Keine Einigung zu Formfehler-Retax Alexander Müller, 11.02.2016 10:19 Uhr
Die Apotheker werden sich vorerst weiter mit Retaxationen aufgrund von Formfehlern herumschlagen müssen: Auch die zweite Verhandlungsrunde vor der Schiedsstelle hat nach Informationen von APOTHEKE ADHOC kein Ergebnis gebracht. Der GKV-Spitzenverband und der Deutsche Apothekerverband (DAV) haben sich erneut vertagt. Aber noch besteht die Hoffnung, dass man sich ohne Schiedsspruch einigt.
Da die Gespräche mit den Kassen über einen neuen Rahmenvertrag seit Jahren stocken, hatten die Apotheker den Gesetzgeber zu Hilfe gebeten. Und immerhin wurde mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) das Sozialgesetzbuch (SGB V) ergänzt: „In dem Rahmenvertrag ist erstmals bis zum 1. Januar 2016 zu regeln, in welchen Fällen einer Beanstandung der Abrechnung durch Krankenkassen, insbesondere bei Formfehlern, eine Retaxation vollständig oder teilweise unterbleibt [...]“
Die ABDA hat aus der Erfahrungen mit den Kassenvertretern gelernt und sich erfolgreich dafür eingesetzt, dass an diesen Passus noch ein Halbsatz angefügt wurde: „[...] kommt eine Regelung nicht innerhalb der Frist zustande, entscheidet die Schiedsstelle.“ Doch sehr schnell war klar, dass man ohne Schiedsstelle überhaupt nicht zu einer Lösung finden würden: Einige Verhandlungsrunden und 48 Tage nach dem Auftrag des Gesetzgebers wurden die Verhandlungen für gescheitert erklärt und die Schiedsstelle unter der Leitung von Dr. Rainer Hess angerufen.
Auch hier blieb der erste Termin ohne Ergebnis, am gestrigen Aschermittwoch traf man sich erneut beim GKV-Spitzenverband. Die Vertreter von Kassen und Apothekern versuchen weiterhin, sich anzunähern. Woran es hakt, ist nicht bekannt, zu den Details der Gespräche wurde Stillschweigen vereinbart. Einen Termin für eine neue Verhandlungsrunde gibt es noch nicht, weil sich auch die unabhängigen Vorsitzenden der Schiedsstelle noch ihre Gedanken machen wollen. Neben Hess sind dies Professor Dr. Ingwer Ebsen aus Frankfurt und Professor Dr. Christian Starck aus Göttingen.
Hess hatte die Erwartungen der Apotheker schon kurz nach Beginn des Schiedsverfahren öffentlich gedämpft. Bei Retaxationen wegen nicht beachteter Rabattverträge könnten sich die Apotheker keine Hoffnungen machen. Schließlich müssten die Kassen nur zahlen, wenn die Leistung korrekt erbracht worden sei. Wer ohne Grund den Rabattvertrag missachte, habe das Vertragsverhältnis nicht erfüllt und auch keinen Anspruch auf Vergütung. Das hatte 2013 auch das Bundessozialgericht (BSG) bestätigt.
Trotzdem geht es Hess zufolge vor allem darum, dass der Patient versorgt wird. Im Notfall sollen Apotheker daher auch ohne Rücksprache mit dem Arzt handeln dürfen: Wenn der Arzt nicht gefunden oder erreicht werden könne, müsse der Apotheker das Präparat abgeben dürfen, so Hess. „Das wäre ein Fall, den wir beim Schiedsamt reinschreiben könnten.“ Apotheker und Patienten müssten die Sicherheit haben, dass das nötige Arzneimittel abgegeben werden dürfe – auch bei Wirkstoffen der Aut-idem-Liste.
Im Schiedsverfahren soll es schon dem Gesetzeswortlaut nach um Formfehler gehen. In der Begründung zum GKV-VSG heißt es, Apotheker sollten in den Fällen vor Retaxationen „auf Null“ geschützt werden, in denen Versicherte das nach den Regelungen des SGB V abzugebende Arzneimittel erhalten haben. „Dadurch unterscheiden sich diese Fälle von denjenigen, in denen Apotheken anstelle eines Rabattvertragsarzneimittels pflichtwidrig ein anderes Arzneimittel abgeben“, heißt es in der Begründung weiter. „Der Spielraum des Schiedsamtes ist somit relativ eng“, sagte Hess schon im September.
Offenbar aber noch weit genug, um eine schnelle Einigung zu verhindern. Vor allem müssen sich beide Seiten auf möglichst exakte Formulierungen einigen, damit es im Anschluss nicht wieder zu unterschiedlichen Interpretationen und damit zu umstrittenen Retaxationen kommt. Denn auch der Spielraum zur Auslegung muss aus Sicht der Apotheker eng sein – vor allem für die besonders retaxfreudigen Kassen.
Zuletzt hatte sich der CDU-Bundestagsabgeordnete Dr. Roy Kühne ins Schiedsverfahren eingeschaltet. Er hat Hess in einem Brief seine Vorschläge zum Thema übermittelt und zu einem Gespräch eingeladen. Unter anderem hatte er eine Friedenspflicht bis zum Abschluss des Schiedsverfahrens ins Spiel gebracht.
Hess hat schon einmal eine Einigung zwischen DAV und GKV-Spitzenverband herbeigeführt. Im Sommer 2013 beendete er einen jahrelangen Streit zwischen den Vertragspartnern zum Kassenabschlag: Unter seiner Leitung verständigten sich Krankenkassen und Apotheker auf eine Paketlösung. Gemäß der Einigung wurde der Kassenabschlag zwischenzeitlich gesetzlich auf 1,77 Euro festgeschrieben. Ob es in Sachen Retaxationen wieder ohne Schiedsspruch gehen wird, ist noch offen.