„Schlag ins Gesicht“: Ärzte wollen auch 12,61 Euro pro Pieks APOTHEKE ADHOC, 14.07.2020 12:03 Uhr
In Nordrhein hat der Apothekerverband das erste Modellprojekt für Grippeschutzimpfungen durch Apotheker mit der AOK Rheinland/Hamburg vereinbart. Dagegen laufen die Ärzte Sturm: Als „Schlag ins Gesicht der niedergelassenen Ärzte“ bezeichnete jetzt der Vorsitzende der Landesgruppe Nordrhein des Virchowbundes, Dr. André Bergmann, diese Vereinbarung. Die Vergütung dafür liege mit 12,61 Euro netto pro Impfung deutlich über jener für Ärzte. Der Virchowbund fordert denselben Betrag.
„Die AOK Rheinland/Hamburg zeigt damit ganz klar, dass es mit ihrer Wertschätzung für die Hausärzte und grundversorgenden Fachärzte nicht weit her ist“, kritisiert Bergmann. „Eine ärztlich durchgeführte Influenza-Impfung ist gerade einmal 7,71 Euro ‚wert‘. Das ist zu wenig, um in der Praxis kostendeckend zu arbeiten.“ Dass Ärzte im Gegensatz zu Apothekern zusätzlich noch die Versichertenpauschale abrechnen können, will Bergmann nicht als Gegenargument gelten lassen. „Die Bezeichnung ,Pauschale‘ sagt ja schon aus: Darin ist eine ganze Bandbreite von Leistungen enthalten, die innerhalb eines Quartals anfallen. In der Realität mache ich als Arzt eher noch ein Minusgeschäft. In Pandemie-Zeiten, wo die Grippeschutzimpfung so wichtig und sinnvoll ist wie noch nie zuvor, ist das ein Skandal.“
Dabei habe Bundesgesundheitsminister Jens Spahn erst vergangene Woche in einem Livestream die niedergelassenen Ärzte gebeten, Grippeimpfungen noch stärker auszuweiten. „Eine so wichtige Leistung wie das Impfen muss von den Kassen dann auch angemessen bezahlt werden.“ Bergmann fordert eine deutlich höhere Vergütung pro Impfung. Was für Apotheker gelte, müsse auch für Ärzte möglich sein.
Letzte Woche hatte das Apothekerverband Nordrhein den Abschluss des ersten Modellvorhabens verkündet. Die Vertragspartner erfüllten damit den Auftrag des Gesetzgebers im Kontext des zum 1.März 2020 in Kraft getretenen Masernschutzgesetzes. Demnach sollen Apothekerinnen und Apotheker in öffentlichen Apotheken Versicherte der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im Rahmen von Modellvorhaben gegen Influenza impfen. Das Modellvorhaben läuft laut AVNR über einen Zeitraum von drei Jahren und wird nach allgemein anerkannten wissenschaftlichen Standards begleitet und ausgewertet.
„Wir freuen uns, dass wir mit der AOK Rheinland/Hamburg jetzt bundesweit den ersten Vertrag im Rahmen eines Modellvorhabens zur Grippeschutzimpfung vereinbaren konnten“, sagte Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbandes Nordrhein: „Unser Ziel ist es, die Durchimpfungsraten weiter zu steigern. Dabei sehen wir unser Angebot als eine Ergänzung zum Impfangebot der Ärzteschaft.“ Bislang seien nur rund 35 Prozent der Bundesbürger ab 60 Jahren gegen Grippe geimpft, ergänzt Preis und weist darauf hin, dass Deutschland von den auch von der Weltgesundheitsorganisation WHO angestrebten 75 Prozent noch weit entfernt sei.
Bevor die Impfungen in Apotheken im Rahmen des Modellvorhabens durchgeführt würden, müssen die daran teilnehmenden Apothekerinnen und Apotheker eine spezielle Fortbildung absolvieren. Dazu habe die Bundesapothekerkammer entsprechende Leitlinien erarbeitet, so Preis. Günter Wältermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Rheinland/Hamburg, betont, dass sich die Gesundheitskasse bundesweit bereits im Oktober letzten Jahres aktiv für das zusätzliche Impfangebot beim Grippeschutz in Apotheken eingesetzt habe: „Dieser weitere, niedrigschwellige Zugang zur Impfung macht es den Menschen leichter, sich gegen Influenza impfen zu lassen. Die Grippeschutzimpfung ist eine der bedeutendsten und wirksamsten präventiven Maßnahmen: Mit ihr können viele Grippetote vermieden werden“, erklärt Wältermann.
Allein die Grippewelle 2017/2018 habe über 25.000 Menschen in Deutschland das Leben gekostet. Daher sei es sinnvoll, wenn mit den Apotheken vor Ort eine weitere qualitätsgesicherte und patientennahe Anlaufstelle im Gesundheitswesen genutzt würde, um die Durchimpfraten zu erhöhen, so Wältermann. Die positiven Erfahrungen mit vergleichbaren Angeboten durch Apotheken in anderen europäischen Ländern würden nachweislich eine deutliche Steigerung der Durchimpfungsrate belegen.