Video-Spezial Rx-Boni

Schicksalsstunde für Versandapotheken Alexander Müller, 12.01.2011 11:32 Uhr

Gleiches Recht für alle? Der Gemeinsame Senat der obersten Gerichte muss klären, ob ein ausländischer Firmensitz vom deutschen Arzneimittel-Preisrecht befreit. Foto: Elke Hinkelbein
Berlin - 

Müssen sich ausländische Versandapotheken an die deutschen Preisvorschriften halten? Diese Frage beschäftigt seit Jahren die Gerichte. Dass die festgelegten Arzneimittelpreise für alle verbindlich sind, will der Bundesgerichtshof (BGH) durchsetzen. Professor Dr. Joachim Bornkamm ist Vorsitzender Richter am BGH. Er sieht keinen Grund für eine Ungleichbehandlung ausländischer und deutscher Apotheken. Weil aber das Bundessozialgericht in einem früheren Verfahren anders entschieden hat, muss jetzt der Gemeinsame Senat der obersten Gerichte klären, wer Recht hat.

„Es liegt mir fern, das Urteil des Bundessozialgerichts zu kritisieren. Wir haben es auch nicht kritisiert, das ist überhaupt nicht unsere Aufgabe“, so Bornkamm. Es sei verständlich, dass die Richter vor einigen Jahren der Auffassung gewesen seien, das Gesetz lasse eine andere Lösung nicht zu: „Die Richter des Bundessozialgerichts meinten, der Gesetzgeber hätte deutlich ins Gesetz hineinschreiben müssen, dass es auch für ausländische Apotheken gilt. Sie haben Hinweise gesehen, die dafür sprachen, dass eine Anwendung auf ausländische Apotheken vom Gesetzgeber nicht vorgesehen war, und meinten, das müsse der Gesetzgeber entscheiden.“

Rückblick: Im Jahr 2004 erlaubte die rot-grüne Koalition den Versandhandel mit Arzneimitteln. Seitdem haben sich etliche Anbieter direkt hinter der deutsch-niederländischen Grenze niedergelassen. Von dort werden Patienten in Deutschland mit Arzneimitteln versorgt - unter Missachtung der Preisvorschriften, an die hierzulande alle Apotheken gebunden sind. Der BGH will jetzt mit dieser Ungerechtigkeit aufräumen.

„Der Gesetzgeber hat sich nicht gerührt nach dieser Entscheidung des Bundessozialgerichts“, erklärt Bornkamm. „Wir haben jetzt eigentlich eine ziemlich desolate Situation, denn es ist natürlich kein Zustand, dass die inländischen Apotheken dem Wettbewerb mit Versandapotheken ausgesetzt sind, die an ganz entscheidende Regeln des Wettbewerbs nicht gebunden sind, denen dagegen die deutschen Apotheken unterworfen sind. Das ist eine Wettbewerbsverzerrung, die natürlich überhaupt nicht sinnvoll ist - das würden die Kollegen im Bundessozialgericht genauso sehen.“


Vor allem für Pick-up-Stellen in Drogeriemärkten sind Rabatte auf verschreibungspflichtige Arzneimittel - so genannte Rx-Boni - existenziell. Denn der Rezeptanteil liegt nach Angaben der Betreiber bei fast 90 Prozent. Im großen Stil hatte zuerst die Drogeriekette dm solche Abholstellen eingerichtet. Die Kunden werfen ihr Rezept in der Filiale ein und können die Medikamente nach einigen Tagen dort abholen. Partner von dm ist die Europa Apotheek Venlo, die natürlich entsprechende Rx-Boni gewährt. Schlecker hat mit Vitalsana sogar eine eigene Versandapotheke in Holland. Die Anbieter fühlen sich deshalb nur an das niederländische Recht gebunden. Der BGH sieht das anders.

Bornkamm: „Hier stoßen die wettbewerblichen Interessen der Versandapotheke, die nach Deutschland liefert, und die der deutschen Apotheke - der stationären Apotheke oder der inländischen Versandapotheke, die deutsche Kunden beliefert - aufeinander, und zwar in Deutschland. Und dann muss hier deutsches Recht angewandt werden.“

Der Gesetzgeber will grundsätzlich verhindern, dass ausländische Unternehmen besser gestellt sind als inländische. Für die Bewertung ist entscheidend, wo die Leistung erbracht wird - in diesem Fall die Übergabe der Arzneimittel. Juristen sprechen vom Marktortprinzip.

„Wenn sich ein ausländisches Unternehmen in einem bestimmten Markt bewegt, dann muss es sich an die Regeln halten, die in diesem Markt gelten. Das ist relativ einfach verständlich und auch von der Gerechtigkeitsidee, die dahinter steht, relativ einfach nachzuvollziehen“, so Bornkamm. „Das beherrscht auch sonst das Wirtschaftsrecht, und wir meinen, dass diese Regel auch hier angewandt werden muss.“

Wann der Gemeinsame Senat entscheidet, ist noch offen. Die Experten gehen aber davon aus, dass ein Ergebnis noch in diesem Jahr vorliegen wird.