„Wir verbrennen unheimlich viel Geld“

Sachverständigenrat: Apotheken stärker einbinden

, Uhr aktualisiert am 25.04.2024 16:50 Uhr
Berlin -

Schon heute gibt es in vielen Regionen Ärztemangel und Personalnot in der Pflege. Jetzt mahnen Regierungsberater: Ohne grundlegende Änderungen könnte alles noch viel schwieriger werden. Auch Apotheken sollten stärker eingebunden werden. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) wies auf eine drohende Lücke von 50.000 Ärzten in den nächsten zehn Jahren hin, was zu einer deutlich veränderten Versorgung führen wird.

In Deutschland werden aus Sicht offizieller Regierungsberater im Gesundheitswesen hohe Summen verschwendet und Pflegekräfte, Ärzt:innen und andere Heilberufe ineffizient eingesetzt. Ohne grundlegende Änderungen drohe die weitverbreitete Personalnot schlimmer zu werden, so der Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege. Das siebenköpfige Gremium legte heute in Berlin sein neues Gutachten im gesetzlichen Auftrag vor.

„Wir verbrennen unheimlich viel Geld“, so der Ratsvorsitzende Michael Hallek Deutschland habe eines der teuersten Gesundheitswesen der Welt, doch Fachkräfte würden in Überlastung getrieben, Patienten oft nicht optimal versorgt. „Da kann man als demokratischer Bürger nicht zufrieden sein.“

Apotheken stärker einbinden

In dem 332 Seiten starken Bericht werden so genannte Engpassberufe definiert. Auf Basis der Analyse der Bundesagentur für Arbeit (BA) bestehen laut Sachverständigenrat Engpässe in 200 von rund 700 Berufsuntergruppen. Besonders betroffen: Pflege- und medizinischen Berufe, darunter Apothekerinnen und Apotheker. Die Zahl der betroffenen Berufsgruppen ist von 131 im Jahr 2020 auf 200 in 2022 gestiegen.

Darüber hinaus finden Apotheken als Akteure des Gesundheitssystems Erwähnung: Es wird empfohlen, sie in ein vorausschauendes Management von Medikationsprozessen einzubinden. Darüber hinaus empfiehlt der Expertenrat, neue Gesundheitseinrichtungen in die bestehende lokale Versorgungsstruktur einzubetten und mit den regional bereits existierenden Akteuren, darunter Apotheken, zu vernetzen.

Fachkräftemangel trotz hoher Ärztezahl

Eigentlich habe Deutschland „relativ viele Fachkräfte in der Arbeit“, stellte Hallek fest. So gebe es hierzulande etwa 1,2 Millionen Menschen in der Krankenpflege, etwa 700.000 in der Altenpflege, etwa 700.000 medizinische Fachangestellte und ungefähr 500.000 Ärzte. Allerdings: Mehr Patientinnen und Patienten als in anderen Industriestaaten werden in Deutschland im Krankenhaus behandelt, wie das Gutachten hervorhebt.

Für das Fehlen von insgesamt Zehntausenden Ärzten machte Lauterbach mangelnde Vorsorge verantwortlich. „Wir haben die letzten zehn Jahre ungefähr 5000 Medizinstudienplätze zu wenig gehabt – also pro Jahr.“ Deutschlands Ärztemangel wurde durch fast 64.000 ausländische Ärzte kompensiert, doch nun konkurriert das Land international um Mediziner, so Lauterbach. „Das wird so nicht weitergehen können.“ Hallek sieht noch keinen „dramatischen Mangel“ an Ärzten; das Medizinstudium sei nach wie vor beliebt.

Ineffizienter Einsatz der Ressourcen

Deutschland hat eine der längsten Krankenhausaufenthalte in Europa, was sowohl an hohen Fallzahlen als auch an langen Verweildauern liegt. Trotzdem stehen die medizinischen Ergebnisse und die Lebenserwartung nicht über denen anderer Länder. Viele Behandlungen in Kliniken sind nicht nur auf die ältere, multikomorbide Bevölkerung zurückzuführen, sondern auch auf den Mangel an Versorgungsalternativen. Lauterbach dazu: „Jetzt schon sind 5000 Hausarztpraxen nicht besetzt. Das wird deutlich zunehmen.“

In Deutschland werden mehr Patienten stationär als ambulant behandelt, ohne bessere Ergebnisse oder höhere Lebenserwartung als in anderen Ländern, so Hallek. „Das weist auf strukturelle Mängel hin.“ Er forderte, „dass der ineffiziente Einsatz der Ressourcen im Gesundheitswesen gestoppt werden muss“. Eindringlich mahnte der Forscher: „Wir müssen beginnen, mit der Ressourcenverschwendung aufzuhören.“

Denn aufgrund des Fachkräftemangels und der alternden Gesellschaft werden in den nächsten Jahren weniger Gesundheitspersonal verfügbar sein, während der Bedarf an Versorgung steigt. Hallek fordert eine intelligentere Arbeitsorganisation im Gesundheitssektor, da das Anwerben ausländischer Fachkräfte und die Bemühungen um mehr inländische Arbeitskräfte allein nicht ausreichen werden, ohne entsprechende Reformen.

Sachverständigenrat empfiehlt Paradigmenwechsel

Patientinnen und Patienten sollten nach Ansicht des Sachverständigenrats vor allem mehr ambulant statt stationär versorgt werden. politische Verbesserungsmaßnahmen bisher hätten vor allem für mehr Personal sorgen sollen, doch das reiche bei Weitem nicht aus, sagte der Hamburger Forscher Jonas Schreyögg. „Deshalb empfehlen wir einen Paradigmenwechsel.“ Der Schlüssel seien weniger Belegungstage in den Krankenhäusern. Eine Reform der Notfallversorgung könnte in Deutschland die Zahl der Patienten verringern, die aus der Notaufnahme stationär aufgenommen werden – derzeit etwa die Hälfte, was international als hoch gilt. Dies würde jedoch dazu führen, dass mehr Mediziner und Pflegekräfte benötigt werden, die dann insgesamt fehlen würden.

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