und Länder leidenschaftlich diskutiert. Auch nach der Einigung scheint es verschiedene Auffassungen zu geben.
Die Menschen in Deutschland brauchen in der Corona-Pandemie weiter Geduld: Bund und Länder haben den Lockdown aus Sorge über die Virusmutation bis Mitte Februar verlängert. Auch Schulen und Kitas sollen nach dem Beschluss vom Dienstagabend bis dahin weiter geschlossen bleiben. Doch deutete sich an, dass die Länder diese umstrittene Entscheidung unterschiedlich umsetzen werden.
So kündigte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) noch am Abend an, Grundschulen und Kitas voraussichtlich vom 1. Februar an schrittweise und vorsichtig wieder öffnen zu wollen – „wenn die Infektionslage das zulässt”. Mecklenburg-Vorpommern dagegen schärfte in den Schulen und Kitas nach: In zwei Landkreisen mit höheren Infektionszahlen dürfen sie nur noch für eine Notbetreuung öffnen. Über den Umgang mit den Schulen hatten Bund und Länder in der stundenlangen Sitzung leidenschaftlich diskutiert. Die Verhandlung sei geprägt gewesen von der Frage, was man Eltern und Kindern zumuten könne, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Mittwoch): „Die Schulen und Kitas weiterhin nahezu vollständig geschlossen zu halten, gehört sicherlich zu den härtesten politischen Entscheidungen zu Beginn dieses Jahres.” Aber sie sei angesichts der Entwicklung der Pandemie notwendig. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey forderte klare Perspektiven für Kinder und Eltern. „Sobald es das Infektionsgeschehen zulässt, müssen Kinderbetreuungsangebote dann mit als erstes wieder öffnen», sagte die SPD-Politikerin den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Mittwoch).
Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, sagte der «Augsburger Allgemeinen», er hoffe, dass Mitte Februar an den Schulen «der große Einstieg wieder gelingt». Die Entscheidung von Bund und Ländern, die Einrichtungen bis zum 14. Februar weitgehend geschlossen zu halten, trägt der Verband demnach mit. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) beklagte, dass die Länder wieder selbst entscheiden können, „wie sie die Vereinbarung umsetzen”. GEW-Chefin Marlis Tepe sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Mittwoch): „Damit bleibt es beim föderalen Flickenteppich in der Bildung.” Grundsätzlich begrüße die Gewerkschaft, dass die Präsenzpflicht weiter ausgesetzt sei.
Bei den Bund-Länder-Gesprächen wurden einige Regeln verschärft. So müssen in Bus und Bahn sowie beim Einkaufen die besser schützenden FFP2-Masken oder OP-Masken getragen werden – Alltagsmasken aus Stoff reichen nicht mehr aus. Ab wann die neuen Regeln gelten, entscheiden die Bundesländer selbst. Am Mittwoch beraten mehrere Landesregierungen darüber.
Strengere Regeln sind auch am Arbeitsplatz vorgesehen. Arbeitgeber müssen Arbeit im Homeoffice zulassen, wenn das möglich ist. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) forderte die Beschäftigten und Unternehmen auf, die neuen Homeoffice-Möglichkeiten massiv zu nutzen. Zugleich warnte er in „Bild live” Arbeitgeber davor, die Möglichkeit zum Homeoffice willkürlich abzusagen und kündigte Kontrollen an. Der parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion, Jan Korte, kritisierte, eine Homeoffice-Pflicht hätte schon viel früher kommen müssen.
SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach mahnte die Bundesländer, die Corona-Beschlüsse auch umzusetzen. „Sie wirken nur, wenn sie auch von den Ländern kontrolliert und umgesetzt werden”, sagte er dem Nachrichtenportal t-online.
Merkel sagte, die Mutation mache das Virus wahrscheinlich deutlich ansteckender. „Noch ist gewissermaßen Zeit, die ganze Gefährlichkeit auch einzudämmen.” Dafür müsse aber jetzt gehandelt werden, sonst könnten die Infektionszahlen schnell stark ansteigen. Es gehe um Vorsorge für das Land und die Bürger, aber auch für Wirtschaft und Arbeitswelt.
Derzeit sind die Zahlen nach Experteneinschätzung noch viel zu hoch, um Lockerungen wagen zu können. „Aktuell sind wir bei knapp unter 5000 Intensivpatienten in Deutschland – da müssen wir noch deutlich runter”, teilte die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin der „Rheinischen Post” mit. Die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner (Sieben-Tage-Inzidenz) lag am Mittwoch bei 123,5 – als Zielwert gelten 50.
Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, sagte: „Der im Dezember beschlossene harte Lockdown wirkt. Das sehen wir an der allmählich zurückgehenden Zahl der Neuinfektionen und an der sich etwas stabilisierenden Lage auf den Intensivstationen.”
Die SPD-Chefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans begrüßten die Bund-Länder-Beschlüsse. Die Menschen seien zunehmend mürbe von den Beschränkungen im privaten Bereich. Deshalb sei es richtig, hier keine weiteren Einschränkungen vorzunehmen, sagte Esken. «Stattdessen sollten wir das Arbeitsleben in den Fokus nehmen und wo immer möglich Homeoffice gestatten und nutzen.»
Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen kritisierte ein zu unentschlossenes Agieren im Wettlauf gegen die Virus-Mutationen. „Gegen die neue Bedrohungslage reichen die alten Maßnahmen mit ein paar Zusätzen nicht”, sagte der Bundestagsabgeordnete der Deutschen Presse-Agentur. Schnelltests für den Eigengebrauch wären eine wichtige Ergänzung.
FDP-Vize Wolfgang Kubicki warf Merkel vor, eine nicht nachvollziehbare Politik zu machen. Seit Ende Oktober höre man ausschließlich Durchhalteparolen, dass „in wenigen Wochen” Lockerungen kommen würden, sagte er dem Internetportal watson. Merkel wolle den einmal eingeschlagenen Weg „koste es, was es wolle”, durchbringen.
Der Deutsche Städtetag hält die Verlängerung des Lockdowns und die zusätzlichen Maßnahmen für nötig. Städtetagspräsident Burkhard Jung sagte der dpa: „Wir brauchen jetzt noch einmal eine große gemeinsame Kraftanstrengung im Kampf gegen die Pandemie, um die Welle der Infektionen zu brechen.»
Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) schlug ein Telefonierverbot im öffentlichen Nahverkehr wie in Spanien vor. „Das würden wir sehr stark unterstützen”, sagte Verbandspräsident Ingo Wortmann am Mittwoch im Deutschlandfunk. Denn es gebe Fahrgäste, die zum Telefonieren den Mund-Nasen-Schutz herunterzögen.
Die Bundeskanzlerin schloss im äußersten Fall auch neue Grenzkontrollen nicht aus. „Das wollen wir nicht, wir wollen uns partnerschaftlich mit unseren Nachbarn einigen”, betonte sie. „Aber wir können nicht zusehen, dass dann der Eintrag einfach kommt, weil andere Länder ganz andere Wege gehen”, sagte sie mit Blick auf den Umgang mit der Pandemie.
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