Diesmal waren sich Apotheker und Kassen schnell einig: Man würde sich nicht einigen. Einige Verhandlungsrunden und 48 Tage nach dem Auftrag des Gesetzgebers waren die Verhandlungen zum Thema Null-Retaxation bereits gescheitert. Am Dienstag hatte es noch ein Gespräch auf Spitzenebene zwischen Deutschem Apothekerverband (DAV) und GKV-Spitzenverband gegeben. Jetzt geht es wieder gemeinsam vor die Schiedsstelle.
In einer kurzen Mitteilung hatte der DAV gestern das gemeinsam beschlossene Scheitern der Gespräche verkündet. Der DAV werde nunmehr die im Rahmen der Selbstverwaltung gesetzlich vorgesehene Schiedsstelle unter Vorsitz von Dr. Rainer Hess anrufen und somit das entsprechende Schiedsverfahren auslösen, hieß es. Ansonsten habe man Stillschweigen vereinbart.
Mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) wurde § 129 des Sozialgesetzbuchs (SGB V) ergänzt: „In dem Rahmenvertrag ist erstmals bis zum 1. Januar 2016 zu regeln, in welchen Fällen einer Beanstandung der Abrechnung durch Krankenkassen, insbesondere bei Formfehlern, eine Retaxation vollständig oder teilweise unterbleibt; kommt eine Regelung nicht innerhalb der Frist zustande, entscheidet die Schiedsstelle.“
Dass die Vertragspartner diese – von der ABDA ursprünglich gewünschte – Frist nicht ausschöpfen würden, hatte sich schon im laufenden Gesetzgebungsverfahren abgezeichnet. Im Mai hatte DAV-Chef Fritz Becker beim Wirtschaftsforum bereits angekündigt, man werde sich zwar für eine partnerschaftliche Lösung einsetzen. Sollte diese absehbar nicht möglich sein, werde man ohne zu zögern die Schiedsstelle anrufen.
Hess wird also als Vorsitzender demnächst Post bekommen – gestern wusste er noch gar nichts von seinem Glück. Ihm zur Seite sitzen als unabhängige Mitglieder erneut Professor Dr. Ingwer Ebsen aus Frankfurt und Professor Dr. Christian Starck aus Göttingen. Die Geschäftsstelle der Schiedsstelle ist beim GKV-Spitzenverband angesiedelt, dort finden auch die Schiedsgespräche statt. Apotheker und Kassen können je fünf Vertreter schicken. Die Schiedsstelle kann per Schiedsspruch entscheiden oder – wie zuletzt beim Kassenabschlag – moderierend eine Einigung erwirken.
Den ersten Aufschlag hat jetzt der DAV, weil die Apotheker die Schiedsstelle anrufen. Der GKV-Spitzenverband wird dann von Hess zu einer Erwiderung aufgefordert. Die Kassen können natürlich auch eigene Punkte einbringen. Der weitere Zeitplan steht laut einem ABDA-Sprecher noch nicht im Einzelnen fest.
Das Verfahren dürfte sich also noch hinziehen. Die Apotheker werden sich unterdessen beim Deutschen Apothekertag (DAT) in Düsseldorf weiter mit Null-Retaxationen befassen. Drei der insgesamt 51 Anträge behandeln dieses Thema. So will der Landesapothekerverband Brandenburg (LAV) den Gesetzgeber auffordern, doch noch ein gesetzliche Regelung für Vollabsetzungen zu schaffen. Null-Retaxation wegen Formfehlern dürften nicht mehr möglich sein, da sie die Versorgungssicherheit gefährdeten. „Für die Apotheken stellt sie eine existenzgefährdende, unverhältnismäßige und durch nichts zu begründende Maßnahme der Krankenkassen zur Ausgabenminimierung dar“, heißt es in der Begründung des Antrags. Fachlich korrekt erbrachte Leistungen müssten vergütet werden, Formfehler heilbar sein.
Kammer und Verband aus Bremen fordern die Krankenkassen auf, von Form-Retaxationen abzusehen, die der Arzt verursacht hat, weil er sich nicht an die Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) gehalten hat. In der Begründung wird die Änderung des Arztstempels zum 1. Juli angeführt: „Patienten werden mit fehlerhaften Verordnungen zurück zum Arzt geschickt oder Apotheken-Boten suchen die Arztpraxen auf, damit die fehlenden Angaben nachträglich ergänzt werden.“
Zu befürchten sei zudem eine Retaxationswelle bei Verordnungen von Gemeinschaftspraxen oder Krankenhäusern, bei denen der verordnende Arzt kenntlich gemacht werden muss, dies aber versäumt wurde. „Die Erwartung von Retaxationen ist inzwischen fester Bestandteil des Apothekenalltags und führt dazu, dass der Apotheker seinen eigentlichen pharmazeutischen Kernkompetenzen kaum mehr nachkommen kann“, so Kammer und Verband aus Bremen. Die Kassen sollten Vertrauen wieder aufbauen, und Form-Retaxationen „nicht dazu benutzen, die eigene wirtschaftliche Situation zu verbessern“, heißt es zur Begründung.
Eine Gruppe von Apothekern fordert den Gesetzgeber außerdem in einem eigenen Antrag auf, Heilungsmöglichkeiten bei Fehlern auf dem Rezept zu ermöglichen. „Die in der Sozialgesetzgebung vorgesehene Minderung oder Vollabsetzung der Verordnungssumme muss für pharmazeutische Fehlleistungen sowie zur 'Maßregelung' bei betrügerischer Absicht vorbehalten bleiben und nicht für unbeabsichtigte Missachtung von Formalitäten“, so die Begründung.
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