Das Rx-Versandverbot kommt nicht – das Thema ist tot und alles ist offen. Damit steht wenige Wochen nach Antritt der neuen Regierung fest: Die Apotheker werden zum Spielball der GroKo. Wer darauf hofft, dass es gerechter wird, liegt falsch. Ein Kommentar von Patrick Hollstein.
Die Kassen sind voll, und auch wenn Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die GKV-Reserven abschmelzen will – ein Geldbeschaffungsgesetz wird von ihm wohl nicht erwartet. Um die Pflege muss er sich kümmern, das hatte die Kanzlerin in der Wahlkampfarena versprochen. Und die Wartezeiten muss er verkürzen, denn das wäre für die Versicherten – neben Beitragssenkungen – wohl die auffälligste Verbesserung, die es im Gesundheitswesen geben kann.
Die Apotheken gehören nicht zu den großen Themen – und dennoch werden Union und SPD sich an ihnen abarbeiten. Kein Berufsstand steht so defensiv da, wird so stark mit Blockade und Reformstau verbunden. Noch eine Legislaturperiode unter dem Radar wird es nicht geben, dazu ist Spahn nicht der Typ. Er will reformieren, gestalten, liberalisieren und streiten. Schließlich will er Kanzler werden. FDP und Grüne werden kräftig Öl ins Feuer gießen.
Wer denkt, dass nur das Honorar umgestellt wird, dass die Holland-Versender sich mit weniger zufrieden geben und einen Solidarbeitrag an die hiesige Konkurrenz überweisen, der dürfte komplett falsch liegen. Denn auch wenn alle Ankündigungen mit verlockenden Versprechungen für die Versorgung vor Ort und auf dem Land garniert werden: Niemand hat vor, die Pharmazeuten aus ihrer Sackgasse heraus zu manövrieren. Die Gelegenheit ist wohl so günstig wie nie, das System komplett auf neue Füße zu stellen.
Wenn die Gesundheitspolitik die Versorgung tatsächlich über das Honorar steuern will, dann muss sie das System an sich nehmen. Denn einfach nur schlecht laufende Apotheken zu alimentieren, wird nicht nur zu schweren Zerwürfnissen unter den Kollegen führen, sondern auch wettbewerbs- und gesundheitspolitisch eine untragbare Lösung sein.
Eine Umverteilung führt so oder so zu einer Rückkehr zur Bedarfsplanung. Längst wird in der GroKo über Umsatzschwelle und räumliche Abgrenzung diskutiert – ansonsten liefe man ja Gefahr, fette Landapotheken oder unnütze Buden zu fördern.
Das Fremd- und Mehrbesitzverbot könnte gleich mit abgeräumt werden. Zur Freude von SPD, FDP, Grünen und auch Teilen der Union. So paradox es klingt: Früher oder später würden sich wohl alle, die am Tisch sitzen dürften, auf so einen Deal einlassen. Auch die Apotheker. Denn wo ein Standort geschützt ist, lässt sich ein ungleich höherer Kaufpreis erzielen als am freien Markt. Wenigstens ein bisschen Sicherheit in unruhigen Zeiten.
Schon 2006 war kein Geringerer als der ehemalige Celesio-Chef Dr. Fritz Oesterle mit einem entsprechenden Vorschlag bei der Politik hausieren gegangen. Und Spahn – damals noch Inhaber einer Politikagentur mit dem heutigen DocMorris-Vorstand Max Müller – machte sich 2008 höchstpersönlich für ein Lizenzsystem für Apotheken als Ersatz zum Fremdbesitzverbot stark. Damals scheiterte der Vorstoß noch. Mittlerweile dürften die in den Augen der Politik störrischen Standesvertreter mürbe gemacht worden sein.
Doch es ist bei Weitem nicht Spahn alleine, der die Axt an die Grundpfeiler der deutschen Apothekenlandschaft legt. Die gesamte Statik wackelt, auch weil die EU die europäischen Gesundheitsmärkte als letzte nationale Bastion knacken will. Weil die Digitalisierung die Gesundheitssysteme mit voller Wucht treffen wird und vor Grenzen keinen Halt macht. Und weil auch die Verbraucher längst andere Ansprüche haben.
Zuerst könnte der Schwenk an den Unis zu spüren sein. Viele Studenten rechnen heute noch fest mit einer Karriere in Freiberuflichkeit – familiär mitgegeben oder weil es eben möglich ist. Wenn aber die Perspektiven auf einen Job gut, die Aussichten auf eine Apotheke dagegen schlecht sind, könnte die Stimmung kippen. Zumal mit Amazon & Co. eine weitere übermächtige Konkurrenz droht, die erst Lieferdienste und bald auch Drohnen zu den Patienten schicken könnte.
Bei den Ärzten hat der Stellenwert der Selbstständigkeit in den vergangenen Jahren deutlich verloren. Auch bei Nachwuchsapothekern wächst das Bedürfnis, das Berufsbild an die neue Zeit anzupassen. Doch soweit sind die Standesvertreter noch lange nicht.
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