Behindertenrechtsgruppe fordert Rücktritt

„Schäbig und menschenverachtend: Jens Spahn muss gehen“

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Raul Krauthausen und andere Aktivisten von Abilitywatch fordern den Rücktritt von Jens Spahn (hier beim Tag der Offenen Tür im BMG 2019).Foto: Andreas Domma
Berlin -

Für die Behindertenrechtsgruppe Abilitywatch ist die Masken-Affäre nur ein weiterer von zahlreichen Missständen. Menschen mit Behinderung würden von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) seit jeher im Stich gelassen. Die Aktivisten fordern seinen Rücktritt.

Auch wenn das Bundesgesundheitsministerium (BMG) sich am Sonntagabend in einer Stellungnahme bemüht habe, die verschiedenen Testverfahren und deren Unterschiede darzustellen: An der Tatsache, dass die umstrittenen Masken weder den EU-Anforderungen noch denen der Zentralstelle der Länder für Sicherheitstechnik genügen, ändert dies laut Abilitywatch nichts. „Ungeprüfte Masken sollten an Menschen mit Behinderung, Wohnungslose und Hartz IV-Empfänger:innen ausgegeben werden. Die Masken entsprachen nicht allen EU-Vorgaben und hätten aufgrund von fehlenden Tests nach Auffassung der Zentralstelle der Länder für Sicherheitstechnik nicht in den allgemeinen Verkehr gedurft.“

Nach einer Entscheidung der Zentralstelle reicht die vom BMG in der Hochphase der ersten Welle definierte verkürzte technische Testung der Masken seit 1. Oktober 2020 nämlich nicht mehr aus. Und zwar unter anderem deswegen, weil bereits seit dem Sommer CE-zertifizierte Masken aus deutscher Produktion auf dem Markt erhältlich waren. Das Bundesarbeitsministerium (BMAS) habe am Wochenende bestätigt, dass es Kenntnis von Plänen des BMG hatte, „in Deutschland nicht zertifizierte Masken an Obdachlose und Grundsicherungsempfänger und in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung zu verteilen“.

„Wir reden hier nicht von der ersten Welle, in der alle überfordert waren, kein Material verfügbar war und man nehmen musste, was da ist“, stellt Nancy Poser, Juristin und Gründungsmitglied von Abilitywatch klar und ergänzt: „Es gab einen festgelegten Standard, auch wenn das BMG diesen nicht für erforderlich hält. Diesen erfüllten die Masken nicht, weshalb sie nicht in den Verkehr gebracht werden durften.“

„Wir unterstellen dem Bundesgesundheitsminister nicht, dass er die Masken an Menschen mit Behinderung verteilen wollte, mit dem Ziel, diese zu schädigen. Aber er wollte die Masken an diese Hoch-Risikogruppe verteilen, obwohl er wusste, dass sie die zu diesem Zeitpunkt erforderliche Zertifizierung nicht hatten und damit ,nicht gut genug' für die Vergabe an die gesamte Bevölkerung waren und möglicherweise, gerade bei längerem Tragen, ein Risiko darstellen könnten. Für Menschen mit Behinderung und andere ,ausgewählte' Gruppen sollte es aber reichen. Das ist schäbig, ableistisch, menschenverachtend und bestätigt das Bild, das sich Menschen mit Behinderung in den letzten Jahren von Jens Spahn machen konnten“, erklärt der bekannte Behindertenaktivist Raul
Krauthausen.

Laut Abilitywatch ist es nur ein weiterer Beleg dafür, wie Spahn die Rechte von Menschen mit Behinderung missachtet. Der Verein führt weitere Beleg einer aus seiner Sicht verfehlten Gesundheitspolitik an: So habe Spahn bereits kurz vor der Pandemie mit dem Reha- und Intensivpflegestärkungsgesetz (RISG / IPReG) versucht, viele beatmete Menschen mit Behinderungen aus ihrem eigenen häuslichen Umfeld in Heime zu zwingen. Obwohl sich in der Pandemie gezeigt habe, dass Heime der unsicherste Ort für Menschen mit Behinderung seien, sei das Gesetz zu dieser Zeit auf Drängen des BMG durch den Bundestag beschlossen worden. Betroffenen sei es aufgrund der Corona-Beschränkungen kaum möglich gewesen, öffentlich dagegen zu protestieren. Noch 2019 hatten die Aktivisten Spahn beim Tag der Offenen Tür in seinem Ministerium stellen können.

„Als dann die Pandemie losging, erfuhren wir als Menschen mit Behinderung keinerlei Unterstützung von Jens Spahn, insbesondere wenn wir nicht stationär leben. Im Gegenteil – er hat uns konsequent vergessen: zuerst bei Schutzkleidung und Masken in der ersten Welle, bei der Versorgung mit Schnelltests, als diese verfügbar wurden und letztlich auch bei der Impfpriorisierung, wo wir erst eine Rolle spielten, als zu viel AstraZeneca vorhanden war, weil dieser nicht mehr an Ü65-Jährige vergeben durfte“, so Krauthausen.

Beim Thema Triage habe sich Spahn ebenfalls auf den Standpunkt zurückgezogen, Menschen mit Behinderung nicht schützen zu müssen, erklärt Poser. Ursache war eine Leitlinie der intensivmedizinischen Fachgesellschaft DIVI, die Menschen mit Behinderung massiv gefährdet. Eine von Abilitywatch unterstützte Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht seitens mehrerer behinderter Menschen gegen die Untätigkeit des Gesetzgebers ist anhängig.

Kritik übt der Verein außerdem an den Plänen zum Rastersystem in der Psychotherapie sowie zur geplanten Pflegereform: „Beide Projekte ignorieren massiv die Erfordernisse von Menschen mit Behinderung“, sagt Poser.

Für Krauthausen und seine Mitstreiter:innen ist das Maß voll: „All die Jahre hat Jens Spahn immer gegen die Interessen von Menschen mit Behinderung gehandelt und unsere Initiativen und Vorschläge ignoriert. Die jetzt bei den Masken an den Tag getretene Einstellung gegenüber Menschen mit Behinderung ist für uns Betroffene deshalb leider wenig überraschend und nicht hinnehmbar. Jens Spahn muss gehen.“

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