BSG-Präsident: GKV-Finanzierung durch Steuergelder Hanna Meiertöns, 10.02.2023 22:52 Uhr
Nach Ansicht des Präsidenten des Bundessozialgerichts, Rainer Schlegel, sollte die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) in Deutschland durch Steuern finanziert werden. „Ich könnte mir vorstellen, insbesondere in der gesetzlichen, beitragsfinanzierten Krankenversicherung auf ein steuerfinanziertes System überzugehen“, sagte Schlegel im Interview der „Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen“ (HNA, Freitag).
Die gesetzliche Krankenversicherung habe das Problem der demografischen Entwicklung bisher im Wesentlichen ausgeblendet, erklärte Schlegel weiter. Es bestehe dort aber genauso. „Die Kostensteigerung im Gesundheitswesen ist enorm, weil wir eine sehr innovative pharmazeutische Industrie und enorme medizinische Fortschritte haben“, sagte er. Die Beiträge in der GKV würden im Wesentlichen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern aufgebracht. Aber das Geld reiche schon jetzt nicht.
„Die unteren Lohngruppen und insgesamt der Faktor Arbeit würden deutlich entlastet“, erläuterte Schlegel. Bislang ende die Beitragsbelastung bei der Beitragsbemessungsgrenze – in diesem Jahr seien das 4987,50 Euro. „Bei der Umstellung auf eine Steuerfinanzierung wäre die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit jedes Bürgers und jedes Unternehmens der Maßstab.“
Die Umstellung verlange neue Strukturen. „Bei den Krankenkassen müsste es zu einer Konzentration kommen. Sie könnten auch keine Körperschaften des öffentlichen Rechts mehr sein, denn ein steuerfinanziertes System hat keine Mitglieder“, sagte Schlegel. „Das ist ein großes Rad, das gedreht werden muss. Aber es ist wahrscheinlich unumgänglich, es zu drehen.“
DGB für Bürgerversicherung
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) lehnt Schlegels Vorschlag strikt ab. „Für Beschäftigte birgt eine Privatisierung der Krankenkassen nur Nachteile“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel laut Mitteilung am Freitag in Berlin. Als Kunden von privaten Versicherungsunternehmen würden sie ihrer Mitbestimmungsrechte über Verwaltung und Leistungen der Kassen beraubt. „Streitfälle müssten sie zukünftig auf dem teuren Privatrechtsweg statt über die deutlich kostengünstigere Sozialgerichtsbarkeit mit ihrem Krankenversicherungsunternehmen austragen.“ Eine steuerfinanzierte Krankenversicherung nehme zudem Arbeitgeber aus der Verantwortung.
Piel spricht sich stattdessen für eine Bürgerversicherung aus. Über sie könnten schrittweise mehr Bürger als Beitragszahler und Leistungsberechtigte erfasst und Besserverdiener stärker beteiligt werden, erklärte sie. Für weitere Einkommen über den Lohn hinaus, etwa aus Mieten, Pachten und Zinseinnahmen oberhalb eines Freibetrags, würden Beiträge fällig. „Zugleich bleiben Arbeitgeber in der Verantwortung und Beschäftigte könnten weiter in ihren Kassen mitbestimmen.“