Rx-Versandverbot: „Typisches ,Männergesetz‘“ Gabriele Hoberg, 27.02.2018 10:22 Uhr
Das Rx-Versandverbot steht im Koalitionsvertrag, der scheidende Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sammelte auf Facebook dafür Applaus – und erntete auch Kritik. Zu den Skeptikern gehört Dr. Susanne Eble, die als Medizinökonomin bei Berlin-Chemie das Gesundheitsmanagement leitet. Sie bezeichnete das Vorhaben als „Typisches ‚Männergesetz‘“ und schrieb: „Lieber Herr Gröhe, haben Sie schon mal einen Kinderwagen in einen Bus gebuckelt??? Vielleicht noch Zwillinge? Und 3x umsteigen? Meine Güte, wie fern vom ‚normalen‘ Leben...“. Im Interview erklärt sie, warum es ihr ein Anliegen war, unter Gröhes Beitrag ihre private Meinung zum Thema zu posten. Ausdrücklichen Wert legt sie darauf, dass es sich um eine Verbrauchermeinung handelt, die gerne eine konstruktive Debatte anstößt – es aber dazu keine Firmenpositionierung gibt.
ADHOC: Welche Vorteile sehen Sie im Versand, auch von Rx-Medikamenten?
EBLE: Es gibt eben viele Lebenssituationen, bei denen man „auch mal“ den Versandhandel braucht. Oft werden die strukturschwachen Regionen angeführt. Aber es ist aber auch in „normalen“ Wohn- oder Stadtrandgebieten nicht immer eine Apotheke um die Ecke. Wer kein Auto hat, muss dann auch die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen – und das kann um so beschwerlicher sein, wenn man gebrechlich und krank ist oder kranke Kinder zu Hause hat. Auch wenn man in einem Industriegebiet arbeitet, ist die Bestellung über den Versandhandel manchmal bequemer als nach der Arbeit nochmal in die Stadt zu fahren.
ADHOC: Was ist mit Botendiensten?
EBLE: Sie werden gerne als Alternative genannt, aber die Apotheken bringen mein Medikament nur, wenn sie bei der Vorlage des Rezeptes dieses nicht vorrätig haben oder wenn der Kunde ein paar Straßen entfernt im selben Ort wohnt. Aber bitten Sie mal eine Apotheke, Ihnen das Medikament für 12,90 Euro zu bringen, wenn Sie auf dem Land 20 bis 30 Kilometer entfernt wohnen. Das macht keine Apotheke und das ist auch verständlich.
Außerdem – und das ist in der Debatte auch noch wichtig: Der Versandhandel wurden 2003 erlaubt, weil von den Apotheken Botendienste angeboten wurden und diese – so in der Gesetzesbegründung zu lesen – für so ein Gut wie Arzneimittel zu unsicher wären. Man müsse die Lieferung von Arzneimitteln professionalisieren. Für mich hat das schon einen „Beigeschmack“, wenn in den 14 Jahren, in denen der (professionelle) Versandhandel existiert, es keine Sicherheitsvorkommnisse zu beklagen gibt – und man diesen nun verbieten möchte – zugunsten der Botendienste der Apotheken. Die Politiker dürfen sich da nicht wundern, wenn sie des Lobbyings bezichtigt werden.
ADHOC: Welche Vorteile sehen Sie bei Apotheken vor Ort?
EBLE: Sehr viele, nämlich direktes Abholen des Medikamentes (wenn es vorrätig ist), dazu die Beratung, wenn sie gewünscht wird, was man aber auch im Versandhandel bekommt. Ich habe bestimmt zehn Apotheken in meinem Umfeld und gehe nur dort einkaufen. Anders gesagt – ich habe noch nie im Versandhandel bestellt. Dennoch kann ich gut verstehen, dass Menschen sich auch einen Versandhandel wünschen und manche sogar darauf angewiesen sind.
ADHOC: Für Notfälle eine Apotheke in der Nähe zu haben, ist gut, aber wie viele brauchen die Bürger wirklich, zum Beispiel in Großstädten?
EBLE: Das müssten Sie einen Apotheker fragen, der Notdienste macht – ich habe noch nie einen gebraucht. Ich kann mir vorstellen, dass es Schmerzmittel oder Fiebermittel – also Medikamente bei Akuterkrankungen – sind, wobei es sich ja um verschreibungsfreie Arzneimittel handeln muss, da man in solchen Fällen ja auch kein Rezept hat. Aber zu einer sinnvollen Mindestzahl kann ich keine Angaben machen. Als Laie habe ich jedoch schon das Gefühl, dass in Ballungsgebieten an jeder Ecke und in jedem Einkaufszentrum eine Apotheke ist. Aus meiner Sicht ist dieser Wettbewerb härter als der Wettbewerb der Versandapotheken. Denn, auch das zeigen die Zahlen: Wegen des Versandhandels musste noch keine örtliche Apotheke schließen.
ADHOC: Welche Verluste sehen Sie für Apotheken, wenn es kein Rx-Versandverbot gibt?
EBLE: Die Apotheken wehren sich nun mal sehr laut – das ist ja auch berechtigt. Das erlebe ich seit Jahren, wenn OTC- oder Freiwahlware im Drogeriemarkt angeboten wird. Dann wurde das Unternehmen auch schon mal kollektiv von den Apothekern boykottiert.
ADHOC: Geht es bei dem ganzen Gezerre um das Rx-Versandverbot nach Ihrer Ansicht wirklich um Rx?
EBLE: Nein, es geht um das Verteidigen der Pfründe, wie immer im Gesundheitswesen. Das Drohszenario von tausenden Apotheken, die deshalb demnächst schließen, sehe ich nicht. Dafür sind die auch für die Versorgung zu wichtig – und man kann es nicht oft genug sagen: Die machen ja auch einen tollen Job (zumindest die, die ich kenne).
Der Versuch, den Versandhandel zu verunglimpfen, läuft schon viele Jahre, indem versucht wird, die illegalen Bestellungen aus dem Internet aus dem Ausland, mit den Versandhändlern zu vermischen und Ängste zu schüren. Da hatte ich mir gewünscht, dass dies auch von APOTHEKE ADHOC sauberer getrennt und differenzierter betrachtet worden wäre. Wenn Menschen sich PDE-5-Hemmer in China bestellen, wird das auch zukünftig ein Problem sein – mit oder ohne Versandhandel.
ADHOC: Sie positionieren sich ja persönlich für Versandapotheken, also auch für den Rx-Versand?
EBLE: Wie oben schon beschrieben: Nein, ich positioniere mich gar nicht für den Versandhandel, sondern gegen die meiner Ansicht nach unnötige Gesetzesinitiative. Im Zeitalter von Internet und E-Commerce, Digitalisierung im Gesundheitswesen und vielem mehr ist dies einfach nicht zeitgemäß und rückwärts gewandt. Neben den strukturellen Bedürfnissen gibt es ja auch den Wunsch nach Diskretion. Nicht jeder möchte, um mal bei dem Beispiel zu bleiben, seinen PDE-5-Hemmer in der „Apotheke seines Vertrauens” abholen, wenn nebenan der Kollege oder Nachbar steht.
Aufgrund eines Drohszenarios, das meiner Meinung nach total übertrieben ist, müssen Menschen nach 14 Jahren darauf verzichten. Das wird man denen nicht erklären können. Wir haben im Gesundheitswesen so viele Baustellen, um die sich die Politik kümmern müsste – das ist sicherlich keine.
ADHOC: Was ist Ihr Vorschlag?
EBLE: Ich würde mir zu diesem Thema eine ausführlichere Debatte wünschen. Ich kann aufgrund des (unsäglichen) EuGH-Urteils die Intension der Apotheker sehr gut verstehen. Es gab bereits Ansätze einer Art Sicherstellungszuschlag für Apotheken in strukturschwachen Regionen. Solche Ideen mal zu Ende skizzieren und diskutieren wäre mein Wunsch. Das wäre allemal günstiger als ein Verbot, das vermutlich wieder vor den Gerichten endet. Aber da im Koalitionsvertrag erst einmal der Prüfauftrag vermerkt ist, bleibt noch Hoffnung.
Dr. Susanne Eble hat sich in diesem Interview als Privatperson geäußert. Nach dem Studium von Medizinökonomie (Diplom) und Health-Care-Management (Master) begann sie 1992 als Produktmanagerin bei Berlin-Chemie und wechselte 1997 als Marketingleiterin zu Bayer. Nach wenigen Monaten bei Orthomed übernahm sie 2004 den Führungsposten als Leiterin Gesundheitsmanagement bei Berlin-Chemie. Neben Lehraufträgen an verschiedenen Hochschulen ist Eble seit 2010 auch stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes Managed Care (BMC) in Berlin.